Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn übrigens in diesen Stellen immer nur die Demokraten als die
echten "Sündenlümmel" dargestellt werden, die aus dem "Gnadenhimmel"
verbannt sind, so geht es an andern Stellen den Gothaem nicht besser, und
wenn bei einem Besuch in der Paulskirche (1. B. S. 113 u. ff.) die
Persönlichkeiten Gagerns und anderer Gothaer aus Vilmar gradezu einen
imponirenden Eindruck machen, so spricht das mehr für die Fähigkeit seines
Auges, zu sehn, wenn es aufgemacht wird, als für die Consequenz seiner Ein¬
sicht und seiner Ueberzeugung.

Lassen wir indeß die unerquickliche Politik bei Seite und wenden uns
zur Religion. Eine der interessantesten Predigten ist "der gekreuzigte Christus,
den Juden ein Aergerniß und den Griechen eine Thorheit, 1851." Den Ju¬
den ist Christus ein Aergerniß gewesen, weil seine Weltreligion den jüdischen
Patriotismus zerstörte; den Griechen dagegen "erschien der gekreuzigte Christus
als ein unfertiges und ungeschicktes Religionsexperiment auf einem ganz un¬
tergeordneten Standpunkt. Er erschien ihnen, die schon alles, was ihnen Re¬
ligion war, besaßen oder vielmehr besessen hatten (denn ihre schönen Götter
waren ihnen selbst bereits zum Spott geworden), nichts weniger als gefährlich
(wie er den Juden erschienen war), sondern nur lächerlich: wenn sie über
ihre schönen Götter längst herausgekommen, wie sollte ihnen der häßliche ge¬
kreuzigte Gott irgend etwas anders abgewinnen, als ein mitleidiges Lächeln?"

So wie in der Periode der Apostel, so ist es gewesen und so wird es
sein zu allen Zeiten. "Wie paßt -- sagen unsre neumodigen Griechen ganz
grade so, wie die Griechen zu des Apostels Zeiten -- der gekreuzigte Christus
mit seinen seltsamen Wundern in unsre fortgeschrittene Bildung? Entweder
er muß sich nach uns bequemen und zu einem gebildeten Griechen werden,
wie wir das sind, oder wir wollen nichts von ihm wissen, und können ihn
in unsre Welt der Wissenschaft und Kunst, in unsre Politik, in unsre geselli¬
gen Freuden und Genüsse hinein nicht brauchen. Solche Leute stellen sich an
und für sich gar nicht feindlich an gegen Christus;- sie bekennen mit dem hei¬
tersten Gesicht: freilich, die Religion fehle ihnen, bedauern auch wol, daß sie
nun einmal nicht christlich werden könnten, und erklären mit scheinbarer großer
Toleranz, jedem seine Ueberzeugung lassen zu wollen. Kunst, Wissenschaft
und in der neuern Zeit Tagespolitik ist ihnen das Höchste im Leben." --
Das sind die Griechen. -- "Eine andere, in den letzten 60, besonders aber
in den letzten 10--20 Jahren immer stärker angewachsene Menschenmasse fühlte,
ganz ähnlich den Juden zur apostolischen Zeit, daß der gekreuzigte Christus
ihnen in ihrem rein nationalen Bestreben, in ihrem blos aus das Diesseits
gerichteten Treiben ein unübersteigliches Hinderniß ist. Jene kennen Christum
nicht, und verachten ihn; diese kennen Christum, und fluchen ihm". -- "So
steht es jetzt; massenhaft sind die Griechen, denen Christus eine Thorheit


Wenn übrigens in diesen Stellen immer nur die Demokraten als die
echten „Sündenlümmel" dargestellt werden, die aus dem „Gnadenhimmel"
verbannt sind, so geht es an andern Stellen den Gothaem nicht besser, und
wenn bei einem Besuch in der Paulskirche (1. B. S. 113 u. ff.) die
Persönlichkeiten Gagerns und anderer Gothaer aus Vilmar gradezu einen
imponirenden Eindruck machen, so spricht das mehr für die Fähigkeit seines
Auges, zu sehn, wenn es aufgemacht wird, als für die Consequenz seiner Ein¬
sicht und seiner Ueberzeugung.

Lassen wir indeß die unerquickliche Politik bei Seite und wenden uns
zur Religion. Eine der interessantesten Predigten ist „der gekreuzigte Christus,
den Juden ein Aergerniß und den Griechen eine Thorheit, 1851." Den Ju¬
den ist Christus ein Aergerniß gewesen, weil seine Weltreligion den jüdischen
Patriotismus zerstörte; den Griechen dagegen „erschien der gekreuzigte Christus
als ein unfertiges und ungeschicktes Religionsexperiment auf einem ganz un¬
tergeordneten Standpunkt. Er erschien ihnen, die schon alles, was ihnen Re¬
ligion war, besaßen oder vielmehr besessen hatten (denn ihre schönen Götter
waren ihnen selbst bereits zum Spott geworden), nichts weniger als gefährlich
(wie er den Juden erschienen war), sondern nur lächerlich: wenn sie über
ihre schönen Götter längst herausgekommen, wie sollte ihnen der häßliche ge¬
kreuzigte Gott irgend etwas anders abgewinnen, als ein mitleidiges Lächeln?"

So wie in der Periode der Apostel, so ist es gewesen und so wird es
sein zu allen Zeiten. „Wie paßt — sagen unsre neumodigen Griechen ganz
grade so, wie die Griechen zu des Apostels Zeiten — der gekreuzigte Christus
mit seinen seltsamen Wundern in unsre fortgeschrittene Bildung? Entweder
er muß sich nach uns bequemen und zu einem gebildeten Griechen werden,
wie wir das sind, oder wir wollen nichts von ihm wissen, und können ihn
in unsre Welt der Wissenschaft und Kunst, in unsre Politik, in unsre geselli¬
gen Freuden und Genüsse hinein nicht brauchen. Solche Leute stellen sich an
und für sich gar nicht feindlich an gegen Christus;- sie bekennen mit dem hei¬
tersten Gesicht: freilich, die Religion fehle ihnen, bedauern auch wol, daß sie
nun einmal nicht christlich werden könnten, und erklären mit scheinbarer großer
Toleranz, jedem seine Ueberzeugung lassen zu wollen. Kunst, Wissenschaft
und in der neuern Zeit Tagespolitik ist ihnen das Höchste im Leben." —
Das sind die Griechen. — „Eine andere, in den letzten 60, besonders aber
in den letzten 10—20 Jahren immer stärker angewachsene Menschenmasse fühlte,
ganz ähnlich den Juden zur apostolischen Zeit, daß der gekreuzigte Christus
ihnen in ihrem rein nationalen Bestreben, in ihrem blos aus das Diesseits
gerichteten Treiben ein unübersteigliches Hinderniß ist. Jene kennen Christum
nicht, und verachten ihn; diese kennen Christum, und fluchen ihm". — „So
steht es jetzt; massenhaft sind die Griechen, denen Christus eine Thorheit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0372" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266181"/>
          <p xml:id="ID_995"> Wenn übrigens in diesen Stellen immer nur die Demokraten als die<lb/>
echten &#x201E;Sündenlümmel" dargestellt werden, die aus dem &#x201E;Gnadenhimmel"<lb/>
verbannt sind, so geht es an andern Stellen den Gothaem nicht besser, und<lb/>
wenn bei einem Besuch in der Paulskirche (1. B. S. 113 u. ff.) die<lb/>
Persönlichkeiten Gagerns und anderer Gothaer aus Vilmar gradezu einen<lb/>
imponirenden Eindruck machen, so spricht das mehr für die Fähigkeit seines<lb/>
Auges, zu sehn, wenn es aufgemacht wird, als für die Consequenz seiner Ein¬<lb/>
sicht und seiner Ueberzeugung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_996"> Lassen wir indeß die unerquickliche Politik bei Seite und wenden uns<lb/>
zur Religion. Eine der interessantesten Predigten ist &#x201E;der gekreuzigte Christus,<lb/>
den Juden ein Aergerniß und den Griechen eine Thorheit, 1851." Den Ju¬<lb/>
den ist Christus ein Aergerniß gewesen, weil seine Weltreligion den jüdischen<lb/>
Patriotismus zerstörte; den Griechen dagegen &#x201E;erschien der gekreuzigte Christus<lb/>
als ein unfertiges und ungeschicktes Religionsexperiment auf einem ganz un¬<lb/>
tergeordneten Standpunkt. Er erschien ihnen, die schon alles, was ihnen Re¬<lb/>
ligion war, besaßen oder vielmehr besessen hatten (denn ihre schönen Götter<lb/>
waren ihnen selbst bereits zum Spott geworden), nichts weniger als gefährlich<lb/>
(wie er den Juden erschienen war), sondern nur lächerlich: wenn sie über<lb/>
ihre schönen Götter längst herausgekommen, wie sollte ihnen der häßliche ge¬<lb/>
kreuzigte Gott irgend etwas anders abgewinnen, als ein mitleidiges Lächeln?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_997" next="#ID_998"> So wie in der Periode der Apostel, so ist es gewesen und so wird es<lb/>
sein zu allen Zeiten. &#x201E;Wie paßt &#x2014; sagen unsre neumodigen Griechen ganz<lb/>
grade so, wie die Griechen zu des Apostels Zeiten &#x2014; der gekreuzigte Christus<lb/>
mit seinen seltsamen Wundern in unsre fortgeschrittene Bildung? Entweder<lb/>
er muß sich nach uns bequemen und zu einem gebildeten Griechen werden,<lb/>
wie wir das sind, oder wir wollen nichts von ihm wissen, und können ihn<lb/>
in unsre Welt der Wissenschaft und Kunst, in unsre Politik, in unsre geselli¬<lb/>
gen Freuden und Genüsse hinein nicht brauchen. Solche Leute stellen sich an<lb/>
und für sich gar nicht feindlich an gegen Christus;- sie bekennen mit dem hei¬<lb/>
tersten Gesicht: freilich, die Religion fehle ihnen, bedauern auch wol, daß sie<lb/>
nun einmal nicht christlich werden könnten, und erklären mit scheinbarer großer<lb/>
Toleranz, jedem seine Ueberzeugung lassen zu wollen. Kunst, Wissenschaft<lb/>
und in der neuern Zeit Tagespolitik ist ihnen das Höchste im Leben." &#x2014;<lb/>
Das sind die Griechen. &#x2014; &#x201E;Eine andere, in den letzten 60, besonders aber<lb/>
in den letzten 10&#x2014;20 Jahren immer stärker angewachsene Menschenmasse fühlte,<lb/>
ganz ähnlich den Juden zur apostolischen Zeit, daß der gekreuzigte Christus<lb/>
ihnen in ihrem rein nationalen Bestreben, in ihrem blos aus das Diesseits<lb/>
gerichteten Treiben ein unübersteigliches Hinderniß ist. Jene kennen Christum<lb/>
nicht, und verachten ihn; diese kennen Christum, und fluchen ihm". &#x2014; &#x201E;So<lb/>
steht es jetzt; massenhaft sind die Griechen, denen Christus eine Thorheit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0372] Wenn übrigens in diesen Stellen immer nur die Demokraten als die echten „Sündenlümmel" dargestellt werden, die aus dem „Gnadenhimmel" verbannt sind, so geht es an andern Stellen den Gothaem nicht besser, und wenn bei einem Besuch in der Paulskirche (1. B. S. 113 u. ff.) die Persönlichkeiten Gagerns und anderer Gothaer aus Vilmar gradezu einen imponirenden Eindruck machen, so spricht das mehr für die Fähigkeit seines Auges, zu sehn, wenn es aufgemacht wird, als für die Consequenz seiner Ein¬ sicht und seiner Ueberzeugung. Lassen wir indeß die unerquickliche Politik bei Seite und wenden uns zur Religion. Eine der interessantesten Predigten ist „der gekreuzigte Christus, den Juden ein Aergerniß und den Griechen eine Thorheit, 1851." Den Ju¬ den ist Christus ein Aergerniß gewesen, weil seine Weltreligion den jüdischen Patriotismus zerstörte; den Griechen dagegen „erschien der gekreuzigte Christus als ein unfertiges und ungeschicktes Religionsexperiment auf einem ganz un¬ tergeordneten Standpunkt. Er erschien ihnen, die schon alles, was ihnen Re¬ ligion war, besaßen oder vielmehr besessen hatten (denn ihre schönen Götter waren ihnen selbst bereits zum Spott geworden), nichts weniger als gefährlich (wie er den Juden erschienen war), sondern nur lächerlich: wenn sie über ihre schönen Götter längst herausgekommen, wie sollte ihnen der häßliche ge¬ kreuzigte Gott irgend etwas anders abgewinnen, als ein mitleidiges Lächeln?" So wie in der Periode der Apostel, so ist es gewesen und so wird es sein zu allen Zeiten. „Wie paßt — sagen unsre neumodigen Griechen ganz grade so, wie die Griechen zu des Apostels Zeiten — der gekreuzigte Christus mit seinen seltsamen Wundern in unsre fortgeschrittene Bildung? Entweder er muß sich nach uns bequemen und zu einem gebildeten Griechen werden, wie wir das sind, oder wir wollen nichts von ihm wissen, und können ihn in unsre Welt der Wissenschaft und Kunst, in unsre Politik, in unsre geselli¬ gen Freuden und Genüsse hinein nicht brauchen. Solche Leute stellen sich an und für sich gar nicht feindlich an gegen Christus;- sie bekennen mit dem hei¬ tersten Gesicht: freilich, die Religion fehle ihnen, bedauern auch wol, daß sie nun einmal nicht christlich werden könnten, und erklären mit scheinbarer großer Toleranz, jedem seine Ueberzeugung lassen zu wollen. Kunst, Wissenschaft und in der neuern Zeit Tagespolitik ist ihnen das Höchste im Leben." — Das sind die Griechen. — „Eine andere, in den letzten 60, besonders aber in den letzten 10—20 Jahren immer stärker angewachsene Menschenmasse fühlte, ganz ähnlich den Juden zur apostolischen Zeit, daß der gekreuzigte Christus ihnen in ihrem rein nationalen Bestreben, in ihrem blos aus das Diesseits gerichteten Treiben ein unübersteigliches Hinderniß ist. Jene kennen Christum nicht, und verachten ihn; diese kennen Christum, und fluchen ihm". — „So steht es jetzt; massenhaft sind die Griechen, denen Christus eine Thorheit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/372
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/372>, abgerufen am 22.07.2024.