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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Maiqnetia. aus der flimmernden Atmosphäre der Küste ahnt er die Schwüle
des Gestades, der er sich glücklich enthoben weiß, und zu seinen Füßen zie¬
hen Wolken, die in fortwährend sich wandelnder Gestalt bald plötzlich ver¬
schwinden in schnellem Zersetzungsproceß, bald zu dichten Ballen sich zusammen-
ziehn. Zu beiden Seiten erheben sich jenseit schroffer Abgründe wellenförmig
grüne Bergrücken und lenken seinen Blick wieder zu den waldigen Höhen, die
er noch vor sich hat. An einzelnen Stellen ist die Waldung ziemlich gelich¬
tet, die Bäume sind gefällt, und der Boden trägt hie und da Spuren von
Feuer an sich, das man zur Urbarmachung angewendet hat. Aus dem "alten
Wege", dem gewöhnlichen Reitwege und der immer noch benutzten Commu-
mcationsstraße für Waaren, kann der Reisende sich und sein Thier erquicken in
einer Hütte unterhalb der von Humboldt besuchten Venta. Aber auf dem
Jndiancrsteig erfrischt ihn höchstens der Trunk, den ihm einer von jenen ge¬
fälligen Bergbewohnern reicht, die mit geringen Bedürfnissen zufrieden und
harmlos unter ihren Familien leben. Eine einfache Hütte mit Pisangblättern
gedeckt ist ihre Wohnung. Zerstreut umher liegend zeigen sich mehre solcher
Ranchos. ost auf steilen Abhängen. Das vorgestreckte Dach, auf Holzpfosten
ruhend, spendet Schatten; einige große Steine dienen als Herd, und eine
bescheidene Pflanzung von Gemüsen und Pisang umgibt das Hänschen. Dies
und ein paar Esel nebst Federvieh sind der ganze Reichthum dieser Glücklichen,
und doch spenden sie gern dem Fremdling von ihrer geringen Habe.

Schon empfangen den Reisenden kleine Kaffeepflanzungen, die in Gebirgshöhe
von mehr denn 4000 F. an freier Sonne gedeihen, ohne des schirmenden Schat¬
tens des hohen Bucare zu bedürfen; und selbst mehr denn 5000 F. hoch bewun¬
dert er Palmenwälder, die mit andern Bäumen untermischt diese überragen
und frei und luftig ihre stolzen Kronen zur Schau tragen. So ist der Wan¬
derer aus der heißen Zone in die gemäßigte eingetreten, die schon unter 2000 F.
beginnt, und hat sie beinahe bis zu ihrer oberen Grenze durchschritten. Die
Milde der Mittagswärme läßt ihn auf nicht zu kühle Nächte schließen, euro¬
päische Gemüse und ein einzelnes Nadelholz, das er zu seiner Überraschung
hier entdeckt, lassen ihn ahnen, daß so gesunde Lust, so gleichförmige Atmo¬
sphäre und so ergiebiger Boden die wahre Segensstätte für den nordischen
Ansiedler ist.

Und so hat er, auf der Höhe angelangt, schon im Borhof dieses großen
Landes, gleichsam compendiarisch die Ob"rfläche desselben, bis ans die süd¬
lich jenseit des Gebirges gelegenen Ebenen des Orinoco mit ihren reichen
Viehweiden, überschaut, seinen Charakter in großen allgemeinen Zügen er¬
kannt, und rüstet sich, seinen Schritt abwärts zu lenken. Aber auf günstige"'
freigelegenen Punkte macht er noch einmal Halt: da steht er und erblickt sich
aus freiem Gebirgsscheitel, von reinen, ätherklaren Lüften umweht, die seine


Maiqnetia. aus der flimmernden Atmosphäre der Küste ahnt er die Schwüle
des Gestades, der er sich glücklich enthoben weiß, und zu seinen Füßen zie¬
hen Wolken, die in fortwährend sich wandelnder Gestalt bald plötzlich ver¬
schwinden in schnellem Zersetzungsproceß, bald zu dichten Ballen sich zusammen-
ziehn. Zu beiden Seiten erheben sich jenseit schroffer Abgründe wellenförmig
grüne Bergrücken und lenken seinen Blick wieder zu den waldigen Höhen, die
er noch vor sich hat. An einzelnen Stellen ist die Waldung ziemlich gelich¬
tet, die Bäume sind gefällt, und der Boden trägt hie und da Spuren von
Feuer an sich, das man zur Urbarmachung angewendet hat. Aus dem „alten
Wege", dem gewöhnlichen Reitwege und der immer noch benutzten Commu-
mcationsstraße für Waaren, kann der Reisende sich und sein Thier erquicken in
einer Hütte unterhalb der von Humboldt besuchten Venta. Aber auf dem
Jndiancrsteig erfrischt ihn höchstens der Trunk, den ihm einer von jenen ge¬
fälligen Bergbewohnern reicht, die mit geringen Bedürfnissen zufrieden und
harmlos unter ihren Familien leben. Eine einfache Hütte mit Pisangblättern
gedeckt ist ihre Wohnung. Zerstreut umher liegend zeigen sich mehre solcher
Ranchos. ost auf steilen Abhängen. Das vorgestreckte Dach, auf Holzpfosten
ruhend, spendet Schatten; einige große Steine dienen als Herd, und eine
bescheidene Pflanzung von Gemüsen und Pisang umgibt das Hänschen. Dies
und ein paar Esel nebst Federvieh sind der ganze Reichthum dieser Glücklichen,
und doch spenden sie gern dem Fremdling von ihrer geringen Habe.

Schon empfangen den Reisenden kleine Kaffeepflanzungen, die in Gebirgshöhe
von mehr denn 4000 F. an freier Sonne gedeihen, ohne des schirmenden Schat¬
tens des hohen Bucare zu bedürfen; und selbst mehr denn 5000 F. hoch bewun¬
dert er Palmenwälder, die mit andern Bäumen untermischt diese überragen
und frei und luftig ihre stolzen Kronen zur Schau tragen. So ist der Wan¬
derer aus der heißen Zone in die gemäßigte eingetreten, die schon unter 2000 F.
beginnt, und hat sie beinahe bis zu ihrer oberen Grenze durchschritten. Die
Milde der Mittagswärme läßt ihn auf nicht zu kühle Nächte schließen, euro¬
päische Gemüse und ein einzelnes Nadelholz, das er zu seiner Überraschung
hier entdeckt, lassen ihn ahnen, daß so gesunde Lust, so gleichförmige Atmo¬
sphäre und so ergiebiger Boden die wahre Segensstätte für den nordischen
Ansiedler ist.

Und so hat er, auf der Höhe angelangt, schon im Borhof dieses großen
Landes, gleichsam compendiarisch die Ob»rfläche desselben, bis ans die süd¬
lich jenseit des Gebirges gelegenen Ebenen des Orinoco mit ihren reichen
Viehweiden, überschaut, seinen Charakter in großen allgemeinen Zügen er¬
kannt, und rüstet sich, seinen Schritt abwärts zu lenken. Aber auf günstige"'
freigelegenen Punkte macht er noch einmal Halt: da steht er und erblickt sich
aus freiem Gebirgsscheitel, von reinen, ätherklaren Lüften umweht, die seine


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[0320] Maiqnetia. aus der flimmernden Atmosphäre der Küste ahnt er die Schwüle des Gestades, der er sich glücklich enthoben weiß, und zu seinen Füßen zie¬ hen Wolken, die in fortwährend sich wandelnder Gestalt bald plötzlich ver¬ schwinden in schnellem Zersetzungsproceß, bald zu dichten Ballen sich zusammen- ziehn. Zu beiden Seiten erheben sich jenseit schroffer Abgründe wellenförmig grüne Bergrücken und lenken seinen Blick wieder zu den waldigen Höhen, die er noch vor sich hat. An einzelnen Stellen ist die Waldung ziemlich gelich¬ tet, die Bäume sind gefällt, und der Boden trägt hie und da Spuren von Feuer an sich, das man zur Urbarmachung angewendet hat. Aus dem „alten Wege", dem gewöhnlichen Reitwege und der immer noch benutzten Commu- mcationsstraße für Waaren, kann der Reisende sich und sein Thier erquicken in einer Hütte unterhalb der von Humboldt besuchten Venta. Aber auf dem Jndiancrsteig erfrischt ihn höchstens der Trunk, den ihm einer von jenen ge¬ fälligen Bergbewohnern reicht, die mit geringen Bedürfnissen zufrieden und harmlos unter ihren Familien leben. Eine einfache Hütte mit Pisangblättern gedeckt ist ihre Wohnung. Zerstreut umher liegend zeigen sich mehre solcher Ranchos. ost auf steilen Abhängen. Das vorgestreckte Dach, auf Holzpfosten ruhend, spendet Schatten; einige große Steine dienen als Herd, und eine bescheidene Pflanzung von Gemüsen und Pisang umgibt das Hänschen. Dies und ein paar Esel nebst Federvieh sind der ganze Reichthum dieser Glücklichen, und doch spenden sie gern dem Fremdling von ihrer geringen Habe. Schon empfangen den Reisenden kleine Kaffeepflanzungen, die in Gebirgshöhe von mehr denn 4000 F. an freier Sonne gedeihen, ohne des schirmenden Schat¬ tens des hohen Bucare zu bedürfen; und selbst mehr denn 5000 F. hoch bewun¬ dert er Palmenwälder, die mit andern Bäumen untermischt diese überragen und frei und luftig ihre stolzen Kronen zur Schau tragen. So ist der Wan¬ derer aus der heißen Zone in die gemäßigte eingetreten, die schon unter 2000 F. beginnt, und hat sie beinahe bis zu ihrer oberen Grenze durchschritten. Die Milde der Mittagswärme läßt ihn auf nicht zu kühle Nächte schließen, euro¬ päische Gemüse und ein einzelnes Nadelholz, das er zu seiner Überraschung hier entdeckt, lassen ihn ahnen, daß so gesunde Lust, so gleichförmige Atmo¬ sphäre und so ergiebiger Boden die wahre Segensstätte für den nordischen Ansiedler ist. Und so hat er, auf der Höhe angelangt, schon im Borhof dieses großen Landes, gleichsam compendiarisch die Ob»rfläche desselben, bis ans die süd¬ lich jenseit des Gebirges gelegenen Ebenen des Orinoco mit ihren reichen Viehweiden, überschaut, seinen Charakter in großen allgemeinen Zügen er¬ kannt, und rüstet sich, seinen Schritt abwärts zu lenken. Aber auf günstige"' freigelegenen Punkte macht er noch einmal Halt: da steht er und erblickt sich aus freiem Gebirgsscheitel, von reinen, ätherklaren Lüften umweht, die seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/320>, abgerufen am 05.07.2024.