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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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der Stellen, deren Ernennungsrecht den? Hofe zustand, Katholiken vor Prote¬
stanten den Vorzug erhielten, und bei Uebertritten die nöthige königliche Ge¬
nehmigung schwer ertheilt wurde; doch war sonst der Zustand der Protestanten
ein zufriedenstellender sie gründeten zahlreiche Kirchen und Schulen, unter¬
hielten sie aus ihren eignen Mitteln, und es gediehen diese und wurden bald
die vorzüglichsten Lehranstalten des Landes. Die Regierung legte keine Hemm¬
nisse in den Weg. die höhere Bildung durften sich die Protestanten auf den
ausländischen, namentlich deutschen Universitäten aneignen, wo noch jetzt aus
der Zeit des 17. Jahrhunderts zahlreiche Stiftungen existiren. Der Landtag
1843/4 traf im Anhang zum Gesetz des Jahres 1791 noch einige liberale
Bestimmungen, denen zufolge gemischte Ehen auch vor einem protestantischen
Geistlichen geschlossen werden dursten und bei dem Uebertritt zur protestan¬
tischen Religion Erleichterungen in das Leben traten. Die Bewegung aus
kirchlichem Gebiet geschah vollkommen frei; die Kirchenverfassung ward aus
Synoden geregelt, und durch ihre Institutionen gepflegt, nahm das geistige
Leben der Protestanten einen gedeihlichen Fortgang.

Die Grundzüge dieser Kirchenverfassung. so wie sie sich bei der ersten
Ausbreitung des Protestantismus entwickelte, durch mehre hundert Jahre er¬
hielt und endlich durch Gesetze und Bestimmungen der Synoden seit 1791
organisirt wurde, sind in kurzem folgende, wobei wir vorausschicken, daß die
Reformirten eine nahezu ganz gleiche, nur in einigen unbedeutenderen Theilen
von der der Evangelischen A. C. abweichende Kirchenverfassung besitzen, welche
letztere wir hier zu skizziren versuchen.

Mitglied der protestantischen Gemeinde ist jeder in dem Ort ansässige
Protestant, jede Muttergemeinde hat einen Geistlichen, einen Lehrer, je nach
der Größe der Gemeinde und des Grades der Schule auch mehre eine Kirche,
ein Schulhaus, und besitzt meist auch eignes Vermögen. Geistliche und Lehrer
werden von der Gemeinde, aus den Capitalien der Kirche oder Schule und
durch freiwillige Beiträge erhalten, auch von der Gemeinde gewählt, welche
sich in allem selbst regiert. Das Interesse der Gemeinde wahrt der Kirchen-
inspector. das Vermögen verwaltet der ebenfalls weltliche Curator, Angelegen¬
heiten, welche die ganze Gemeinde betreffen, werden in Versammlungen aller
Gemeindemitglieder. Localconvcnten, erledigt. Ein Kirchenrath, aus den an¬
gesehensten Gemeindemitgliedern zusammengesetzt, auch Presbyterium genannt,
vertritt als Ausschuß den Convent in Angelegenheiten von geringerem Be¬
lang. -- Mehre Gemeinden bilden ein Seniorat, in welchem der geistliche
Senior und der weltliche Senioratinspector, beide von den Gemeinden des
Seniorats erwählt, Kirche und Schule überwachen. Auf dem Senioratscon-
vent, der in den das ganze Seniorat betreffenden Angelegenheiten entscheidet,
hat nebst dem Geistlichen und Inspector auch jedes Gemeindeglied das Recht


der Stellen, deren Ernennungsrecht den? Hofe zustand, Katholiken vor Prote¬
stanten den Vorzug erhielten, und bei Uebertritten die nöthige königliche Ge¬
nehmigung schwer ertheilt wurde; doch war sonst der Zustand der Protestanten
ein zufriedenstellender sie gründeten zahlreiche Kirchen und Schulen, unter¬
hielten sie aus ihren eignen Mitteln, und es gediehen diese und wurden bald
die vorzüglichsten Lehranstalten des Landes. Die Regierung legte keine Hemm¬
nisse in den Weg. die höhere Bildung durften sich die Protestanten auf den
ausländischen, namentlich deutschen Universitäten aneignen, wo noch jetzt aus
der Zeit des 17. Jahrhunderts zahlreiche Stiftungen existiren. Der Landtag
1843/4 traf im Anhang zum Gesetz des Jahres 1791 noch einige liberale
Bestimmungen, denen zufolge gemischte Ehen auch vor einem protestantischen
Geistlichen geschlossen werden dursten und bei dem Uebertritt zur protestan¬
tischen Religion Erleichterungen in das Leben traten. Die Bewegung aus
kirchlichem Gebiet geschah vollkommen frei; die Kirchenverfassung ward aus
Synoden geregelt, und durch ihre Institutionen gepflegt, nahm das geistige
Leben der Protestanten einen gedeihlichen Fortgang.

Die Grundzüge dieser Kirchenverfassung. so wie sie sich bei der ersten
Ausbreitung des Protestantismus entwickelte, durch mehre hundert Jahre er¬
hielt und endlich durch Gesetze und Bestimmungen der Synoden seit 1791
organisirt wurde, sind in kurzem folgende, wobei wir vorausschicken, daß die
Reformirten eine nahezu ganz gleiche, nur in einigen unbedeutenderen Theilen
von der der Evangelischen A. C. abweichende Kirchenverfassung besitzen, welche
letztere wir hier zu skizziren versuchen.

Mitglied der protestantischen Gemeinde ist jeder in dem Ort ansässige
Protestant, jede Muttergemeinde hat einen Geistlichen, einen Lehrer, je nach
der Größe der Gemeinde und des Grades der Schule auch mehre eine Kirche,
ein Schulhaus, und besitzt meist auch eignes Vermögen. Geistliche und Lehrer
werden von der Gemeinde, aus den Capitalien der Kirche oder Schule und
durch freiwillige Beiträge erhalten, auch von der Gemeinde gewählt, welche
sich in allem selbst regiert. Das Interesse der Gemeinde wahrt der Kirchen-
inspector. das Vermögen verwaltet der ebenfalls weltliche Curator, Angelegen¬
heiten, welche die ganze Gemeinde betreffen, werden in Versammlungen aller
Gemeindemitglieder. Localconvcnten, erledigt. Ein Kirchenrath, aus den an¬
gesehensten Gemeindemitgliedern zusammengesetzt, auch Presbyterium genannt,
vertritt als Ausschuß den Convent in Angelegenheiten von geringerem Be¬
lang. — Mehre Gemeinden bilden ein Seniorat, in welchem der geistliche
Senior und der weltliche Senioratinspector, beide von den Gemeinden des
Seniorats erwählt, Kirche und Schule überwachen. Auf dem Senioratscon-
vent, der in den das ganze Seniorat betreffenden Angelegenheiten entscheidet,
hat nebst dem Geistlichen und Inspector auch jedes Gemeindeglied das Recht


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[0424] der Stellen, deren Ernennungsrecht den? Hofe zustand, Katholiken vor Prote¬ stanten den Vorzug erhielten, und bei Uebertritten die nöthige königliche Ge¬ nehmigung schwer ertheilt wurde; doch war sonst der Zustand der Protestanten ein zufriedenstellender sie gründeten zahlreiche Kirchen und Schulen, unter¬ hielten sie aus ihren eignen Mitteln, und es gediehen diese und wurden bald die vorzüglichsten Lehranstalten des Landes. Die Regierung legte keine Hemm¬ nisse in den Weg. die höhere Bildung durften sich die Protestanten auf den ausländischen, namentlich deutschen Universitäten aneignen, wo noch jetzt aus der Zeit des 17. Jahrhunderts zahlreiche Stiftungen existiren. Der Landtag 1843/4 traf im Anhang zum Gesetz des Jahres 1791 noch einige liberale Bestimmungen, denen zufolge gemischte Ehen auch vor einem protestantischen Geistlichen geschlossen werden dursten und bei dem Uebertritt zur protestan¬ tischen Religion Erleichterungen in das Leben traten. Die Bewegung aus kirchlichem Gebiet geschah vollkommen frei; die Kirchenverfassung ward aus Synoden geregelt, und durch ihre Institutionen gepflegt, nahm das geistige Leben der Protestanten einen gedeihlichen Fortgang. Die Grundzüge dieser Kirchenverfassung. so wie sie sich bei der ersten Ausbreitung des Protestantismus entwickelte, durch mehre hundert Jahre er¬ hielt und endlich durch Gesetze und Bestimmungen der Synoden seit 1791 organisirt wurde, sind in kurzem folgende, wobei wir vorausschicken, daß die Reformirten eine nahezu ganz gleiche, nur in einigen unbedeutenderen Theilen von der der Evangelischen A. C. abweichende Kirchenverfassung besitzen, welche letztere wir hier zu skizziren versuchen. Mitglied der protestantischen Gemeinde ist jeder in dem Ort ansässige Protestant, jede Muttergemeinde hat einen Geistlichen, einen Lehrer, je nach der Größe der Gemeinde und des Grades der Schule auch mehre eine Kirche, ein Schulhaus, und besitzt meist auch eignes Vermögen. Geistliche und Lehrer werden von der Gemeinde, aus den Capitalien der Kirche oder Schule und durch freiwillige Beiträge erhalten, auch von der Gemeinde gewählt, welche sich in allem selbst regiert. Das Interesse der Gemeinde wahrt der Kirchen- inspector. das Vermögen verwaltet der ebenfalls weltliche Curator, Angelegen¬ heiten, welche die ganze Gemeinde betreffen, werden in Versammlungen aller Gemeindemitglieder. Localconvcnten, erledigt. Ein Kirchenrath, aus den an¬ gesehensten Gemeindemitgliedern zusammengesetzt, auch Presbyterium genannt, vertritt als Ausschuß den Convent in Angelegenheiten von geringerem Be¬ lang. — Mehre Gemeinden bilden ein Seniorat, in welchem der geistliche Senior und der weltliche Senioratinspector, beide von den Gemeinden des Seniorats erwählt, Kirche und Schule überwachen. Auf dem Senioratscon- vent, der in den das ganze Seniorat betreffenden Angelegenheiten entscheidet, hat nebst dem Geistlichen und Inspector auch jedes Gemeindeglied das Recht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/424>, abgerufen am 26.07.2024.