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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Groschen, damit sie den Knaben, der nicht stark genug war, sich ans ihren
Händen zu winden, aus dem Hause über die Schwelle herausstoßen sollte.
Gegen solche Gewaltthat rief er die Christen um Beistand an, aber vergebens,
denn zwei baumstarke Juden faßten ihn, ein jeder bei einem Arm und trugen
ihn, der gleichsam in der Lust schwebte, mit größter Eilfertigkeit in die Ju¬
denstadt und seines Vaters Haus. Lazarus der Vater aber ging arglistig
Schritt für Schritt langsam hinterher, um den Christen vorzuplaudern, daß
sein Sohn zu den Christen flüchtig geworden sei. um rechtmäßig verdienter
Strafe zu entgehn. Dies schwatzte er dem Pöbel leicht ein.

Georg Kawka aber fand sich bald nach beendeten Trauerspiel bei mir
ein, erzählte mir zuerst die klägliche Entführung des Simon mit nichtswür¬
digen liederlichen Entschuldigungen. Ich aber redete ihm scharf zu, legte ihm
klar vor Augen, weshalb sich abmerken lasse, daß er mit den Juden unter
dem Hütlein gespielt habe, und befahl ihm ernsthaft, wenn er nicht der ver-
rätherischen Auslieferung des Simon vor Gericht schuldig sein wolle, den
Simon ohne Verschub und mit allen Mitteln, auch durch Requisition christ¬
licher Richter wieder aus den Händen der Juden herauszuziehn und ins Colle-
gium zu liefern. Und wahrlich, es hatte das Ansetzn, als folge er treulich
und emsig dem Befehl. Er durchsuchte mehre Tage die ganze Judenstadt und
durchstrich fast alle Häuser, wie die ihm zugesellten Begleiter bezeugten. Da¬
durch wandte er fast allen Argwohn der Verrätherei von sich ab, und da
Simon nirgend zu finden war, befestigte er das allgemeine Gerücht, Simon
sei heimlich nach Polen geschafft worden. Später wurde Georg Kawka selbst
in bösem Gewissen nach Polen flüchtig und ist bis heut unsichtbar geblieben.

Simon aber, gewaltthätig in das väterliche Haus gerissen.^ wurde seit
diesem Tage nicht mehr außerhalb der Hausschwelle gesehn. Nach der An¬
kunft im Hause war der Vater seines Zornes nicht mächtig, und schlug den
Sohn so wild mit einem Stock, daß die anwesenden Juden schon damals be¬
sorgten, er werde ihn entscelcn. Sie sperrten den Simon deshalb in eine
Kammer, in der sich ein späterer Zeuge, die Sara Vresin aufhielt. Der
Vater aber versuchte durch wiederholtes kräftiges Anrennen die Kammerthür
aufzubrechen und entfernte sich endlich entrüstet aus dem Hause. Als sein
Zorn sich ein wenig gelegt hatte, übergaben ihm die Juden den schwarz ge¬
schlagenen Knaben mit dem Rath, ihn durch Fasten zu zähmen. So wurde
Simon in eine andere Kammer gesperrt. Dort verbrachte er sieben Schmerz"
volle Monate in Hunger, Gefangenschaft, täglichen Verfluchungen. in Erwar¬
tung des oft angedrohten Todes. Als aber der Vater sah, daß des Sohnes
Gemüth unbeweglich war, und Simon am Sonnabend vor dem Fastnacht¬
sonntag wieder vor allen Hausgenossen unerschrocken erklärte, daß er getauft
sein wolle, entschloß sich Lazarus zum Aeußersten. Und damit nicht Zunei-


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Groschen, damit sie den Knaben, der nicht stark genug war, sich ans ihren
Händen zu winden, aus dem Hause über die Schwelle herausstoßen sollte.
Gegen solche Gewaltthat rief er die Christen um Beistand an, aber vergebens,
denn zwei baumstarke Juden faßten ihn, ein jeder bei einem Arm und trugen
ihn, der gleichsam in der Lust schwebte, mit größter Eilfertigkeit in die Ju¬
denstadt und seines Vaters Haus. Lazarus der Vater aber ging arglistig
Schritt für Schritt langsam hinterher, um den Christen vorzuplaudern, daß
sein Sohn zu den Christen flüchtig geworden sei. um rechtmäßig verdienter
Strafe zu entgehn. Dies schwatzte er dem Pöbel leicht ein.

Georg Kawka aber fand sich bald nach beendeten Trauerspiel bei mir
ein, erzählte mir zuerst die klägliche Entführung des Simon mit nichtswür¬
digen liederlichen Entschuldigungen. Ich aber redete ihm scharf zu, legte ihm
klar vor Augen, weshalb sich abmerken lasse, daß er mit den Juden unter
dem Hütlein gespielt habe, und befahl ihm ernsthaft, wenn er nicht der ver-
rätherischen Auslieferung des Simon vor Gericht schuldig sein wolle, den
Simon ohne Verschub und mit allen Mitteln, auch durch Requisition christ¬
licher Richter wieder aus den Händen der Juden herauszuziehn und ins Colle-
gium zu liefern. Und wahrlich, es hatte das Ansetzn, als folge er treulich
und emsig dem Befehl. Er durchsuchte mehre Tage die ganze Judenstadt und
durchstrich fast alle Häuser, wie die ihm zugesellten Begleiter bezeugten. Da¬
durch wandte er fast allen Argwohn der Verrätherei von sich ab, und da
Simon nirgend zu finden war, befestigte er das allgemeine Gerücht, Simon
sei heimlich nach Polen geschafft worden. Später wurde Georg Kawka selbst
in bösem Gewissen nach Polen flüchtig und ist bis heut unsichtbar geblieben.

Simon aber, gewaltthätig in das väterliche Haus gerissen.^ wurde seit
diesem Tage nicht mehr außerhalb der Hausschwelle gesehn. Nach der An¬
kunft im Hause war der Vater seines Zornes nicht mächtig, und schlug den
Sohn so wild mit einem Stock, daß die anwesenden Juden schon damals be¬
sorgten, er werde ihn entscelcn. Sie sperrten den Simon deshalb in eine
Kammer, in der sich ein späterer Zeuge, die Sara Vresin aufhielt. Der
Vater aber versuchte durch wiederholtes kräftiges Anrennen die Kammerthür
aufzubrechen und entfernte sich endlich entrüstet aus dem Hause. Als sein
Zorn sich ein wenig gelegt hatte, übergaben ihm die Juden den schwarz ge¬
schlagenen Knaben mit dem Rath, ihn durch Fasten zu zähmen. So wurde
Simon in eine andere Kammer gesperrt. Dort verbrachte er sieben Schmerz«
volle Monate in Hunger, Gefangenschaft, täglichen Verfluchungen. in Erwar¬
tung des oft angedrohten Todes. Als aber der Vater sah, daß des Sohnes
Gemüth unbeweglich war, und Simon am Sonnabend vor dem Fastnacht¬
sonntag wieder vor allen Hausgenossen unerschrocken erklärte, daß er getauft
sein wolle, entschloß sich Lazarus zum Aeußersten. Und damit nicht Zunei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/459>, abgerufen am 05.07.2024.