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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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reicher als jetzt, jedenfalls mit den Eigenthümlichkeiten ihres Verkehrs unent¬
behrlicher als jetzt. Sie hatten schützende Freunde am Kaiserhof wie im
Harem des Sultans und im Geheimzimmer des Papstes, sie hatten eine
Aristokratie des Blutes, welche damals von den Glaubensgenossen noch hoch
respectirt wurde und bei Brautsesten mit Stolz die Juwelen trug, welche ein
Ahnherr vielleicht lange vor Marco Paolo unter hundertfacher Lebensgefahr
aus Indien gebracht, oder ein anderer von einem der großen Mauren¬
könige in Granada eingetauscht hatte. Auf der Straße aber trug der Jude
noch die schimpflichen Zeichen des ungechrten Fremdlings, im Reiche eine
gelbe Cocarde an seinem Rocke, in Böhmen die steife blaue Halskrause.
Zwar war er der Gläubiger und Arbeitgeber zahlreicher Christen, aber er lebte
in den meisten größeren Städten noch zusammengedrängt in bestimmten Straßen
oder Stadttheilen, von geistlichemund weltlichem Pöbel gehaßt, verlacht und
geschmäht. Keine deutsche Judengemeinde war damals größer und fester
organisirt als die zu Prag. Sie war vielleicht die älteste in Deutschland;
sagenhafte Traditionen, die immerhin beachtenswert!) sind, führen sie auf eine
Zeit zurück, wo der Glaube des Gekreuzigten an der Moldau noch unbekannt
war. Bis in unsere Tage haben sich dort Erinnerungen an eine mehr als tau¬
sendjährige leidenvolle und emsige Vergangenheit erhalten. Selten versäumt ein
Reisender die engen Gassen der Judenstadt zu besuchen, wo die kleinen Häuser,
wie Bienenzellen aneinander gedrängt, einst den größten Reichthum und das
größte Elend des Landes umschlossen, und wo der Todesengel so lange den
Tropfen Galle in den Mund der Gläubigen träufeln ließ, bis auf dem un¬
heimlichen Kirchhof jeder Zoll Erde zu Menschenasche wurde. Auf engem
Raum hausten dort am Ende des 17. Jahrhunderts nahe an 6000 fleißige
Menschen, der große Geldhändler wie der ärmste Trödler und Lastträger in
fester Genossenschaft und gemeinsamen Interessen eng verbunden, durch ihre
Industrie und unermüdliche Speculationen dem verarmten Lande unentbehrlich
und doch in einem fortwährenden' Krieg gegen die Sitten, die Roheit und
den Fanatismus des neu bekehrten Königreichs. Denn damals lebte die dritte
Generation des neuen Böhmens, welches sich die Habsburger nach der Schlacht
am weißen Berge durch Blutgerichte, massenhafte Vertreibungen und furcht¬
bare Dragonaden zurückgewonnen hatten. Die alten Adelsgeschlechter waren
ausgerottet, ein neuer kaiserlicher Adel fuhr in vergoldeten Carrossen durch
die schwarze Hussitenstadt, die alte biblische Wissenschaft war in die Fremde
gewandert oder im Elend des langen Krieges verkommen, an die Stelle der
Kelchpriester und der böhmischen Prädicanten waren Jesuitenpatres und ihre
Zöglinge getreten, wo einst Huß die Lehre Wiklefs vertheidigt, und Ziska die
Lauheit der Altstädter gescholten hatte, erhob sich jetzt triumphirend das ver¬
goldete Steinbild der Himmelskönigin. Wenig war dem Volke von seiner


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reicher als jetzt, jedenfalls mit den Eigenthümlichkeiten ihres Verkehrs unent¬
behrlicher als jetzt. Sie hatten schützende Freunde am Kaiserhof wie im
Harem des Sultans und im Geheimzimmer des Papstes, sie hatten eine
Aristokratie des Blutes, welche damals von den Glaubensgenossen noch hoch
respectirt wurde und bei Brautsesten mit Stolz die Juwelen trug, welche ein
Ahnherr vielleicht lange vor Marco Paolo unter hundertfacher Lebensgefahr
aus Indien gebracht, oder ein anderer von einem der großen Mauren¬
könige in Granada eingetauscht hatte. Auf der Straße aber trug der Jude
noch die schimpflichen Zeichen des ungechrten Fremdlings, im Reiche eine
gelbe Cocarde an seinem Rocke, in Böhmen die steife blaue Halskrause.
Zwar war er der Gläubiger und Arbeitgeber zahlreicher Christen, aber er lebte
in den meisten größeren Städten noch zusammengedrängt in bestimmten Straßen
oder Stadttheilen, von geistlichemund weltlichem Pöbel gehaßt, verlacht und
geschmäht. Keine deutsche Judengemeinde war damals größer und fester
organisirt als die zu Prag. Sie war vielleicht die älteste in Deutschland;
sagenhafte Traditionen, die immerhin beachtenswert!) sind, führen sie auf eine
Zeit zurück, wo der Glaube des Gekreuzigten an der Moldau noch unbekannt
war. Bis in unsere Tage haben sich dort Erinnerungen an eine mehr als tau¬
sendjährige leidenvolle und emsige Vergangenheit erhalten. Selten versäumt ein
Reisender die engen Gassen der Judenstadt zu besuchen, wo die kleinen Häuser,
wie Bienenzellen aneinander gedrängt, einst den größten Reichthum und das
größte Elend des Landes umschlossen, und wo der Todesengel so lange den
Tropfen Galle in den Mund der Gläubigen träufeln ließ, bis auf dem un¬
heimlichen Kirchhof jeder Zoll Erde zu Menschenasche wurde. Auf engem
Raum hausten dort am Ende des 17. Jahrhunderts nahe an 6000 fleißige
Menschen, der große Geldhändler wie der ärmste Trödler und Lastträger in
fester Genossenschaft und gemeinsamen Interessen eng verbunden, durch ihre
Industrie und unermüdliche Speculationen dem verarmten Lande unentbehrlich
und doch in einem fortwährenden' Krieg gegen die Sitten, die Roheit und
den Fanatismus des neu bekehrten Königreichs. Denn damals lebte die dritte
Generation des neuen Böhmens, welches sich die Habsburger nach der Schlacht
am weißen Berge durch Blutgerichte, massenhafte Vertreibungen und furcht¬
bare Dragonaden zurückgewonnen hatten. Die alten Adelsgeschlechter waren
ausgerottet, ein neuer kaiserlicher Adel fuhr in vergoldeten Carrossen durch
die schwarze Hussitenstadt, die alte biblische Wissenschaft war in die Fremde
gewandert oder im Elend des langen Krieges verkommen, an die Stelle der
Kelchpriester und der böhmischen Prädicanten waren Jesuitenpatres und ihre
Zöglinge getreten, wo einst Huß die Lehre Wiklefs vertheidigt, und Ziska die
Lauheit der Altstädter gescholten hatte, erhob sich jetzt triumphirend das ver¬
goldete Steinbild der Himmelskönigin. Wenig war dem Volke von seiner


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[0451] reicher als jetzt, jedenfalls mit den Eigenthümlichkeiten ihres Verkehrs unent¬ behrlicher als jetzt. Sie hatten schützende Freunde am Kaiserhof wie im Harem des Sultans und im Geheimzimmer des Papstes, sie hatten eine Aristokratie des Blutes, welche damals von den Glaubensgenossen noch hoch respectirt wurde und bei Brautsesten mit Stolz die Juwelen trug, welche ein Ahnherr vielleicht lange vor Marco Paolo unter hundertfacher Lebensgefahr aus Indien gebracht, oder ein anderer von einem der großen Mauren¬ könige in Granada eingetauscht hatte. Auf der Straße aber trug der Jude noch die schimpflichen Zeichen des ungechrten Fremdlings, im Reiche eine gelbe Cocarde an seinem Rocke, in Böhmen die steife blaue Halskrause. Zwar war er der Gläubiger und Arbeitgeber zahlreicher Christen, aber er lebte in den meisten größeren Städten noch zusammengedrängt in bestimmten Straßen oder Stadttheilen, von geistlichemund weltlichem Pöbel gehaßt, verlacht und geschmäht. Keine deutsche Judengemeinde war damals größer und fester organisirt als die zu Prag. Sie war vielleicht die älteste in Deutschland; sagenhafte Traditionen, die immerhin beachtenswert!) sind, führen sie auf eine Zeit zurück, wo der Glaube des Gekreuzigten an der Moldau noch unbekannt war. Bis in unsere Tage haben sich dort Erinnerungen an eine mehr als tau¬ sendjährige leidenvolle und emsige Vergangenheit erhalten. Selten versäumt ein Reisender die engen Gassen der Judenstadt zu besuchen, wo die kleinen Häuser, wie Bienenzellen aneinander gedrängt, einst den größten Reichthum und das größte Elend des Landes umschlossen, und wo der Todesengel so lange den Tropfen Galle in den Mund der Gläubigen träufeln ließ, bis auf dem un¬ heimlichen Kirchhof jeder Zoll Erde zu Menschenasche wurde. Auf engem Raum hausten dort am Ende des 17. Jahrhunderts nahe an 6000 fleißige Menschen, der große Geldhändler wie der ärmste Trödler und Lastträger in fester Genossenschaft und gemeinsamen Interessen eng verbunden, durch ihre Industrie und unermüdliche Speculationen dem verarmten Lande unentbehrlich und doch in einem fortwährenden' Krieg gegen die Sitten, die Roheit und den Fanatismus des neu bekehrten Königreichs. Denn damals lebte die dritte Generation des neuen Böhmens, welches sich die Habsburger nach der Schlacht am weißen Berge durch Blutgerichte, massenhafte Vertreibungen und furcht¬ bare Dragonaden zurückgewonnen hatten. Die alten Adelsgeschlechter waren ausgerottet, ein neuer kaiserlicher Adel fuhr in vergoldeten Carrossen durch die schwarze Hussitenstadt, die alte biblische Wissenschaft war in die Fremde gewandert oder im Elend des langen Krieges verkommen, an die Stelle der Kelchpriester und der böhmischen Prädicanten waren Jesuitenpatres und ihre Zöglinge getreten, wo einst Huß die Lehre Wiklefs vertheidigt, und Ziska die Lauheit der Altstädter gescholten hatte, erhob sich jetzt triumphirend das ver¬ goldete Steinbild der Himmelskönigin. Wenig war dem Volke von seiner 56*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/451>, abgerufen am 05.07.2024.