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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Bilder aus Venezuela.
' 2.
5 Physiognomie von Caracas.

Das Gebirgsthal von Caracas, welches, etwa 2800 F. hoch, parallel dem
Lauf der Cordilleren östliche Richtung hat, liegt, obgleich nur zwei gute Stun¬
den in gerader Linie vom Meere entfernt, doch wie vereinsamt und abgeschlos¬
sen von allem Weltverkehr. Nur von Nordwesten her, wo die Berge eine
offne Flucht gewähren, sendet zuweilen die See ihre rauhen Nordwinde her¬
auf, um den ewigen Frühling zu necken. Von derselben Seite kommt auch
die sechs Stunden lange, in vielfachen Krümmungen auf- und absteigende
Fahrstraße von La Guaira, und eben de^ wo die sich ausweitende Schlucht
in das Thalbecken verläuft, liegt die Hauptstadt.

Um die Physiognomie von Caracas zu gewinnen, schauen wir uns erst
die Umgebung an und besteigen den westlich gelegenen Calvarienberg, an
den sich ein Theil der Stadt anlehnt. Wir gehen zwischen ärmlichen Hütten
am kahlen Rücken hinan etwa 300 F. hoch bis an die Kapelle, hinter
welcher die allmülig steigenden Höhen erst in ziemlicher Ferne am westlichen
Horizont ihren Abschluß und zugleich ihre Vereinigung mit den südwestlichen
Bergketten finden. Die einsame dürftige Kapelle zur Seite, wenden wir den
Blick nach Osten. Ein mehr denn drei Stunden weithin gedehntes und ge¬
gen Dreiviertelstunden breites Gebirgsthal öffnet sich, ein tiefes Becken, rundum
mit hohen aber ungleichen Kanten. Vor allem links die mächtig emporra¬
gende, alles beherrschende Küstenbergkctte, die aus ihrem Scheitel meist mit
dunklem Urwald gekrönt für das Auge ihren^ Höhepunkt in der gastlich nahen
Felsenkuppe der Silla de Caracas (8,100 F. hoch) erreicht. Eine riesige Vor¬
mauer des Landes fällt sie wie aus der Meeres-, so auf der südlichen Seite
schroff ab und engt in großen, kühn gewundenen Linien den aufwärts gerich¬
teten Blick in schmale Grenzen ein. Wellenförmig zieht sich der Abhang
hin gen Osten, meist mit kahler dürrer Oberfläche, indeß wenigstens mit
einem hohen Grase bewachsen, das im Schein der Sonne gleich Sammet
und Purpur glänzt. Dagegen in den vielfachen Vertiefungen winden sich
saftig grüne Waldgruppen hinaus, die dunkle Einfassung silberhell glitzernder
Cascaden. Das ferne östliche Querjoch schließt sich nur mit einer kleinen
Lücke an die Berge der Meeresküste an und verbindet sich rechts hin unmit¬
telbar mit den in vierfach hintereinander terrassenförmig aufsteigenden Berg-
Leihen, welche nach Süden hin das Thal von Caracas einschließen und jen¬
seits nach dem Thale des Tam abfallen, um auf dessen rechtem Ufer nochmals


Grenzboten IV. 1358. 44
Bilder aus Venezuela.
' 2.
5 Physiognomie von Caracas.

Das Gebirgsthal von Caracas, welches, etwa 2800 F. hoch, parallel dem
Lauf der Cordilleren östliche Richtung hat, liegt, obgleich nur zwei gute Stun¬
den in gerader Linie vom Meere entfernt, doch wie vereinsamt und abgeschlos¬
sen von allem Weltverkehr. Nur von Nordwesten her, wo die Berge eine
offne Flucht gewähren, sendet zuweilen die See ihre rauhen Nordwinde her¬
auf, um den ewigen Frühling zu necken. Von derselben Seite kommt auch
die sechs Stunden lange, in vielfachen Krümmungen auf- und absteigende
Fahrstraße von La Guaira, und eben de^ wo die sich ausweitende Schlucht
in das Thalbecken verläuft, liegt die Hauptstadt.

Um die Physiognomie von Caracas zu gewinnen, schauen wir uns erst
die Umgebung an und besteigen den westlich gelegenen Calvarienberg, an
den sich ein Theil der Stadt anlehnt. Wir gehen zwischen ärmlichen Hütten
am kahlen Rücken hinan etwa 300 F. hoch bis an die Kapelle, hinter
welcher die allmülig steigenden Höhen erst in ziemlicher Ferne am westlichen
Horizont ihren Abschluß und zugleich ihre Vereinigung mit den südwestlichen
Bergketten finden. Die einsame dürftige Kapelle zur Seite, wenden wir den
Blick nach Osten. Ein mehr denn drei Stunden weithin gedehntes und ge¬
gen Dreiviertelstunden breites Gebirgsthal öffnet sich, ein tiefes Becken, rundum
mit hohen aber ungleichen Kanten. Vor allem links die mächtig emporra¬
gende, alles beherrschende Küstenbergkctte, die aus ihrem Scheitel meist mit
dunklem Urwald gekrönt für das Auge ihren^ Höhepunkt in der gastlich nahen
Felsenkuppe der Silla de Caracas (8,100 F. hoch) erreicht. Eine riesige Vor¬
mauer des Landes fällt sie wie aus der Meeres-, so auf der südlichen Seite
schroff ab und engt in großen, kühn gewundenen Linien den aufwärts gerich¬
teten Blick in schmale Grenzen ein. Wellenförmig zieht sich der Abhang
hin gen Osten, meist mit kahler dürrer Oberfläche, indeß wenigstens mit
einem hohen Grase bewachsen, das im Schein der Sonne gleich Sammet
und Purpur glänzt. Dagegen in den vielfachen Vertiefungen winden sich
saftig grüne Waldgruppen hinaus, die dunkle Einfassung silberhell glitzernder
Cascaden. Das ferne östliche Querjoch schließt sich nur mit einer kleinen
Lücke an die Berge der Meeresküste an und verbindet sich rechts hin unmit¬
telbar mit den in vierfach hintereinander terrassenförmig aufsteigenden Berg-
Leihen, welche nach Süden hin das Thal von Caracas einschließen und jen¬
seits nach dem Thale des Tam abfallen, um auf dessen rechtem Ufer nochmals


Grenzboten IV. 1358. 44
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[0353] Bilder aus Venezuela. ' 2. 5 Physiognomie von Caracas. Das Gebirgsthal von Caracas, welches, etwa 2800 F. hoch, parallel dem Lauf der Cordilleren östliche Richtung hat, liegt, obgleich nur zwei gute Stun¬ den in gerader Linie vom Meere entfernt, doch wie vereinsamt und abgeschlos¬ sen von allem Weltverkehr. Nur von Nordwesten her, wo die Berge eine offne Flucht gewähren, sendet zuweilen die See ihre rauhen Nordwinde her¬ auf, um den ewigen Frühling zu necken. Von derselben Seite kommt auch die sechs Stunden lange, in vielfachen Krümmungen auf- und absteigende Fahrstraße von La Guaira, und eben de^ wo die sich ausweitende Schlucht in das Thalbecken verläuft, liegt die Hauptstadt. Um die Physiognomie von Caracas zu gewinnen, schauen wir uns erst die Umgebung an und besteigen den westlich gelegenen Calvarienberg, an den sich ein Theil der Stadt anlehnt. Wir gehen zwischen ärmlichen Hütten am kahlen Rücken hinan etwa 300 F. hoch bis an die Kapelle, hinter welcher die allmülig steigenden Höhen erst in ziemlicher Ferne am westlichen Horizont ihren Abschluß und zugleich ihre Vereinigung mit den südwestlichen Bergketten finden. Die einsame dürftige Kapelle zur Seite, wenden wir den Blick nach Osten. Ein mehr denn drei Stunden weithin gedehntes und ge¬ gen Dreiviertelstunden breites Gebirgsthal öffnet sich, ein tiefes Becken, rundum mit hohen aber ungleichen Kanten. Vor allem links die mächtig emporra¬ gende, alles beherrschende Küstenbergkctte, die aus ihrem Scheitel meist mit dunklem Urwald gekrönt für das Auge ihren^ Höhepunkt in der gastlich nahen Felsenkuppe der Silla de Caracas (8,100 F. hoch) erreicht. Eine riesige Vor¬ mauer des Landes fällt sie wie aus der Meeres-, so auf der südlichen Seite schroff ab und engt in großen, kühn gewundenen Linien den aufwärts gerich¬ teten Blick in schmale Grenzen ein. Wellenförmig zieht sich der Abhang hin gen Osten, meist mit kahler dürrer Oberfläche, indeß wenigstens mit einem hohen Grase bewachsen, das im Schein der Sonne gleich Sammet und Purpur glänzt. Dagegen in den vielfachen Vertiefungen winden sich saftig grüne Waldgruppen hinaus, die dunkle Einfassung silberhell glitzernder Cascaden. Das ferne östliche Querjoch schließt sich nur mit einer kleinen Lücke an die Berge der Meeresküste an und verbindet sich rechts hin unmit¬ telbar mit den in vierfach hintereinander terrassenförmig aufsteigenden Berg- Leihen, welche nach Süden hin das Thal von Caracas einschließen und jen¬ seits nach dem Thale des Tam abfallen, um auf dessen rechtem Ufer nochmals Grenzboten IV. 1358. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/353>, abgerufen am 05.07.2024.