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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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beiholen ließ, die mein dankbarstes Publicum bildeten; denn während der
Kronprinz, ein kleiner, vollwangiger Junge, in die Hände klatschte, führte
die Prinzessin, ein etwa dreizehnjähriges Mädchen, nach dein Takt der Musik
einen Tanz auf, wovon Pomare so entzückt wurde, daß sie ihren ganzen Hof¬
staat um sich versammelte.

Der königliche Gemahl, ein junger Indianer von riesenhaften Wuchs,
erschien jetzt und mit ihm ein ganzer Schwarm barsußer Höflinge, die in den
abenteuerlichsten Anzügen sich um meine arg bedrängte Persönlichkeit grup-
pirten, bald mich, bald meine Violine angafften oder in die Saiten griffen,
kurz, mich so umdrängten und umschnatterten, daß ich fast keinen Raum mehr
fand, den Bogen zu führen. Es ist schwer, die grellen Situationen in diesem
phantastischen Zirkel zu schildern, und ein zweites Mal würde ich mir es über¬
legen, der Neugierde dieses Opfer zu bringen.

Pomare verabschiedete bald ihre ganze Umgebung und blieb mit mir
allein. Sie winkte mich näher und wünschte meine Geige zu betrachten. Ich
war in Verwirrung, aber da war keine Weigerung möglich, und nach kurzem
Besinnen übergab ich meine" Schatz den Händen der Jndianerkönigin. Wäh¬
rend sie mit den Fingern an den Saiten zupfte, stand ich wie auf der Fol¬
ter, nur ein Gelüste dieser Herrscherin und die Geige war sür mich verloren.
Pomare gab sie mir unversehrt zurück, ich athmete freier und spielte aus
Dankbarkeit ein tahitisches Volkslied. Sie schien sehr erfreut darüber und
frug mich in gebrochenem Französisch, ob ich auch aus dem Lande der Fran¬
zosen komme? und als ich dieses verneinte, faßte sie meine Hand, drückte sie
und flüsterte geheimnißvoll: "Ich liebe diese Männer nicht." Wol mag sie
Ursache haben, diesen Männern zu grollen, die ihre freie Stellung und Un¬
abhängigkeit untergruben, die ihr Macht, Ansehn und Scepter aus den Hän¬
den wanden und sie zu einer Königin nur dem Namen nach machten. Sie
löste ein kleines goldenes Kreuz von ihrer Korallenkette und reichte es mir mit
den Worten: "Dies als Erinnerung an Pomare." Hierauf verneigte ich mich
tief vor der gelben Majestät und verließ mit dem Missionär das königliche
Haus und die Insel Papet6e.




Neue Novelle".

Die Ueberzeugung, daß der Roman, der die Darstellung des wirklichen
Lebens bezweckt, von der Anschauung des wirklichen Lebens ausgehn muß,


beiholen ließ, die mein dankbarstes Publicum bildeten; denn während der
Kronprinz, ein kleiner, vollwangiger Junge, in die Hände klatschte, führte
die Prinzessin, ein etwa dreizehnjähriges Mädchen, nach dein Takt der Musik
einen Tanz auf, wovon Pomare so entzückt wurde, daß sie ihren ganzen Hof¬
staat um sich versammelte.

Der königliche Gemahl, ein junger Indianer von riesenhaften Wuchs,
erschien jetzt und mit ihm ein ganzer Schwarm barsußer Höflinge, die in den
abenteuerlichsten Anzügen sich um meine arg bedrängte Persönlichkeit grup-
pirten, bald mich, bald meine Violine angafften oder in die Saiten griffen,
kurz, mich so umdrängten und umschnatterten, daß ich fast keinen Raum mehr
fand, den Bogen zu führen. Es ist schwer, die grellen Situationen in diesem
phantastischen Zirkel zu schildern, und ein zweites Mal würde ich mir es über¬
legen, der Neugierde dieses Opfer zu bringen.

Pomare verabschiedete bald ihre ganze Umgebung und blieb mit mir
allein. Sie winkte mich näher und wünschte meine Geige zu betrachten. Ich
war in Verwirrung, aber da war keine Weigerung möglich, und nach kurzem
Besinnen übergab ich meine» Schatz den Händen der Jndianerkönigin. Wäh¬
rend sie mit den Fingern an den Saiten zupfte, stand ich wie auf der Fol¬
ter, nur ein Gelüste dieser Herrscherin und die Geige war sür mich verloren.
Pomare gab sie mir unversehrt zurück, ich athmete freier und spielte aus
Dankbarkeit ein tahitisches Volkslied. Sie schien sehr erfreut darüber und
frug mich in gebrochenem Französisch, ob ich auch aus dem Lande der Fran¬
zosen komme? und als ich dieses verneinte, faßte sie meine Hand, drückte sie
und flüsterte geheimnißvoll: „Ich liebe diese Männer nicht." Wol mag sie
Ursache haben, diesen Männern zu grollen, die ihre freie Stellung und Un¬
abhängigkeit untergruben, die ihr Macht, Ansehn und Scepter aus den Hän¬
den wanden und sie zu einer Königin nur dem Namen nach machten. Sie
löste ein kleines goldenes Kreuz von ihrer Korallenkette und reichte es mir mit
den Worten: „Dies als Erinnerung an Pomare." Hierauf verneigte ich mich
tief vor der gelben Majestät und verließ mit dem Missionär das königliche
Haus und die Insel Papet6e.




Neue Novelle».

Die Ueberzeugung, daß der Roman, der die Darstellung des wirklichen
Lebens bezweckt, von der Anschauung des wirklichen Lebens ausgehn muß,


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[0439] beiholen ließ, die mein dankbarstes Publicum bildeten; denn während der Kronprinz, ein kleiner, vollwangiger Junge, in die Hände klatschte, führte die Prinzessin, ein etwa dreizehnjähriges Mädchen, nach dein Takt der Musik einen Tanz auf, wovon Pomare so entzückt wurde, daß sie ihren ganzen Hof¬ staat um sich versammelte. Der königliche Gemahl, ein junger Indianer von riesenhaften Wuchs, erschien jetzt und mit ihm ein ganzer Schwarm barsußer Höflinge, die in den abenteuerlichsten Anzügen sich um meine arg bedrängte Persönlichkeit grup- pirten, bald mich, bald meine Violine angafften oder in die Saiten griffen, kurz, mich so umdrängten und umschnatterten, daß ich fast keinen Raum mehr fand, den Bogen zu führen. Es ist schwer, die grellen Situationen in diesem phantastischen Zirkel zu schildern, und ein zweites Mal würde ich mir es über¬ legen, der Neugierde dieses Opfer zu bringen. Pomare verabschiedete bald ihre ganze Umgebung und blieb mit mir allein. Sie winkte mich näher und wünschte meine Geige zu betrachten. Ich war in Verwirrung, aber da war keine Weigerung möglich, und nach kurzem Besinnen übergab ich meine» Schatz den Händen der Jndianerkönigin. Wäh¬ rend sie mit den Fingern an den Saiten zupfte, stand ich wie auf der Fol¬ ter, nur ein Gelüste dieser Herrscherin und die Geige war sür mich verloren. Pomare gab sie mir unversehrt zurück, ich athmete freier und spielte aus Dankbarkeit ein tahitisches Volkslied. Sie schien sehr erfreut darüber und frug mich in gebrochenem Französisch, ob ich auch aus dem Lande der Fran¬ zosen komme? und als ich dieses verneinte, faßte sie meine Hand, drückte sie und flüsterte geheimnißvoll: „Ich liebe diese Männer nicht." Wol mag sie Ursache haben, diesen Männern zu grollen, die ihre freie Stellung und Un¬ abhängigkeit untergruben, die ihr Macht, Ansehn und Scepter aus den Hän¬ den wanden und sie zu einer Königin nur dem Namen nach machten. Sie löste ein kleines goldenes Kreuz von ihrer Korallenkette und reichte es mir mit den Worten: „Dies als Erinnerung an Pomare." Hierauf verneigte ich mich tief vor der gelben Majestät und verließ mit dem Missionär das königliche Haus und die Insel Papet6e. Neue Novelle». Die Ueberzeugung, daß der Roman, der die Darstellung des wirklichen Lebens bezweckt, von der Anschauung des wirklichen Lebens ausgehn muß,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/439>, abgerufen am 25.07.2024.