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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Unter den unruhevollen Zuständen der damaligen Zeit kam es auch trotz
dieses Friedens zu keiner vollständigen Toleranz; Religionsstörungen fanden
nicht selten statt; die factische Ausübung der durch das Gesetz gewährleisteten
Religionsfreiheit stieß häusig auf Widerstand. Die Negierung Leopolds I.
(1657--1705) war für die Protestanten, wie für Ungarn überhaupt eine trau¬
rige Epoche. Leopold, von jesuitischen Rathgebern geleitet, ließ die Prote¬
stanten offen verfolgen, sie wegen ihrer Religion schon im vorhinein als
Rebellen betrachtend. Es kam aus diesen und aus politischen Ursachen zu
blutigen Bürgerkriegen; die Neichstagsartikel des Jahres 1681 enthielten wol
bezüglich der Herstellung der Nationalfreiheiten und in Religionssachen Zu¬
geständnisse, im Jahr 1687 erfolgte aber das Blutgericht des Carasfa in
Eperies, und ein ähnlicher Geist weht auch durch den Rest der langen Re-
gierungszeit Leopolds. Joseph I. folgte einem milderen System, und wünschte
aufrichtig die Pacisication des Landes; der von seinem Vater übernommene
Krieg mit Rakoczy jedoch dauerte auch in den ersten Jahren seiner Regierung
fort. 1705 nahmen die Seemächte an den Unterhandlungen zwischen Rakoczy
und dem kaiserlichen Hof Theil, denn ihre Garantie wurde von den Insur¬
genten verlangt. Die traurige Periode der Religionsverfolgungen und Auf¬
stände erreichte erst mit dem szathmarer Frieden 1711 ein Ende.

Unter Karl III. (VI.) und Maria Theresia genossen die Protestanten in
Ungarn wol des gesetzlichen Schutzes ihrer Religion, es galt dies jedoch nicht
als Recht, sondern als Ausfluß kaiserlicher Gnade. Ohne groben Verfol¬
gungen ausgesetzt zu sein, die ejn Rescript Karl III. vom Jahr 1723 auf
das strengste verbot, waren sie in der Religionsübung bedrückt, lästigen Be¬
schränkungen unterworfen, höchstens im Bestehen geduldet; an eine Ausbreitung
war nicht zu denken, neue Gotteshäuser zu bauen gestattete der Hof sehr sel¬
ten; nur wenige in den Gesetzen namentlich angeführte Kirchen waren be¬
willigt: in diesem Sinn fand die Auslegung des Wortes Religionsfreiheit
statt. Zweifelhafte Fälle erhielten ihre Entscheidung durch sogenannte Inti¬
mste der ungarischen Hofkammer zu Wien oder Seiner Majestät selbst, die
zuweilen in humanen Sinn abgefaßt, häusiger aber von strengkatholischen
Grundsätzen eingegeben waren.

- Das Tvlercmzcdict Kaiser Joseph II. besserte die Lage der Protestanten
-auch in Ungarn, doch blieb es in seinen Folgen mehr für die deutschen
Provinzen der Monarchie wirksam, für die es Staatsgesetz wurde, während
die Ungarn den Gesetzen Josephs nach seinem Tod als ungesetzmäßig, weil
nicht auf constitutionelle Art, unter Mitwirkung der beiden Häuser des Land¬
tags gegeben, die Anerkennung versagten. Viele seiner Reformen und Ein¬
führungen schaffte das Land wieder ab, die durch das Toleranzedict verlie¬
hene Glaubensfreiheit aber nahm der Landtag von 1790/1 für Ungarn im


Unter den unruhevollen Zuständen der damaligen Zeit kam es auch trotz
dieses Friedens zu keiner vollständigen Toleranz; Religionsstörungen fanden
nicht selten statt; die factische Ausübung der durch das Gesetz gewährleisteten
Religionsfreiheit stieß häusig auf Widerstand. Die Negierung Leopolds I.
(1657—1705) war für die Protestanten, wie für Ungarn überhaupt eine trau¬
rige Epoche. Leopold, von jesuitischen Rathgebern geleitet, ließ die Prote¬
stanten offen verfolgen, sie wegen ihrer Religion schon im vorhinein als
Rebellen betrachtend. Es kam aus diesen und aus politischen Ursachen zu
blutigen Bürgerkriegen; die Neichstagsartikel des Jahres 1681 enthielten wol
bezüglich der Herstellung der Nationalfreiheiten und in Religionssachen Zu¬
geständnisse, im Jahr 1687 erfolgte aber das Blutgericht des Carasfa in
Eperies, und ein ähnlicher Geist weht auch durch den Rest der langen Re-
gierungszeit Leopolds. Joseph I. folgte einem milderen System, und wünschte
aufrichtig die Pacisication des Landes; der von seinem Vater übernommene
Krieg mit Rakoczy jedoch dauerte auch in den ersten Jahren seiner Regierung
fort. 1705 nahmen die Seemächte an den Unterhandlungen zwischen Rakoczy
und dem kaiserlichen Hof Theil, denn ihre Garantie wurde von den Insur¬
genten verlangt. Die traurige Periode der Religionsverfolgungen und Auf¬
stände erreichte erst mit dem szathmarer Frieden 1711 ein Ende.

Unter Karl III. (VI.) und Maria Theresia genossen die Protestanten in
Ungarn wol des gesetzlichen Schutzes ihrer Religion, es galt dies jedoch nicht
als Recht, sondern als Ausfluß kaiserlicher Gnade. Ohne groben Verfol¬
gungen ausgesetzt zu sein, die ejn Rescript Karl III. vom Jahr 1723 auf
das strengste verbot, waren sie in der Religionsübung bedrückt, lästigen Be¬
schränkungen unterworfen, höchstens im Bestehen geduldet; an eine Ausbreitung
war nicht zu denken, neue Gotteshäuser zu bauen gestattete der Hof sehr sel¬
ten; nur wenige in den Gesetzen namentlich angeführte Kirchen waren be¬
willigt: in diesem Sinn fand die Auslegung des Wortes Religionsfreiheit
statt. Zweifelhafte Fälle erhielten ihre Entscheidung durch sogenannte Inti¬
mste der ungarischen Hofkammer zu Wien oder Seiner Majestät selbst, die
zuweilen in humanen Sinn abgefaßt, häusiger aber von strengkatholischen
Grundsätzen eingegeben waren.

- Das Tvlercmzcdict Kaiser Joseph II. besserte die Lage der Protestanten
-auch in Ungarn, doch blieb es in seinen Folgen mehr für die deutschen
Provinzen der Monarchie wirksam, für die es Staatsgesetz wurde, während
die Ungarn den Gesetzen Josephs nach seinem Tod als ungesetzmäßig, weil
nicht auf constitutionelle Art, unter Mitwirkung der beiden Häuser des Land¬
tags gegeben, die Anerkennung versagten. Viele seiner Reformen und Ein¬
führungen schaffte das Land wieder ab, die durch das Toleranzedict verlie¬
hene Glaubensfreiheit aber nahm der Landtag von 1790/1 für Ungarn im


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[0422] Unter den unruhevollen Zuständen der damaligen Zeit kam es auch trotz dieses Friedens zu keiner vollständigen Toleranz; Religionsstörungen fanden nicht selten statt; die factische Ausübung der durch das Gesetz gewährleisteten Religionsfreiheit stieß häusig auf Widerstand. Die Negierung Leopolds I. (1657—1705) war für die Protestanten, wie für Ungarn überhaupt eine trau¬ rige Epoche. Leopold, von jesuitischen Rathgebern geleitet, ließ die Prote¬ stanten offen verfolgen, sie wegen ihrer Religion schon im vorhinein als Rebellen betrachtend. Es kam aus diesen und aus politischen Ursachen zu blutigen Bürgerkriegen; die Neichstagsartikel des Jahres 1681 enthielten wol bezüglich der Herstellung der Nationalfreiheiten und in Religionssachen Zu¬ geständnisse, im Jahr 1687 erfolgte aber das Blutgericht des Carasfa in Eperies, und ein ähnlicher Geist weht auch durch den Rest der langen Re- gierungszeit Leopolds. Joseph I. folgte einem milderen System, und wünschte aufrichtig die Pacisication des Landes; der von seinem Vater übernommene Krieg mit Rakoczy jedoch dauerte auch in den ersten Jahren seiner Regierung fort. 1705 nahmen die Seemächte an den Unterhandlungen zwischen Rakoczy und dem kaiserlichen Hof Theil, denn ihre Garantie wurde von den Insur¬ genten verlangt. Die traurige Periode der Religionsverfolgungen und Auf¬ stände erreichte erst mit dem szathmarer Frieden 1711 ein Ende. Unter Karl III. (VI.) und Maria Theresia genossen die Protestanten in Ungarn wol des gesetzlichen Schutzes ihrer Religion, es galt dies jedoch nicht als Recht, sondern als Ausfluß kaiserlicher Gnade. Ohne groben Verfol¬ gungen ausgesetzt zu sein, die ejn Rescript Karl III. vom Jahr 1723 auf das strengste verbot, waren sie in der Religionsübung bedrückt, lästigen Be¬ schränkungen unterworfen, höchstens im Bestehen geduldet; an eine Ausbreitung war nicht zu denken, neue Gotteshäuser zu bauen gestattete der Hof sehr sel¬ ten; nur wenige in den Gesetzen namentlich angeführte Kirchen waren be¬ willigt: in diesem Sinn fand die Auslegung des Wortes Religionsfreiheit statt. Zweifelhafte Fälle erhielten ihre Entscheidung durch sogenannte Inti¬ mste der ungarischen Hofkammer zu Wien oder Seiner Majestät selbst, die zuweilen in humanen Sinn abgefaßt, häusiger aber von strengkatholischen Grundsätzen eingegeben waren. - Das Tvlercmzcdict Kaiser Joseph II. besserte die Lage der Protestanten -auch in Ungarn, doch blieb es in seinen Folgen mehr für die deutschen Provinzen der Monarchie wirksam, für die es Staatsgesetz wurde, während die Ungarn den Gesetzen Josephs nach seinem Tod als ungesetzmäßig, weil nicht auf constitutionelle Art, unter Mitwirkung der beiden Häuser des Land¬ tags gegeben, die Anerkennung versagten. Viele seiner Reformen und Ein¬ führungen schaffte das Land wieder ab, die durch das Toleranzedict verlie¬ hene Glaubensfreiheit aber nahm der Landtag von 1790/1 für Ungarn im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/422>, abgerufen am 26.07.2024.