Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lichen Verhältnisse. Beides wurde mehrmals zugesagt; der Grund, warum
die Erfüllung der Zusage noch immer auf sich warten läßt, ist nicht bekannt
gegeben worden. Im Jahr 1856 gab die Regierung an sämmtliche Seniorate
den Entwurf zu einem Gesetz über die Vertretung und Verwaltung der Kir-
chenangelegcnheiten der Evangelischen heraus, der auf den Districtualconventen
berathen und dem Ministerium begutachtet eingeschickt werden sollte. Sämmt¬
liche Districte jedoch wiesen einstimmig dieses Ansinnen zurück, indem sie sich
im Princip sür incompetent erklärten, ein organisches Gesetz sür die ganze Kirche
zu berathen, um darin zu entscheiden; denn nur einer allgemeinen Synode
steht das Recht zu, die Kirchenverfassung zu ändern und neue Kirchengesetze
zu bringen. An diese Erklärung knüpften sie die erneute Bitte um Abhaltung
einer Synode, auf welche abermals eine unentschiedene Antwort erfolgte. Der
zurückgewiesene Entwurf der Regierung selbst beabsichtigte, den weltlichen Ein¬
fluß auf die Kirchenangelcgenheiten ganz ausschließend, die Kirche bureaukra-
tisch zu regieren, die oberste Leitung in einem vom Staate ernannten Ober-
kirchenrath zu centralisiren, und in den unteren Stufen eine geistliche Hierarchie
zu begründen, welche die Kirche regieren würde. Dadurch verlöre die Kirche ihre
Autonomie, und die ihr so heilsame Theilung der Gewalt zwischen dem geistlichen
und dem weltlichen Element hörte aus. Für jetzt widerstand die protestantische
Geistlichkeit selbst der ihr dargebotenen Lockung; sie möge in diesem echt evan¬
gelischen Geiste beharren, und nie aus übelverstandener Eifersucht gegen die
weltliche Macht Uneinigkeit in die protestantische Kirche bringen.

Mit diesen Bewegungen auf kirchlichem Gebiet in Verbindung muß auch
der Angelegenheit der protestantischen Schulen in Ungarn Erwähnung geschehen.
Diese befanden sich zur Zeit des Ausbruchs der Revolution in einem für die
Verhältnisse Ungarns blühenden Zustand, waren durch Privatstiftungen reich
dotirt und erfreuten sich des allgemeinen Vorzugs vor den katholischen An¬
stalten. Im Jahr 1850 trat das neue Unterrichtssystem in Wirksamkeit;
die meisten der frühern sogenannten Kollegien, auf denen Philosophie, Theo¬
logie und auch das Recht gelehrt worden war, gingen als solche ein und
wurden zu Ober- oder Untergymnasien; die Rechtsfacultäten an den protestan¬
tischen Schulen hörten ganz auf, protestantisch-theologische blieben nur zwei
im Lande. Den schwersten Stand hatten die früheren lateinischen Gymnasien,
die, um den Ansprüchen des neuen Unterrichtssystems zu genügen und das
Recht der Oeffentlichkeit nicht zu verlieren, mit einer bedeutendern Anzahl
Lehrer ausgestattet werden mußten, wozu mehren derselben die nöthigen
Fonds fehlten. Nicht unerhebliche Opfer wurden von Privaten und Korpo¬
rationen gebracht, um diese Schulen zu retten und sie durch eigene Mittel zu
erhalten; der Gustav-Adolph-Verein wirkte hier Ersprießliches. So gelang es
den Protestanten, alle ihre Schulen zu erhalten und allen vom Staat ge-


53*

lichen Verhältnisse. Beides wurde mehrmals zugesagt; der Grund, warum
die Erfüllung der Zusage noch immer auf sich warten läßt, ist nicht bekannt
gegeben worden. Im Jahr 1856 gab die Regierung an sämmtliche Seniorate
den Entwurf zu einem Gesetz über die Vertretung und Verwaltung der Kir-
chenangelegcnheiten der Evangelischen heraus, der auf den Districtualconventen
berathen und dem Ministerium begutachtet eingeschickt werden sollte. Sämmt¬
liche Districte jedoch wiesen einstimmig dieses Ansinnen zurück, indem sie sich
im Princip sür incompetent erklärten, ein organisches Gesetz sür die ganze Kirche
zu berathen, um darin zu entscheiden; denn nur einer allgemeinen Synode
steht das Recht zu, die Kirchenverfassung zu ändern und neue Kirchengesetze
zu bringen. An diese Erklärung knüpften sie die erneute Bitte um Abhaltung
einer Synode, auf welche abermals eine unentschiedene Antwort erfolgte. Der
zurückgewiesene Entwurf der Regierung selbst beabsichtigte, den weltlichen Ein¬
fluß auf die Kirchenangelcgenheiten ganz ausschließend, die Kirche bureaukra-
tisch zu regieren, die oberste Leitung in einem vom Staate ernannten Ober-
kirchenrath zu centralisiren, und in den unteren Stufen eine geistliche Hierarchie
zu begründen, welche die Kirche regieren würde. Dadurch verlöre die Kirche ihre
Autonomie, und die ihr so heilsame Theilung der Gewalt zwischen dem geistlichen
und dem weltlichen Element hörte aus. Für jetzt widerstand die protestantische
Geistlichkeit selbst der ihr dargebotenen Lockung; sie möge in diesem echt evan¬
gelischen Geiste beharren, und nie aus übelverstandener Eifersucht gegen die
weltliche Macht Uneinigkeit in die protestantische Kirche bringen.

Mit diesen Bewegungen auf kirchlichem Gebiet in Verbindung muß auch
der Angelegenheit der protestantischen Schulen in Ungarn Erwähnung geschehen.
Diese befanden sich zur Zeit des Ausbruchs der Revolution in einem für die
Verhältnisse Ungarns blühenden Zustand, waren durch Privatstiftungen reich
dotirt und erfreuten sich des allgemeinen Vorzugs vor den katholischen An¬
stalten. Im Jahr 1850 trat das neue Unterrichtssystem in Wirksamkeit;
die meisten der frühern sogenannten Kollegien, auf denen Philosophie, Theo¬
logie und auch das Recht gelehrt worden war, gingen als solche ein und
wurden zu Ober- oder Untergymnasien; die Rechtsfacultäten an den protestan¬
tischen Schulen hörten ganz auf, protestantisch-theologische blieben nur zwei
im Lande. Den schwersten Stand hatten die früheren lateinischen Gymnasien,
die, um den Ansprüchen des neuen Unterrichtssystems zu genügen und das
Recht der Oeffentlichkeit nicht zu verlieren, mit einer bedeutendern Anzahl
Lehrer ausgestattet werden mußten, wozu mehren derselben die nöthigen
Fonds fehlten. Nicht unerhebliche Opfer wurden von Privaten und Korpo¬
rationen gebracht, um diese Schulen zu retten und sie durch eigene Mittel zu
erhalten; der Gustav-Adolph-Verein wirkte hier Ersprießliches. So gelang es
den Protestanten, alle ihre Schulen zu erhalten und allen vom Staat ge-


53*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0427" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266236"/>
          <p xml:id="ID_1205" prev="#ID_1204"> lichen Verhältnisse. Beides wurde mehrmals zugesagt; der Grund, warum<lb/>
die Erfüllung der Zusage noch immer auf sich warten läßt, ist nicht bekannt<lb/>
gegeben worden. Im Jahr 1856 gab die Regierung an sämmtliche Seniorate<lb/>
den Entwurf zu einem Gesetz über die Vertretung und Verwaltung der Kir-<lb/>
chenangelegcnheiten der Evangelischen heraus, der auf den Districtualconventen<lb/>
berathen und dem Ministerium begutachtet eingeschickt werden sollte. Sämmt¬<lb/>
liche Districte jedoch wiesen einstimmig dieses Ansinnen zurück, indem sie sich<lb/>
im Princip sür incompetent erklärten, ein organisches Gesetz sür die ganze Kirche<lb/>
zu berathen, um darin zu entscheiden; denn nur einer allgemeinen Synode<lb/>
steht das Recht zu, die Kirchenverfassung zu ändern und neue Kirchengesetze<lb/>
zu bringen. An diese Erklärung knüpften sie die erneute Bitte um Abhaltung<lb/>
einer Synode, auf welche abermals eine unentschiedene Antwort erfolgte. Der<lb/>
zurückgewiesene Entwurf der Regierung selbst beabsichtigte, den weltlichen Ein¬<lb/>
fluß auf die Kirchenangelcgenheiten ganz ausschließend, die Kirche bureaukra-<lb/>
tisch zu regieren, die oberste Leitung in einem vom Staate ernannten Ober-<lb/>
kirchenrath zu centralisiren, und in den unteren Stufen eine geistliche Hierarchie<lb/>
zu begründen, welche die Kirche regieren würde. Dadurch verlöre die Kirche ihre<lb/>
Autonomie, und die ihr so heilsame Theilung der Gewalt zwischen dem geistlichen<lb/>
und dem weltlichen Element hörte aus. Für jetzt widerstand die protestantische<lb/>
Geistlichkeit selbst der ihr dargebotenen Lockung; sie möge in diesem echt evan¬<lb/>
gelischen Geiste beharren, und nie aus übelverstandener Eifersucht gegen die<lb/>
weltliche Macht Uneinigkeit in die protestantische Kirche bringen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1206" next="#ID_1207"> Mit diesen Bewegungen auf kirchlichem Gebiet in Verbindung muß auch<lb/>
der Angelegenheit der protestantischen Schulen in Ungarn Erwähnung geschehen.<lb/>
Diese befanden sich zur Zeit des Ausbruchs der Revolution in einem für die<lb/>
Verhältnisse Ungarns blühenden Zustand, waren durch Privatstiftungen reich<lb/>
dotirt und erfreuten sich des allgemeinen Vorzugs vor den katholischen An¬<lb/>
stalten. Im Jahr 1850 trat das neue Unterrichtssystem in Wirksamkeit;<lb/>
die meisten der frühern sogenannten Kollegien, auf denen Philosophie, Theo¬<lb/>
logie und auch das Recht gelehrt worden war, gingen als solche ein und<lb/>
wurden zu Ober- oder Untergymnasien; die Rechtsfacultäten an den protestan¬<lb/>
tischen Schulen hörten ganz auf, protestantisch-theologische blieben nur zwei<lb/>
im Lande. Den schwersten Stand hatten die früheren lateinischen Gymnasien,<lb/>
die, um den Ansprüchen des neuen Unterrichtssystems zu genügen und das<lb/>
Recht der Oeffentlichkeit nicht zu verlieren, mit einer bedeutendern Anzahl<lb/>
Lehrer ausgestattet werden mußten, wozu mehren derselben die nöthigen<lb/>
Fonds fehlten. Nicht unerhebliche Opfer wurden von Privaten und Korpo¬<lb/>
rationen gebracht, um diese Schulen zu retten und sie durch eigene Mittel zu<lb/>
erhalten; der Gustav-Adolph-Verein wirkte hier Ersprießliches. So gelang es<lb/>
den Protestanten, alle ihre Schulen zu erhalten und allen vom Staat ge-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 53*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0427] lichen Verhältnisse. Beides wurde mehrmals zugesagt; der Grund, warum die Erfüllung der Zusage noch immer auf sich warten läßt, ist nicht bekannt gegeben worden. Im Jahr 1856 gab die Regierung an sämmtliche Seniorate den Entwurf zu einem Gesetz über die Vertretung und Verwaltung der Kir- chenangelegcnheiten der Evangelischen heraus, der auf den Districtualconventen berathen und dem Ministerium begutachtet eingeschickt werden sollte. Sämmt¬ liche Districte jedoch wiesen einstimmig dieses Ansinnen zurück, indem sie sich im Princip sür incompetent erklärten, ein organisches Gesetz sür die ganze Kirche zu berathen, um darin zu entscheiden; denn nur einer allgemeinen Synode steht das Recht zu, die Kirchenverfassung zu ändern und neue Kirchengesetze zu bringen. An diese Erklärung knüpften sie die erneute Bitte um Abhaltung einer Synode, auf welche abermals eine unentschiedene Antwort erfolgte. Der zurückgewiesene Entwurf der Regierung selbst beabsichtigte, den weltlichen Ein¬ fluß auf die Kirchenangelcgenheiten ganz ausschließend, die Kirche bureaukra- tisch zu regieren, die oberste Leitung in einem vom Staate ernannten Ober- kirchenrath zu centralisiren, und in den unteren Stufen eine geistliche Hierarchie zu begründen, welche die Kirche regieren würde. Dadurch verlöre die Kirche ihre Autonomie, und die ihr so heilsame Theilung der Gewalt zwischen dem geistlichen und dem weltlichen Element hörte aus. Für jetzt widerstand die protestantische Geistlichkeit selbst der ihr dargebotenen Lockung; sie möge in diesem echt evan¬ gelischen Geiste beharren, und nie aus übelverstandener Eifersucht gegen die weltliche Macht Uneinigkeit in die protestantische Kirche bringen. Mit diesen Bewegungen auf kirchlichem Gebiet in Verbindung muß auch der Angelegenheit der protestantischen Schulen in Ungarn Erwähnung geschehen. Diese befanden sich zur Zeit des Ausbruchs der Revolution in einem für die Verhältnisse Ungarns blühenden Zustand, waren durch Privatstiftungen reich dotirt und erfreuten sich des allgemeinen Vorzugs vor den katholischen An¬ stalten. Im Jahr 1850 trat das neue Unterrichtssystem in Wirksamkeit; die meisten der frühern sogenannten Kollegien, auf denen Philosophie, Theo¬ logie und auch das Recht gelehrt worden war, gingen als solche ein und wurden zu Ober- oder Untergymnasien; die Rechtsfacultäten an den protestan¬ tischen Schulen hörten ganz auf, protestantisch-theologische blieben nur zwei im Lande. Den schwersten Stand hatten die früheren lateinischen Gymnasien, die, um den Ansprüchen des neuen Unterrichtssystems zu genügen und das Recht der Oeffentlichkeit nicht zu verlieren, mit einer bedeutendern Anzahl Lehrer ausgestattet werden mußten, wozu mehren derselben die nöthigen Fonds fehlten. Nicht unerhebliche Opfer wurden von Privaten und Korpo¬ rationen gebracht, um diese Schulen zu retten und sie durch eigene Mittel zu erhalten; der Gustav-Adolph-Verein wirkte hier Ersprießliches. So gelang es den Protestanten, alle ihre Schulen zu erhalten und allen vom Staat ge- 53*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/427
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/427>, abgerufen am 06.02.2025.