Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

In der Liebe sind sie glühend heiß, wie alle Südländerinnen, aber ihre
Sitten sind streng und eheliche Untreue höchst selten. Allein eine Macht und
ein Ansehen genießen diese Frauen, wie es nur bei civilisirten Nationen ge¬
funden wird ....

Dann erzählt der Verfasser von einem Concert, welches er vor der vor¬
nehmen Welt von Otahaiti gab. Wol selten dürste irgend ein Concertgeber
der Welt ein so wunderliches Publicum um sich versammelt haben, als jenes,
welches ihn am 6. Oct. 1854 in Tahiti umgab:

Das Local, jetzt zum Concertsaal improvisirt, diente früher zum Götzen¬
tempel der Eingebornen, später wurden hier, auf Befehl der Königin, die
falschen Götter verbrannt, noch spater verdammte hier ein französisches Kriegs¬
gericht die aufrührerischen Indianer zum Tode, und jetzt steht auf derselben
Stelle ein schwarzbesrackter Virtuos als Herold der Zeit, und sucht mit Geige
und Bogen jenen urwüchsigen Naturkindern einige Begriffe jener modernen,
europäischen Cultur beizubringen, mit deren Bekanntschaft sie von einer gü¬
tigen Vorsehung bis jetzt verschont wurden. Rechts, von tropischen Pflanzen
umgeben, saß der Gouverneur und seine Gemahlin nebst vielen Offizieren in
hellschimmernden. Uniformen. Links war der aus Strohmatten mit buntem
Baumwollenzeuge behangene Platz der barfüßen Königin errichtet, und den
andern Theil des Saales füllten die eigenthümlichen Gestalten der Eingebor¬
nen, deren Gehörsinne bis jetzt noch gesund und unverdorben waren und
noch für keinen andern Gesang als für den der Nachtigall schwärmten.

Ich trat hervor, verneigte mich vor dem barfüßen Auditorium und er¬
öffnete das Concert. Freilich brauchte es einige Zeit, bis man diesem Pu¬
blicum begreiflich machte, daß man im Concert eigentlich nur hören soll, was
jedoch die meisten nicht zu wissen schienen, denn sie schwatzten so laut, daß
ich einige Mal unterbrochen wurde und wieder beginnen mußte.

Ich spielte "Othello", Phantasie von Ernst, aber ein schmetterndes Trom-
Petengedröhn mit obligatem Paukenwirbel hätte diesen gelben Insulanern
gewiß mehr Vergnügen gemacht als mein armseliges Geigenspiel, denn außer
einigen befreundeten europäischen Händen rührte sich kein Fingerchen. Das
Stück ging ohne jedes Zeichen des Wohlgefallens seinem Ende entgegen; so
unbelobt spielte ich noch vor keinem Publicum des Erdenrundes.

Die Königin, einen kleinen Jungen an der Hand führend, erschien jetzt,
begleitet von ihren Hofdamen, die barfuß, wie ihre Herrin, er phantastischer
Toilette in den Saal trippelten und in neugieriger Verwunderung der Dinge
warteten, die da kommen sollten.

Die erste Musikcelebrität Otahaitis. Mr. Ccunieux. Chef der französischen
Militärkapelle, ein breitschultriger Niese, erschien jetzt und spielte ein Stück auf
der Flöte. Man sagte, es wäre eine Cavatine aus "Ernani" gewesen und


Grenzboten IV. 135S. 54

In der Liebe sind sie glühend heiß, wie alle Südländerinnen, aber ihre
Sitten sind streng und eheliche Untreue höchst selten. Allein eine Macht und
ein Ansehen genießen diese Frauen, wie es nur bei civilisirten Nationen ge¬
funden wird ....

Dann erzählt der Verfasser von einem Concert, welches er vor der vor¬
nehmen Welt von Otahaiti gab. Wol selten dürste irgend ein Concertgeber
der Welt ein so wunderliches Publicum um sich versammelt haben, als jenes,
welches ihn am 6. Oct. 1854 in Tahiti umgab:

Das Local, jetzt zum Concertsaal improvisirt, diente früher zum Götzen¬
tempel der Eingebornen, später wurden hier, auf Befehl der Königin, die
falschen Götter verbrannt, noch spater verdammte hier ein französisches Kriegs¬
gericht die aufrührerischen Indianer zum Tode, und jetzt steht auf derselben
Stelle ein schwarzbesrackter Virtuos als Herold der Zeit, und sucht mit Geige
und Bogen jenen urwüchsigen Naturkindern einige Begriffe jener modernen,
europäischen Cultur beizubringen, mit deren Bekanntschaft sie von einer gü¬
tigen Vorsehung bis jetzt verschont wurden. Rechts, von tropischen Pflanzen
umgeben, saß der Gouverneur und seine Gemahlin nebst vielen Offizieren in
hellschimmernden. Uniformen. Links war der aus Strohmatten mit buntem
Baumwollenzeuge behangene Platz der barfüßen Königin errichtet, und den
andern Theil des Saales füllten die eigenthümlichen Gestalten der Eingebor¬
nen, deren Gehörsinne bis jetzt noch gesund und unverdorben waren und
noch für keinen andern Gesang als für den der Nachtigall schwärmten.

Ich trat hervor, verneigte mich vor dem barfüßen Auditorium und er¬
öffnete das Concert. Freilich brauchte es einige Zeit, bis man diesem Pu¬
blicum begreiflich machte, daß man im Concert eigentlich nur hören soll, was
jedoch die meisten nicht zu wissen schienen, denn sie schwatzten so laut, daß
ich einige Mal unterbrochen wurde und wieder beginnen mußte.

Ich spielte „Othello", Phantasie von Ernst, aber ein schmetterndes Trom-
Petengedröhn mit obligatem Paukenwirbel hätte diesen gelben Insulanern
gewiß mehr Vergnügen gemacht als mein armseliges Geigenspiel, denn außer
einigen befreundeten europäischen Händen rührte sich kein Fingerchen. Das
Stück ging ohne jedes Zeichen des Wohlgefallens seinem Ende entgegen; so
unbelobt spielte ich noch vor keinem Publicum des Erdenrundes.

Die Königin, einen kleinen Jungen an der Hand führend, erschien jetzt,
begleitet von ihren Hofdamen, die barfuß, wie ihre Herrin, er phantastischer
Toilette in den Saal trippelten und in neugieriger Verwunderung der Dinge
warteten, die da kommen sollten.

Die erste Musikcelebrität Otahaitis. Mr. Ccunieux. Chef der französischen
Militärkapelle, ein breitschultriger Niese, erschien jetzt und spielte ein Stück auf
der Flöte. Man sagte, es wäre eine Cavatine aus „Ernani" gewesen und


Grenzboten IV. 135S. 54
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0433" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266242"/>
          <p xml:id="ID_1227"> In der Liebe sind sie glühend heiß, wie alle Südländerinnen, aber ihre<lb/>
Sitten sind streng und eheliche Untreue höchst selten. Allein eine Macht und<lb/>
ein Ansehen genießen diese Frauen, wie es nur bei civilisirten Nationen ge¬<lb/>
funden wird ....</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1228"> Dann erzählt der Verfasser von einem Concert, welches er vor der vor¬<lb/>
nehmen Welt von Otahaiti gab. Wol selten dürste irgend ein Concertgeber<lb/>
der Welt ein so wunderliches Publicum um sich versammelt haben, als jenes,<lb/>
welches ihn am 6. Oct. 1854 in Tahiti umgab:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1229"> Das Local, jetzt zum Concertsaal improvisirt, diente früher zum Götzen¬<lb/>
tempel der Eingebornen, später wurden hier, auf Befehl der Königin, die<lb/>
falschen Götter verbrannt, noch spater verdammte hier ein französisches Kriegs¬<lb/>
gericht die aufrührerischen Indianer zum Tode, und jetzt steht auf derselben<lb/>
Stelle ein schwarzbesrackter Virtuos als Herold der Zeit, und sucht mit Geige<lb/>
und Bogen jenen urwüchsigen Naturkindern einige Begriffe jener modernen,<lb/>
europäischen Cultur beizubringen, mit deren Bekanntschaft sie von einer gü¬<lb/>
tigen Vorsehung bis jetzt verschont wurden. Rechts, von tropischen Pflanzen<lb/>
umgeben, saß der Gouverneur und seine Gemahlin nebst vielen Offizieren in<lb/>
hellschimmernden. Uniformen. Links war der aus Strohmatten mit buntem<lb/>
Baumwollenzeuge behangene Platz der barfüßen Königin errichtet, und den<lb/>
andern Theil des Saales füllten die eigenthümlichen Gestalten der Eingebor¬<lb/>
nen, deren Gehörsinne bis jetzt noch gesund und unverdorben waren und<lb/>
noch für keinen andern Gesang als für den der Nachtigall schwärmten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1230"> Ich trat hervor, verneigte mich vor dem barfüßen Auditorium und er¬<lb/>
öffnete das Concert. Freilich brauchte es einige Zeit, bis man diesem Pu¬<lb/>
blicum begreiflich machte, daß man im Concert eigentlich nur hören soll, was<lb/>
jedoch die meisten nicht zu wissen schienen, denn sie schwatzten so laut, daß<lb/>
ich einige Mal unterbrochen wurde und wieder beginnen mußte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1231"> Ich spielte &#x201E;Othello", Phantasie von Ernst, aber ein schmetterndes Trom-<lb/>
Petengedröhn mit obligatem Paukenwirbel hätte diesen gelben Insulanern<lb/>
gewiß mehr Vergnügen gemacht als mein armseliges Geigenspiel, denn außer<lb/>
einigen befreundeten europäischen Händen rührte sich kein Fingerchen. Das<lb/>
Stück ging ohne jedes Zeichen des Wohlgefallens seinem Ende entgegen; so<lb/>
unbelobt spielte ich noch vor keinem Publicum des Erdenrundes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1232"> Die Königin, einen kleinen Jungen an der Hand führend, erschien jetzt,<lb/>
begleitet von ihren Hofdamen, die barfuß, wie ihre Herrin, er phantastischer<lb/>
Toilette in den Saal trippelten und in neugieriger Verwunderung der Dinge<lb/>
warteten, die da kommen sollten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1233" next="#ID_1234"> Die erste Musikcelebrität Otahaitis. Mr. Ccunieux. Chef der französischen<lb/>
Militärkapelle, ein breitschultriger Niese, erschien jetzt und spielte ein Stück auf<lb/>
der Flöte.  Man sagte, es wäre eine Cavatine aus &#x201E;Ernani" gewesen und</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 135S. 54</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0433] In der Liebe sind sie glühend heiß, wie alle Südländerinnen, aber ihre Sitten sind streng und eheliche Untreue höchst selten. Allein eine Macht und ein Ansehen genießen diese Frauen, wie es nur bei civilisirten Nationen ge¬ funden wird .... Dann erzählt der Verfasser von einem Concert, welches er vor der vor¬ nehmen Welt von Otahaiti gab. Wol selten dürste irgend ein Concertgeber der Welt ein so wunderliches Publicum um sich versammelt haben, als jenes, welches ihn am 6. Oct. 1854 in Tahiti umgab: Das Local, jetzt zum Concertsaal improvisirt, diente früher zum Götzen¬ tempel der Eingebornen, später wurden hier, auf Befehl der Königin, die falschen Götter verbrannt, noch spater verdammte hier ein französisches Kriegs¬ gericht die aufrührerischen Indianer zum Tode, und jetzt steht auf derselben Stelle ein schwarzbesrackter Virtuos als Herold der Zeit, und sucht mit Geige und Bogen jenen urwüchsigen Naturkindern einige Begriffe jener modernen, europäischen Cultur beizubringen, mit deren Bekanntschaft sie von einer gü¬ tigen Vorsehung bis jetzt verschont wurden. Rechts, von tropischen Pflanzen umgeben, saß der Gouverneur und seine Gemahlin nebst vielen Offizieren in hellschimmernden. Uniformen. Links war der aus Strohmatten mit buntem Baumwollenzeuge behangene Platz der barfüßen Königin errichtet, und den andern Theil des Saales füllten die eigenthümlichen Gestalten der Eingebor¬ nen, deren Gehörsinne bis jetzt noch gesund und unverdorben waren und noch für keinen andern Gesang als für den der Nachtigall schwärmten. Ich trat hervor, verneigte mich vor dem barfüßen Auditorium und er¬ öffnete das Concert. Freilich brauchte es einige Zeit, bis man diesem Pu¬ blicum begreiflich machte, daß man im Concert eigentlich nur hören soll, was jedoch die meisten nicht zu wissen schienen, denn sie schwatzten so laut, daß ich einige Mal unterbrochen wurde und wieder beginnen mußte. Ich spielte „Othello", Phantasie von Ernst, aber ein schmetterndes Trom- Petengedröhn mit obligatem Paukenwirbel hätte diesen gelben Insulanern gewiß mehr Vergnügen gemacht als mein armseliges Geigenspiel, denn außer einigen befreundeten europäischen Händen rührte sich kein Fingerchen. Das Stück ging ohne jedes Zeichen des Wohlgefallens seinem Ende entgegen; so unbelobt spielte ich noch vor keinem Publicum des Erdenrundes. Die Königin, einen kleinen Jungen an der Hand führend, erschien jetzt, begleitet von ihren Hofdamen, die barfuß, wie ihre Herrin, er phantastischer Toilette in den Saal trippelten und in neugieriger Verwunderung der Dinge warteten, die da kommen sollten. Die erste Musikcelebrität Otahaitis. Mr. Ccunieux. Chef der französischen Militärkapelle, ein breitschultriger Niese, erschien jetzt und spielte ein Stück auf der Flöte. Man sagte, es wäre eine Cavatine aus „Ernani" gewesen und Grenzboten IV. 135S. 54

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/433
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/433>, abgerufen am 05.07.2024.