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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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deutlich bemerkt wurde, und der schlaue Knabe wol voraussah, daß die El¬
tern und Blutsverwandten keine Mühe sparen würden, ihm einen Stein in
den Weg zu rücken, dachte er vorzubauen und dem väterlichen Hause und
seiner jüdischen Freundschaft zu entfliehn, bevor ihm der Paß verhauen würde.
Als nun den 25. des Heumonats 1693 der Vater Lazarus feierlichen Rasttag
in der Judenschule hielt, begab sich der Sohn in ein der Judenstadt nahe
gelegenes Christenhaus, welches von dem neulich getauften Juden Kawka be¬
wohnt war, und ließ am selben Abend den Johannes Tarda zu sich berufen,
einen vor mehren Jahren mit seinem ganzen Geschlecht bekehrten Juden, den
er schon durchs Gerücht als einen eifrigen Mann und emsigen Anführer zum
christlichen Glauben kennen gelernt hatte. Denn dieser Mann, öfter sein
Leben in Gefahr stellend, hatte Juden, die nach dem christlichen Glauben
verlangten und ihre neugetauften Kinder aus der Judenstadt herausgezogen,
in unser Kollegium S. Element zum Unterricht geführt, war ihnen mit Nah¬
rung, Kleidern, Fach und Dach behilflich gewesen, hatte solchen, die nicht
lesen konnten, geistliche Bücher, vornehmlich aber das Leben Christi mit son¬
derlicher Andacht stundenlang vorgelesen, und fand seine beste Freude darin,
' wenn er sah, wie sie durch die h. Taufe abgewaschen wurden. Diesem nun
eröffnete Simon sein Herz treulich und bat, daß Johannes ihn ins Kollegium
der Societät Jesu führen wolle. Es bedürfte nicht viel Bittens, der Mann
borgte bei einem christlichen Jüngling Kleider, überdeckte dein Simon den
nach jüdischer Art geschorenen Kopf mit einer Perücke und führte ihn über
den altstädter Platz ins Kollegium. Mitten auf besagtem Platz steht aus
einem einzigen Steine gehauen das große, reich übergoldete Bildniß der
seligsten Gottesgebärerin. Johannes erklärte seinem christlichen Lehrling, daß
dies mit Goldglanz reich überzogene Bildniß die Himmelskönigin und die be¬
sonders treue Fürbitterin aller Gläubigen bei Gott bedeute. Das hörte Si¬
mon begierig an, zog unverweilt den Hut ab, verneigte tief seinen ganzen
Leib und empfahl sich mit gottseligem Seufzen der seligsten Gottesgebärerin
als Pflegekind. Darauf wandte er sich zu seinem Anleiter und redete ihn so
an: Wenn dies mein Vater sähe, stracks würde er mich umbringen. So er¬
reichten sie unser Kollegium Abends zwischen sieben und acht Uhr. Simon
trug mir, der ich zum Thore berufen war, sein Verlangen mit ungemeiner
Beredsamkeit vor, zugleich begehrte er mit so hitzigem Eifer, im christlichen
Glauben unterwiesen zu werden, daß ich mich verwundern mußte. Ich stellte
den Knaben noch denselben Abend dem ehrwürdigen Pater Rector des Kolle¬
giums vor. Es sah fast so aus, als befände sich der zwölfjährige Knabe,
wie vor Zeiten Jesus, unter den Schriftgelehrten, indem er verschiedene Fra¬
gen wohlberedt, scharfsinnig und mit einem Urtheil, welches sein Alter über¬
stieg, beantwortete. Als ihm vorgerückt wurde, sein später Eintritt errege den


deutlich bemerkt wurde, und der schlaue Knabe wol voraussah, daß die El¬
tern und Blutsverwandten keine Mühe sparen würden, ihm einen Stein in
den Weg zu rücken, dachte er vorzubauen und dem väterlichen Hause und
seiner jüdischen Freundschaft zu entfliehn, bevor ihm der Paß verhauen würde.
Als nun den 25. des Heumonats 1693 der Vater Lazarus feierlichen Rasttag
in der Judenschule hielt, begab sich der Sohn in ein der Judenstadt nahe
gelegenes Christenhaus, welches von dem neulich getauften Juden Kawka be¬
wohnt war, und ließ am selben Abend den Johannes Tarda zu sich berufen,
einen vor mehren Jahren mit seinem ganzen Geschlecht bekehrten Juden, den
er schon durchs Gerücht als einen eifrigen Mann und emsigen Anführer zum
christlichen Glauben kennen gelernt hatte. Denn dieser Mann, öfter sein
Leben in Gefahr stellend, hatte Juden, die nach dem christlichen Glauben
verlangten und ihre neugetauften Kinder aus der Judenstadt herausgezogen,
in unser Kollegium S. Element zum Unterricht geführt, war ihnen mit Nah¬
rung, Kleidern, Fach und Dach behilflich gewesen, hatte solchen, die nicht
lesen konnten, geistliche Bücher, vornehmlich aber das Leben Christi mit son¬
derlicher Andacht stundenlang vorgelesen, und fand seine beste Freude darin,
' wenn er sah, wie sie durch die h. Taufe abgewaschen wurden. Diesem nun
eröffnete Simon sein Herz treulich und bat, daß Johannes ihn ins Kollegium
der Societät Jesu führen wolle. Es bedürfte nicht viel Bittens, der Mann
borgte bei einem christlichen Jüngling Kleider, überdeckte dein Simon den
nach jüdischer Art geschorenen Kopf mit einer Perücke und führte ihn über
den altstädter Platz ins Kollegium. Mitten auf besagtem Platz steht aus
einem einzigen Steine gehauen das große, reich übergoldete Bildniß der
seligsten Gottesgebärerin. Johannes erklärte seinem christlichen Lehrling, daß
dies mit Goldglanz reich überzogene Bildniß die Himmelskönigin und die be¬
sonders treue Fürbitterin aller Gläubigen bei Gott bedeute. Das hörte Si¬
mon begierig an, zog unverweilt den Hut ab, verneigte tief seinen ganzen
Leib und empfahl sich mit gottseligem Seufzen der seligsten Gottesgebärerin
als Pflegekind. Darauf wandte er sich zu seinem Anleiter und redete ihn so
an: Wenn dies mein Vater sähe, stracks würde er mich umbringen. So er¬
reichten sie unser Kollegium Abends zwischen sieben und acht Uhr. Simon
trug mir, der ich zum Thore berufen war, sein Verlangen mit ungemeiner
Beredsamkeit vor, zugleich begehrte er mit so hitzigem Eifer, im christlichen
Glauben unterwiesen zu werden, daß ich mich verwundern mußte. Ich stellte
den Knaben noch denselben Abend dem ehrwürdigen Pater Rector des Kolle¬
giums vor. Es sah fast so aus, als befände sich der zwölfjährige Knabe,
wie vor Zeiten Jesus, unter den Schriftgelehrten, indem er verschiedene Fra¬
gen wohlberedt, scharfsinnig und mit einem Urtheil, welches sein Alter über¬
stieg, beantwortete. Als ihm vorgerückt wurde, sein später Eintritt errege den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/456>, abgerufen am 26.07.2024.