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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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man hätte das Stück vielleicht als solche erkannt, wenn dein corpulenter
Bläser, dem vor Anstrengung die Schweißtropfen auf der Stirn standen, nicht
die meisten Töne versagt hätten und malheureuserweise gänzlich ausgeblieben
wären. Dieser Künstler hatte außerdem noch die originelle Manier, beim
Heraustreten der Frau Gouverneurin ehrerbietigst die Hand zu küssen, eine
Huldigung, die, obwol sie eine Zurücksetzung für die barfuße Pomare und
ihre gelben Hofdamen bildete, doch viel verzeihlicher als sein Flötenspiel war,
denn dieses wollte gar kein Ende nehmen, und trotz meiner beredten Zeichen,
endlich einmal aufzuhören, quinquilirte er immer weiter. Schon sah ich zu
meinem Schrecken die gähnende Pomare sich von ihrem Sitz erheben, schon
sah ich die urwüchsigen Kinder der Natur, deren Gehörsinne auf eine so harte
Probe gestellt wurden, den Saal verlassen. Alle lockenden Verheißungen, die
barfuße Monarchin durch mein Spiel zu entzücken, alle Illusionen von Orden,
Ruhm und Unsterblichkeit waren dahin. O unglückseliges Flötenspiel, das
ihm nie hätte einfallen sollen! Pomare verließ, ohne mich gehört zu haben,
den Saal, vertrieben von dem heillosen Flötisten.

Nachdem sich mein emportes Gemüth so gut als möglich beruhigt und
der unselige Franzose zu blasen aufgehört, trat ich abermals hinaus vors
Publicum. Ich nahm alle meine Kraft zusammen, spielte sentimentale Liebes¬
lieder und Paganinische Hexenvariationen, aber vergebens; kein Zeichen des
Wohlgefallens belohnte mich, die gelben Insulaner blieben starr und theil¬
nahmlos wie vorher.

Da faßte ich jm arger Noth, das unvermeidliche Fiasko vor Augen,
einen kühnen Entschluß. Hilf du, Spiegelfechterei, dachte ich, riß er¬
grimmt vor den Augen des gaffenden Publicums die Saiten von der Geige
und spielte auf der G-Saite allein den "Karneval". Das wirkte. Ein Mur¬
meln der Ueberraschung durchflog die Menge und bald war ich von gelben
Naturenthusiasten umringt, die bei jeder Passage, insbesondere aber bei den
Flageolettönen, in ein Beifallsgejohle ausbrachen, wie es ein civilisirtes Pu¬
blicum gar nicht hervorzubringen vermag. Immer spielte ich nur den Kar¬
neval, immer improvisirte ich neue Variationen, und je toller und barocker
diese klangen, desto enthusiastischer jauchzten meine barfüßen Bewunderer, die
nicht eher den Saal verließen, bis mein Arm ermüdet sank und nicht mehr
im Stande war, den Bogen zu führen.

Nach dem Concert war ganz Tahiti in enthusiastischer Aufregung. Alles
erzählte sich von dem fremden Geiger, der über so viele Meere hergeschifft sei
und auf dem Holze so gut wie jeder Vogel zu pfeifen verstehe. Die schön'
sten Blumen und Früchte werden mir ins Hotel geschickt; wenn ich sy^le,
sammelt sich eine Schar Bewunderer unter meinen Fenstern, und wenn ich
ausgehe, grüßt mich Ms und kommt mir freundlichst entgegen kurz ich


man hätte das Stück vielleicht als solche erkannt, wenn dein corpulenter
Bläser, dem vor Anstrengung die Schweißtropfen auf der Stirn standen, nicht
die meisten Töne versagt hätten und malheureuserweise gänzlich ausgeblieben
wären. Dieser Künstler hatte außerdem noch die originelle Manier, beim
Heraustreten der Frau Gouverneurin ehrerbietigst die Hand zu küssen, eine
Huldigung, die, obwol sie eine Zurücksetzung für die barfuße Pomare und
ihre gelben Hofdamen bildete, doch viel verzeihlicher als sein Flötenspiel war,
denn dieses wollte gar kein Ende nehmen, und trotz meiner beredten Zeichen,
endlich einmal aufzuhören, quinquilirte er immer weiter. Schon sah ich zu
meinem Schrecken die gähnende Pomare sich von ihrem Sitz erheben, schon
sah ich die urwüchsigen Kinder der Natur, deren Gehörsinne auf eine so harte
Probe gestellt wurden, den Saal verlassen. Alle lockenden Verheißungen, die
barfuße Monarchin durch mein Spiel zu entzücken, alle Illusionen von Orden,
Ruhm und Unsterblichkeit waren dahin. O unglückseliges Flötenspiel, das
ihm nie hätte einfallen sollen! Pomare verließ, ohne mich gehört zu haben,
den Saal, vertrieben von dem heillosen Flötisten.

Nachdem sich mein emportes Gemüth so gut als möglich beruhigt und
der unselige Franzose zu blasen aufgehört, trat ich abermals hinaus vors
Publicum. Ich nahm alle meine Kraft zusammen, spielte sentimentale Liebes¬
lieder und Paganinische Hexenvariationen, aber vergebens; kein Zeichen des
Wohlgefallens belohnte mich, die gelben Insulaner blieben starr und theil¬
nahmlos wie vorher.

Da faßte ich jm arger Noth, das unvermeidliche Fiasko vor Augen,
einen kühnen Entschluß. Hilf du, Spiegelfechterei, dachte ich, riß er¬
grimmt vor den Augen des gaffenden Publicums die Saiten von der Geige
und spielte auf der G-Saite allein den „Karneval". Das wirkte. Ein Mur¬
meln der Ueberraschung durchflog die Menge und bald war ich von gelben
Naturenthusiasten umringt, die bei jeder Passage, insbesondere aber bei den
Flageolettönen, in ein Beifallsgejohle ausbrachen, wie es ein civilisirtes Pu¬
blicum gar nicht hervorzubringen vermag. Immer spielte ich nur den Kar¬
neval, immer improvisirte ich neue Variationen, und je toller und barocker
diese klangen, desto enthusiastischer jauchzten meine barfüßen Bewunderer, die
nicht eher den Saal verließen, bis mein Arm ermüdet sank und nicht mehr
im Stande war, den Bogen zu führen.

Nach dem Concert war ganz Tahiti in enthusiastischer Aufregung. Alles
erzählte sich von dem fremden Geiger, der über so viele Meere hergeschifft sei
und auf dem Holze so gut wie jeder Vogel zu pfeifen verstehe. Die schön'
sten Blumen und Früchte werden mir ins Hotel geschickt; wenn ich sy^le,
sammelt sich eine Schar Bewunderer unter meinen Fenstern, und wenn ich
ausgehe, grüßt mich Ms und kommt mir freundlichst entgegen kurz ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/434>, abgerufen am 05.07.2024.