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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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folgenden Jahrzehnte, als höchstens die innere Morschheit und Zerrüttung.
Mit Wilhelm von Oranien war der letzte Staatsmann zur Gruft getragen
worden, der noch mit umfassenden Blick ein größeres Ziel erstrebte. Seit¬
dem blieb die Politik, wie die Männer, die sie leiteten, klein; selbst der
furchtbare spanische Erbfolgekrieg wurde bald zum niedrigen Cabinetskrieg.
Andern Staaten Verlegenheiten zu bereiten, sich selbst in undurchdringliches
Dunkel zu hüllen, galt den Cabineten als vollendete Staatskunst, und das
Rüstzeug dazu bestand in den gewöhnlichen Künsten der Hinterlist, Verstellung
und Bestechung. Kein Wunder, daß die politische Wetterfahne so veränder¬
lich war, daß kaum geschlossene Bündnisse im Handumdrehen aufgelöst wurden,
um neue entgegengesetzte zu bilden, die kein besseres Schicksal hatten. In
den Memoiren von Brandenburg wirft Friedrich II. den Ministern seines
Vaters vor, daß sie jenen fünfzig und mehr Verträge in seinem Leben hätten
schließen lassen, von denen kaum einer oder der andre Folgen gehabt Hütte.
Aber freilich, wie die Höfe untereinander und gegeneinander inrnguirtcn, so
waren auch die einzelnen wieder in sich selbst in Parteien zerrisse"?, denen der
eigne Sieg und Vortheil mehr galt als das Vaterland. Dennoch kann man
grade diesen gänzlichen Verfall jeder gesunden Staatspolitik als das Anzeichen
einer neuen Erhebung betrachten. Einem kräftigen und ausdauernden Mann --
erstehe er, wo er wolle -- schien das Glück lächeln zu müssen. Ein wohl¬
thätiger Sturm mußte die Stagnation aufrütteln, die schwere Luft wieder
reinigen. Ganz besonders in Preußen zeigten sich die Vorboten einer frische¬
ren Zeit. Ein geregelter Staatshaushalt und Sicherheit der Finanzen sowol,
als eine zur lebendigen Maschine abgedrillte Armee gaben dem aufstrebenden
Staat das Gefühl der Kraft, und mit ihm das Verlangen nach größerem
Einfluß und größerer Wichtigkeit. So mußte eine Vergrößerung um Umfang
ein Hauptaugenmerk der preußischen Staatsmänner werden. Friedrich Wil¬
helms I. Dichten und Trachten war unablässig darauf gerichtet, und wer von
den fremden Mächten ihm eine Erweiterung seiner Grenzen versprach, und
ihn in seinem Streben darnach zu unterstützen verhieß, der konnte sicher auf
ihn rechnen. Fast die ganze damalige Politik Preußens wird hierdurch er¬
klärt, und Friedrichs II. spätere Kriege sind nur die folgerichtigen Ergebnisse
der vorhergehenden Periode.

Die Verbindung dieser Begebenheiten ist enger, als man gewöhnlich an¬
nimmt. War doch der Günstling Friedrich Wilhelms, der General von Grumb¬
kow, lange Zeit auch der Vertraute des Kronprinzen, auf den er bedeutenden
Einfluß besaß. Die Familie derer von Grumbkow ist eines der ältesten Adels¬
geschlechter aus Pommern, wo sie im Besitz großer Güter war, die jetzt frei¬
lich in andre Hände übergegangen sind. Friedrich Wilhelm von Grumbkow
wurde den 4. October lV78 zu Berlin geboren. Sein Großvater war lur-


Gveuzbotm IV. 1858. 47

folgenden Jahrzehnte, als höchstens die innere Morschheit und Zerrüttung.
Mit Wilhelm von Oranien war der letzte Staatsmann zur Gruft getragen
worden, der noch mit umfassenden Blick ein größeres Ziel erstrebte. Seit¬
dem blieb die Politik, wie die Männer, die sie leiteten, klein; selbst der
furchtbare spanische Erbfolgekrieg wurde bald zum niedrigen Cabinetskrieg.
Andern Staaten Verlegenheiten zu bereiten, sich selbst in undurchdringliches
Dunkel zu hüllen, galt den Cabineten als vollendete Staatskunst, und das
Rüstzeug dazu bestand in den gewöhnlichen Künsten der Hinterlist, Verstellung
und Bestechung. Kein Wunder, daß die politische Wetterfahne so veränder¬
lich war, daß kaum geschlossene Bündnisse im Handumdrehen aufgelöst wurden,
um neue entgegengesetzte zu bilden, die kein besseres Schicksal hatten. In
den Memoiren von Brandenburg wirft Friedrich II. den Ministern seines
Vaters vor, daß sie jenen fünfzig und mehr Verträge in seinem Leben hätten
schließen lassen, von denen kaum einer oder der andre Folgen gehabt Hütte.
Aber freilich, wie die Höfe untereinander und gegeneinander inrnguirtcn, so
waren auch die einzelnen wieder in sich selbst in Parteien zerrisse«?, denen der
eigne Sieg und Vortheil mehr galt als das Vaterland. Dennoch kann man
grade diesen gänzlichen Verfall jeder gesunden Staatspolitik als das Anzeichen
einer neuen Erhebung betrachten. Einem kräftigen und ausdauernden Mann —
erstehe er, wo er wolle — schien das Glück lächeln zu müssen. Ein wohl¬
thätiger Sturm mußte die Stagnation aufrütteln, die schwere Luft wieder
reinigen. Ganz besonders in Preußen zeigten sich die Vorboten einer frische¬
ren Zeit. Ein geregelter Staatshaushalt und Sicherheit der Finanzen sowol,
als eine zur lebendigen Maschine abgedrillte Armee gaben dem aufstrebenden
Staat das Gefühl der Kraft, und mit ihm das Verlangen nach größerem
Einfluß und größerer Wichtigkeit. So mußte eine Vergrößerung um Umfang
ein Hauptaugenmerk der preußischen Staatsmänner werden. Friedrich Wil¬
helms I. Dichten und Trachten war unablässig darauf gerichtet, und wer von
den fremden Mächten ihm eine Erweiterung seiner Grenzen versprach, und
ihn in seinem Streben darnach zu unterstützen verhieß, der konnte sicher auf
ihn rechnen. Fast die ganze damalige Politik Preußens wird hierdurch er¬
klärt, und Friedrichs II. spätere Kriege sind nur die folgerichtigen Ergebnisse
der vorhergehenden Periode.

Die Verbindung dieser Begebenheiten ist enger, als man gewöhnlich an¬
nimmt. War doch der Günstling Friedrich Wilhelms, der General von Grumb¬
kow, lange Zeit auch der Vertraute des Kronprinzen, auf den er bedeutenden
Einfluß besaß. Die Familie derer von Grumbkow ist eines der ältesten Adels¬
geschlechter aus Pommern, wo sie im Besitz großer Güter war, die jetzt frei¬
lich in andre Hände übergegangen sind. Friedrich Wilhelm von Grumbkow
wurde den 4. October lV78 zu Berlin geboren. Sein Großvater war lur-


Gveuzbotm IV. 1858. 47
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[0377] folgenden Jahrzehnte, als höchstens die innere Morschheit und Zerrüttung. Mit Wilhelm von Oranien war der letzte Staatsmann zur Gruft getragen worden, der noch mit umfassenden Blick ein größeres Ziel erstrebte. Seit¬ dem blieb die Politik, wie die Männer, die sie leiteten, klein; selbst der furchtbare spanische Erbfolgekrieg wurde bald zum niedrigen Cabinetskrieg. Andern Staaten Verlegenheiten zu bereiten, sich selbst in undurchdringliches Dunkel zu hüllen, galt den Cabineten als vollendete Staatskunst, und das Rüstzeug dazu bestand in den gewöhnlichen Künsten der Hinterlist, Verstellung und Bestechung. Kein Wunder, daß die politische Wetterfahne so veränder¬ lich war, daß kaum geschlossene Bündnisse im Handumdrehen aufgelöst wurden, um neue entgegengesetzte zu bilden, die kein besseres Schicksal hatten. In den Memoiren von Brandenburg wirft Friedrich II. den Ministern seines Vaters vor, daß sie jenen fünfzig und mehr Verträge in seinem Leben hätten schließen lassen, von denen kaum einer oder der andre Folgen gehabt Hütte. Aber freilich, wie die Höfe untereinander und gegeneinander inrnguirtcn, so waren auch die einzelnen wieder in sich selbst in Parteien zerrisse«?, denen der eigne Sieg und Vortheil mehr galt als das Vaterland. Dennoch kann man grade diesen gänzlichen Verfall jeder gesunden Staatspolitik als das Anzeichen einer neuen Erhebung betrachten. Einem kräftigen und ausdauernden Mann — erstehe er, wo er wolle — schien das Glück lächeln zu müssen. Ein wohl¬ thätiger Sturm mußte die Stagnation aufrütteln, die schwere Luft wieder reinigen. Ganz besonders in Preußen zeigten sich die Vorboten einer frische¬ ren Zeit. Ein geregelter Staatshaushalt und Sicherheit der Finanzen sowol, als eine zur lebendigen Maschine abgedrillte Armee gaben dem aufstrebenden Staat das Gefühl der Kraft, und mit ihm das Verlangen nach größerem Einfluß und größerer Wichtigkeit. So mußte eine Vergrößerung um Umfang ein Hauptaugenmerk der preußischen Staatsmänner werden. Friedrich Wil¬ helms I. Dichten und Trachten war unablässig darauf gerichtet, und wer von den fremden Mächten ihm eine Erweiterung seiner Grenzen versprach, und ihn in seinem Streben darnach zu unterstützen verhieß, der konnte sicher auf ihn rechnen. Fast die ganze damalige Politik Preußens wird hierdurch er¬ klärt, und Friedrichs II. spätere Kriege sind nur die folgerichtigen Ergebnisse der vorhergehenden Periode. Die Verbindung dieser Begebenheiten ist enger, als man gewöhnlich an¬ nimmt. War doch der Günstling Friedrich Wilhelms, der General von Grumb¬ kow, lange Zeit auch der Vertraute des Kronprinzen, auf den er bedeutenden Einfluß besaß. Die Familie derer von Grumbkow ist eines der ältesten Adels¬ geschlechter aus Pommern, wo sie im Besitz großer Güter war, die jetzt frei¬ lich in andre Hände übergegangen sind. Friedrich Wilhelm von Grumbkow wurde den 4. October lV78 zu Berlin geboren. Sein Großvater war lur- Gveuzbotm IV. 1858. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/377>, abgerufen am 22.07.2024.