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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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steht darunter so viel wie unreif, unfertig, unschön, und glaubt dann wol gar
den Dichter zu ehren, wenn man hinzusetzt, in den schlechten Versen zeige sich
ein edles Gemüth! Schillers Größe liegt, wie wir gezeigt haben, aus einem
ganz anderen Felde.

Man nehme einen Versuch zur Hand, den er selber als eine bloße Farce
bezeichnet und den man infolge dieser Erklärung viel zu gering anschlägt:
den Geisterseher. Ob die Geschichte eine tiefere Bedeutung hat, wollen
wir dahingestellt sein lassen, wir wollen auch die Spielereien im Geschmack
Eagliostros nicht in Schutz nehmen, obgleich man dabei die veränderte Rich¬
tung der Zeit in Anschlag bringen muß: aber läßt sich eine vortrefflichere
Form der Erzählung denken? Goethe entwickelt in kleinen Bildern eine plastische
Kunst, der nichts an die Seite zu stellen ist; was aber die großen Umrisse der
Erzählung betrifft, so nehmen wir^ keinen Anstand, nach diesem bloßen Torso
des Geistersehers Schiller den Vorzug vor dem Dichter des Wilhelm Meister
zuzuerkennen. Ueber ein solches Urtheil würde niemand so verwundert sein,
als Schiller selbst; aber kein Dichter hat sein Talent so oft verkannt als
Schiller, vielleicht weil er zu sehr über sich selbst reflectirte. Seinen historischen
Schriften ist viel Schlimmes nachgesagt, und die Gründlichkeit seines Quellen-
studiums ist in der That nicht als Vorbild zu empfehlen, aber auch hier zeigt
sich jener wunderbare Sinn für das Wesentliche und Bedeutende in den That¬
sachen, der Schiller in seinen historischen Dramen zu einem so vorwiegend
objectiven und realistischen Dichter macht.

Goethe zeigt bereits in frühester Jugend jene Neigung zur Symbolik, die
sich in den Werken seines Alters, eigentlich schon von der natürlichen Tochter
an, immer rücksichtsloser ausspricht, die, statt die Dinge objectiv und realistisch
zu geben, auf subjectiv - idealistische Ergänzungen rechnet; eine Symbolik, die
nicht selten in Mystification ausläuft. Wo er vorwiegend Gefühlsdichter ist,
wo er nur aus dem Reichthum seiner Seele zu schöpfen hat, wie im Werther,
läßt er der Natur freien Laus; wenn es aber Gestalten gilt (einzelne glänzende
Ausnahmen, wie Hermann und Dorothea abgerechnet) verflüchtigen sich diese
leicht in Träger höherer Ideen. Die Pandora und der zweite Theil des Faust
sind doch für sein Schaffen charakteristisch. Darum war er zuerst ein Dichter
der geistigen Aristokratie, und seine Werke wurden eher mit Commentaren
versehen, ehe sie bei der Menge Eingang fanden. Noch einmal: die Aus¬
nahmen sind uns sehr wohl bekannt, man darf überhaupt eine große concrete
Erscheinung nicht unter ein fertiges Register bringen wollen, aber es kam uns
hier darauf an, eine bestimmte Seite hervorzuheben, die man bisher zu wenig
beachtet hat.

Wie sich bei Goethe ein unendlich größerer Reichthum der Empfindung
zeigt, so scheint uns auch der Schatz seiner Ideen an Umfang und an Tiefe


steht darunter so viel wie unreif, unfertig, unschön, und glaubt dann wol gar
den Dichter zu ehren, wenn man hinzusetzt, in den schlechten Versen zeige sich
ein edles Gemüth! Schillers Größe liegt, wie wir gezeigt haben, aus einem
ganz anderen Felde.

Man nehme einen Versuch zur Hand, den er selber als eine bloße Farce
bezeichnet und den man infolge dieser Erklärung viel zu gering anschlägt:
den Geisterseher. Ob die Geschichte eine tiefere Bedeutung hat, wollen
wir dahingestellt sein lassen, wir wollen auch die Spielereien im Geschmack
Eagliostros nicht in Schutz nehmen, obgleich man dabei die veränderte Rich¬
tung der Zeit in Anschlag bringen muß: aber läßt sich eine vortrefflichere
Form der Erzählung denken? Goethe entwickelt in kleinen Bildern eine plastische
Kunst, der nichts an die Seite zu stellen ist; was aber die großen Umrisse der
Erzählung betrifft, so nehmen wir^ keinen Anstand, nach diesem bloßen Torso
des Geistersehers Schiller den Vorzug vor dem Dichter des Wilhelm Meister
zuzuerkennen. Ueber ein solches Urtheil würde niemand so verwundert sein,
als Schiller selbst; aber kein Dichter hat sein Talent so oft verkannt als
Schiller, vielleicht weil er zu sehr über sich selbst reflectirte. Seinen historischen
Schriften ist viel Schlimmes nachgesagt, und die Gründlichkeit seines Quellen-
studiums ist in der That nicht als Vorbild zu empfehlen, aber auch hier zeigt
sich jener wunderbare Sinn für das Wesentliche und Bedeutende in den That¬
sachen, der Schiller in seinen historischen Dramen zu einem so vorwiegend
objectiven und realistischen Dichter macht.

Goethe zeigt bereits in frühester Jugend jene Neigung zur Symbolik, die
sich in den Werken seines Alters, eigentlich schon von der natürlichen Tochter
an, immer rücksichtsloser ausspricht, die, statt die Dinge objectiv und realistisch
zu geben, auf subjectiv - idealistische Ergänzungen rechnet; eine Symbolik, die
nicht selten in Mystification ausläuft. Wo er vorwiegend Gefühlsdichter ist,
wo er nur aus dem Reichthum seiner Seele zu schöpfen hat, wie im Werther,
läßt er der Natur freien Laus; wenn es aber Gestalten gilt (einzelne glänzende
Ausnahmen, wie Hermann und Dorothea abgerechnet) verflüchtigen sich diese
leicht in Träger höherer Ideen. Die Pandora und der zweite Theil des Faust
sind doch für sein Schaffen charakteristisch. Darum war er zuerst ein Dichter
der geistigen Aristokratie, und seine Werke wurden eher mit Commentaren
versehen, ehe sie bei der Menge Eingang fanden. Noch einmal: die Aus¬
nahmen sind uns sehr wohl bekannt, man darf überhaupt eine große concrete
Erscheinung nicht unter ein fertiges Register bringen wollen, aber es kam uns
hier darauf an, eine bestimmte Seite hervorzuheben, die man bisher zu wenig
beachtet hat.

Wie sich bei Goethe ein unendlich größerer Reichthum der Empfindung
zeigt, so scheint uns auch der Schatz seiner Ideen an Umfang und an Tiefe


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[0416] steht darunter so viel wie unreif, unfertig, unschön, und glaubt dann wol gar den Dichter zu ehren, wenn man hinzusetzt, in den schlechten Versen zeige sich ein edles Gemüth! Schillers Größe liegt, wie wir gezeigt haben, aus einem ganz anderen Felde. Man nehme einen Versuch zur Hand, den er selber als eine bloße Farce bezeichnet und den man infolge dieser Erklärung viel zu gering anschlägt: den Geisterseher. Ob die Geschichte eine tiefere Bedeutung hat, wollen wir dahingestellt sein lassen, wir wollen auch die Spielereien im Geschmack Eagliostros nicht in Schutz nehmen, obgleich man dabei die veränderte Rich¬ tung der Zeit in Anschlag bringen muß: aber läßt sich eine vortrefflichere Form der Erzählung denken? Goethe entwickelt in kleinen Bildern eine plastische Kunst, der nichts an die Seite zu stellen ist; was aber die großen Umrisse der Erzählung betrifft, so nehmen wir^ keinen Anstand, nach diesem bloßen Torso des Geistersehers Schiller den Vorzug vor dem Dichter des Wilhelm Meister zuzuerkennen. Ueber ein solches Urtheil würde niemand so verwundert sein, als Schiller selbst; aber kein Dichter hat sein Talent so oft verkannt als Schiller, vielleicht weil er zu sehr über sich selbst reflectirte. Seinen historischen Schriften ist viel Schlimmes nachgesagt, und die Gründlichkeit seines Quellen- studiums ist in der That nicht als Vorbild zu empfehlen, aber auch hier zeigt sich jener wunderbare Sinn für das Wesentliche und Bedeutende in den That¬ sachen, der Schiller in seinen historischen Dramen zu einem so vorwiegend objectiven und realistischen Dichter macht. Goethe zeigt bereits in frühester Jugend jene Neigung zur Symbolik, die sich in den Werken seines Alters, eigentlich schon von der natürlichen Tochter an, immer rücksichtsloser ausspricht, die, statt die Dinge objectiv und realistisch zu geben, auf subjectiv - idealistische Ergänzungen rechnet; eine Symbolik, die nicht selten in Mystification ausläuft. Wo er vorwiegend Gefühlsdichter ist, wo er nur aus dem Reichthum seiner Seele zu schöpfen hat, wie im Werther, läßt er der Natur freien Laus; wenn es aber Gestalten gilt (einzelne glänzende Ausnahmen, wie Hermann und Dorothea abgerechnet) verflüchtigen sich diese leicht in Träger höherer Ideen. Die Pandora und der zweite Theil des Faust sind doch für sein Schaffen charakteristisch. Darum war er zuerst ein Dichter der geistigen Aristokratie, und seine Werke wurden eher mit Commentaren versehen, ehe sie bei der Menge Eingang fanden. Noch einmal: die Aus¬ nahmen sind uns sehr wohl bekannt, man darf überhaupt eine große concrete Erscheinung nicht unter ein fertiges Register bringen wollen, aber es kam uns hier darauf an, eine bestimmte Seite hervorzuheben, die man bisher zu wenig beachtet hat. Wie sich bei Goethe ein unendlich größerer Reichthum der Empfindung zeigt, so scheint uns auch der Schatz seiner Ideen an Umfang und an Tiefe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/416>, abgerufen am 26.07.2024.