Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ist und sich namentlich mehr v.om Aeußern auf das Innere wenden muß. Der
Verfasser versteht unterhaltend und selbst pikant zu erzählen, er versteht ferner
über gegebene sittliche Zustünde verständig zu reflectiren, aber diese beiden
Momente haben keine Ausgleichung gefunden und man weiß nicht recht, wel¬
ches von ihnen man als episodisch betrachten soll. Beide Verfasser würdigen
übrigens richtig die Bedeutung der prosaischen Arbeü sür das ideale und
poetische Leben. --

Ein dritter Roman: Schloß und Pfarrhaus von B. von Wiese
(Breslau, Kern), ist wohlgemeint aber nicht grade tief gegriffen.

Mit großem Vergnügen haben wir in den sicilianischen Reisebildern (tue
too Lieilies) einer der begabtesten unter den englischen Dichterinnen, Julia
Kavanagh, gelesen. (Lolleetion ot Lritisd ^utlrors limetuütii Läition.)
Die Schilderungen sind glänzend, wenn auch zuweilen mehr Farbe angewandt
ist, als die Sache erfordert. --

Da wir nun in diesen Romanen hauptsächlich mit Realisten zu thun ge¬
habt, fügen wir noch einen Idealisten hinzu., um einen vielbesprochenen aber
häufig mißverstandenen Gegensatz hervorzuheben. Hugo Oelbermann, der
schon durch frühere Gedichte vielen Beifall gewann, hat eine neue Sammlung
herausgegeben: Herzbilderbuch (Leipzig, Luppe), die sich fast zur Hülste in
Anklagen gegen die Prosa unserer Zeit ergeht. "Es ist der Kampf das Loos
der Poesie, der schwere Kampf mit harter Wirklichkeit." "Es ist die schwerste
Frage dieser Zeit." "In alles Blut, wie auch das Herz sich wehre, dringt ein
die Prosa, dieser Zeit Misere." Ferner ruft der Dichter den Kritikern zu:
"Ihr solltet nicht mit der Verhöhnung Streichen den Dichter treffen, den der
Gram verzehrt!" Und motivirt das noch weiter folgendermaßen:


Ein Dichterherz -- ihr dürft es alle glauben! --
Das beut besiegt der Prosa Riesenmacht,
Und drüber schwebt -- muß aller Götter Trauben
Gekostet haben in geweihter Nacht >--
Denn das Talent kann seine Kraft nicht schrauben
Zur Feldhcrrnhöh' ob unserer Tage Schlacht,
Wo nur dem Genius noch die Palmen winken,
Kann das Talent nur rettungslos versinken!

Wir wollen einen Dichter, der sich selbst unglücklich nennt, wahrlich nicht
verhöhnen, aber wir mochten ihn auffordern, ein freundliches Wort ruhig zu
erwügen. Wenn die oben angeführten Grundsätze richtig sind, wenn in
unsrer Zeit nur das wahre Genie in der Dichtung sich Bahn bricht, das
bloße Talent aber elend verkümmert: wie soll sich der gewissenhafte Kritiker,
dem es doch mehr um das Wohl der Menschen zu thun ist als um das Ent¬
stehen einiger mittelmäßigen Verse, einem jungen Dichter gegenüber verhalten,


ist und sich namentlich mehr v.om Aeußern auf das Innere wenden muß. Der
Verfasser versteht unterhaltend und selbst pikant zu erzählen, er versteht ferner
über gegebene sittliche Zustünde verständig zu reflectiren, aber diese beiden
Momente haben keine Ausgleichung gefunden und man weiß nicht recht, wel¬
ches von ihnen man als episodisch betrachten soll. Beide Verfasser würdigen
übrigens richtig die Bedeutung der prosaischen Arbeü sür das ideale und
poetische Leben. —

Ein dritter Roman: Schloß und Pfarrhaus von B. von Wiese
(Breslau, Kern), ist wohlgemeint aber nicht grade tief gegriffen.

Mit großem Vergnügen haben wir in den sicilianischen Reisebildern (tue
too Lieilies) einer der begabtesten unter den englischen Dichterinnen, Julia
Kavanagh, gelesen. (Lolleetion ot Lritisd ^utlrors limetuütii Läition.)
Die Schilderungen sind glänzend, wenn auch zuweilen mehr Farbe angewandt
ist, als die Sache erfordert. —

Da wir nun in diesen Romanen hauptsächlich mit Realisten zu thun ge¬
habt, fügen wir noch einen Idealisten hinzu., um einen vielbesprochenen aber
häufig mißverstandenen Gegensatz hervorzuheben. Hugo Oelbermann, der
schon durch frühere Gedichte vielen Beifall gewann, hat eine neue Sammlung
herausgegeben: Herzbilderbuch (Leipzig, Luppe), die sich fast zur Hülste in
Anklagen gegen die Prosa unserer Zeit ergeht. „Es ist der Kampf das Loos
der Poesie, der schwere Kampf mit harter Wirklichkeit." „Es ist die schwerste
Frage dieser Zeit." „In alles Blut, wie auch das Herz sich wehre, dringt ein
die Prosa, dieser Zeit Misere." Ferner ruft der Dichter den Kritikern zu:
„Ihr solltet nicht mit der Verhöhnung Streichen den Dichter treffen, den der
Gram verzehrt!" Und motivirt das noch weiter folgendermaßen:


Ein Dichterherz — ihr dürft es alle glauben! —
Das beut besiegt der Prosa Riesenmacht,
Und drüber schwebt — muß aller Götter Trauben
Gekostet haben in geweihter Nacht >—
Denn das Talent kann seine Kraft nicht schrauben
Zur Feldhcrrnhöh' ob unserer Tage Schlacht,
Wo nur dem Genius noch die Palmen winken,
Kann das Talent nur rettungslos versinken!

Wir wollen einen Dichter, der sich selbst unglücklich nennt, wahrlich nicht
verhöhnen, aber wir mochten ihn auffordern, ein freundliches Wort ruhig zu
erwügen. Wenn die oben angeführten Grundsätze richtig sind, wenn in
unsrer Zeit nur das wahre Genie in der Dichtung sich Bahn bricht, das
bloße Talent aber elend verkümmert: wie soll sich der gewissenhafte Kritiker,
dem es doch mehr um das Wohl der Menschen zu thun ist als um das Ent¬
stehen einiger mittelmäßigen Verse, einem jungen Dichter gegenüber verhalten,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0442" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266251"/>
          <p xml:id="ID_1267" prev="#ID_1266"> ist und sich namentlich mehr v.om Aeußern auf das Innere wenden muß. Der<lb/>
Verfasser versteht unterhaltend und selbst pikant zu erzählen, er versteht ferner<lb/>
über gegebene sittliche Zustünde verständig zu reflectiren, aber diese beiden<lb/>
Momente haben keine Ausgleichung gefunden und man weiß nicht recht, wel¬<lb/>
ches von ihnen man als episodisch betrachten soll. Beide Verfasser würdigen<lb/>
übrigens richtig die Bedeutung der prosaischen Arbeü sür das ideale und<lb/>
poetische Leben. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1268"> Ein dritter Roman: Schloß und Pfarrhaus von B. von Wiese<lb/>
(Breslau, Kern), ist wohlgemeint aber nicht grade tief gegriffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1269"> Mit großem Vergnügen haben wir in den sicilianischen Reisebildern (tue<lb/>
too Lieilies) einer der begabtesten unter den englischen Dichterinnen, Julia<lb/>
Kavanagh, gelesen. (Lolleetion ot Lritisd ^utlrors limetuütii Läition.)<lb/>
Die Schilderungen sind glänzend, wenn auch zuweilen mehr Farbe angewandt<lb/>
ist, als die Sache erfordert. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1270"> Da wir nun in diesen Romanen hauptsächlich mit Realisten zu thun ge¬<lb/>
habt, fügen wir noch einen Idealisten hinzu., um einen vielbesprochenen aber<lb/>
häufig mißverstandenen Gegensatz hervorzuheben. Hugo Oelbermann, der<lb/>
schon durch frühere Gedichte vielen Beifall gewann, hat eine neue Sammlung<lb/>
herausgegeben: Herzbilderbuch (Leipzig, Luppe), die sich fast zur Hülste in<lb/>
Anklagen gegen die Prosa unserer Zeit ergeht. &#x201E;Es ist der Kampf das Loos<lb/>
der Poesie, der schwere Kampf mit harter Wirklichkeit." &#x201E;Es ist die schwerste<lb/>
Frage dieser Zeit." &#x201E;In alles Blut, wie auch das Herz sich wehre, dringt ein<lb/>
die Prosa, dieser Zeit Misere." Ferner ruft der Dichter den Kritikern zu:<lb/>
&#x201E;Ihr solltet nicht mit der Verhöhnung Streichen den Dichter treffen, den der<lb/>
Gram verzehrt!" Und motivirt das noch weiter folgendermaßen:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_13" type="poem">
              <l> Ein Dichterherz &#x2014; ihr dürft es alle glauben! &#x2014;<lb/>
Das beut besiegt der Prosa Riesenmacht,<lb/>
Und drüber schwebt &#x2014; muß aller Götter Trauben<lb/>
Gekostet haben in geweihter Nacht &gt;&#x2014;<lb/>
Denn das Talent kann seine Kraft nicht schrauben<lb/>
Zur Feldhcrrnhöh' ob unserer Tage Schlacht,<lb/>
Wo nur dem Genius noch die Palmen winken,<lb/>
Kann das Talent nur rettungslos versinken!</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1271" next="#ID_1272"> Wir wollen einen Dichter, der sich selbst unglücklich nennt, wahrlich nicht<lb/>
verhöhnen, aber wir mochten ihn auffordern, ein freundliches Wort ruhig zu<lb/>
erwügen. Wenn die oben angeführten Grundsätze richtig sind, wenn in<lb/>
unsrer Zeit nur das wahre Genie in der Dichtung sich Bahn bricht, das<lb/>
bloße Talent aber elend verkümmert: wie soll sich der gewissenhafte Kritiker,<lb/>
dem es doch mehr um das Wohl der Menschen zu thun ist als um das Ent¬<lb/>
stehen einiger mittelmäßigen Verse, einem jungen Dichter gegenüber verhalten,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0442] ist und sich namentlich mehr v.om Aeußern auf das Innere wenden muß. Der Verfasser versteht unterhaltend und selbst pikant zu erzählen, er versteht ferner über gegebene sittliche Zustünde verständig zu reflectiren, aber diese beiden Momente haben keine Ausgleichung gefunden und man weiß nicht recht, wel¬ ches von ihnen man als episodisch betrachten soll. Beide Verfasser würdigen übrigens richtig die Bedeutung der prosaischen Arbeü sür das ideale und poetische Leben. — Ein dritter Roman: Schloß und Pfarrhaus von B. von Wiese (Breslau, Kern), ist wohlgemeint aber nicht grade tief gegriffen. Mit großem Vergnügen haben wir in den sicilianischen Reisebildern (tue too Lieilies) einer der begabtesten unter den englischen Dichterinnen, Julia Kavanagh, gelesen. (Lolleetion ot Lritisd ^utlrors limetuütii Läition.) Die Schilderungen sind glänzend, wenn auch zuweilen mehr Farbe angewandt ist, als die Sache erfordert. — Da wir nun in diesen Romanen hauptsächlich mit Realisten zu thun ge¬ habt, fügen wir noch einen Idealisten hinzu., um einen vielbesprochenen aber häufig mißverstandenen Gegensatz hervorzuheben. Hugo Oelbermann, der schon durch frühere Gedichte vielen Beifall gewann, hat eine neue Sammlung herausgegeben: Herzbilderbuch (Leipzig, Luppe), die sich fast zur Hülste in Anklagen gegen die Prosa unserer Zeit ergeht. „Es ist der Kampf das Loos der Poesie, der schwere Kampf mit harter Wirklichkeit." „Es ist die schwerste Frage dieser Zeit." „In alles Blut, wie auch das Herz sich wehre, dringt ein die Prosa, dieser Zeit Misere." Ferner ruft der Dichter den Kritikern zu: „Ihr solltet nicht mit der Verhöhnung Streichen den Dichter treffen, den der Gram verzehrt!" Und motivirt das noch weiter folgendermaßen: Ein Dichterherz — ihr dürft es alle glauben! — Das beut besiegt der Prosa Riesenmacht, Und drüber schwebt — muß aller Götter Trauben Gekostet haben in geweihter Nacht >— Denn das Talent kann seine Kraft nicht schrauben Zur Feldhcrrnhöh' ob unserer Tage Schlacht, Wo nur dem Genius noch die Palmen winken, Kann das Talent nur rettungslos versinken! Wir wollen einen Dichter, der sich selbst unglücklich nennt, wahrlich nicht verhöhnen, aber wir mochten ihn auffordern, ein freundliches Wort ruhig zu erwügen. Wenn die oben angeführten Grundsätze richtig sind, wenn in unsrer Zeit nur das wahre Genie in der Dichtung sich Bahn bricht, das bloße Talent aber elend verkümmert: wie soll sich der gewissenhafte Kritiker, dem es doch mehr um das Wohl der Menschen zu thun ist als um das Ent¬ stehen einiger mittelmäßigen Verse, einem jungen Dichter gegenüber verhalten,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/442
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/442>, abgerufen am 24.08.2024.