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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Alterthümern der Insel gewidmet, für deren Herrlichkeit der Verfasser von
hoher Begeisterung erfüllt war. Das angeführte Buch des Grafen Borch (ur¬
sprünglich französisch geschrieben) liest sich zwar angenehmer als die meisten
damaligen Reisebeschreibungen, ist aber etwas kavaliermäßig und oberflächlich
geschrieben. Goethe (23, 311) lobt seine Abhandlung über die sicilischen
Mineralien, wenn er auch seine Thätigkeit größer findet als seine Kenntnisse
und bescheidenen Ernst bei ihm vermißt. Desto gründlicher und gewissenhaf¬
ter ist der nächste Reisende verfahren, der Sicilien beschrieb, Johann Heinrich
Barrels, dessen Briefe über Calnbrien und Sicilien 1787 erschienen. Er durchwan¬
derte ganz Calabrien bis Reggio, das noch überall von den Verwüstungen des
furchtbaren Erdbebens von 1783 erfüllt war. Durch sein ganzes Buch geht das
Bestreben, den gewöhnlichen Vorurtheilen über diesen vielgeschmähten Volks¬
stamm entgegenzutreten und die guten Eigenschaften hervorzuheben, die er auch
unter dem Druck einer scheußlichen Mißregierung bewahrte. Ihm siel die un¬
erschütterliche Treue auf, mit der sie trotzdem an dem Königshause hingen,
die sich bald auf eine so außerordentliche Weise bewähren sollte. Durchgängig
fand ich die Bemerkung wahr, daß selbst bei dem tiefsten Gefühl des Drucks
und bei dem freien Geständnis! desselben keiner von den Unterthanen auch nur
eine Silbe gegen den König ausstieß. Der Calabrese gleicht hierin völlig dem
Franzosen, auch selbst in dem Augenblick, da man ihm die Kehle zuschnürt,
ruft er sein Vive 1s roi! Man suchte unablässig Gründe, den König zu ent¬
schuldigen, und wenn gleich, sagten sie, es immer heißt, it lo vuolo (der
König wills), moll ö cosi (so ists doch nicht so) (I. 354). Auch in Sicilien
ist der Verfasser eifrig und vorzugsweise bemüht, den Nationalcharakter der
Einwohner, die Zustände des Landes, Verfassung. Gerichtsverfahren u. s. w.
zu studiren. Den Mittelpunkt seiner Inselreihe bildet eine Besteigung des
Aetna, von dessen Gipfel er so glücklich war der ungetrübtesten Aussicht zu
genießen. Uebrigens war er bei einer gründlichen Bildung von dem lebhaf¬
testen Interesse für das classische Alterthum erfüllt. Zu seinen glücklichsten
Augenblicken rechnet er die. in denen er am Quell Blandusia Horazens treff¬
liche Ode, oder am trasimcnischcn See in Gesellschaft seines Freundes Heeren
den Polybius und Livius las (I. 253).

Alle bisher erwähnten Beschreibungen Italiens versetzen uns in eine Zeit,
die weit hinter uns liegt. Ein neuer Geist weht uns zuerst aus Goethes Ita¬
lienischer Reise (1786--83) entgegen: ein Geist, den wir unsrer eignen Em-
psindungs- und Auffassungsweise wesentlich verwandt fühlen, und zwar des¬
halb, weil unsre ganze Bildung nicht zum geringsten Theil durch ihn bestimmt
worden ist. Ueber dies Kleinod unsrer Literatur wollen wir hier nicht wieder¬
holen, was hundertmal gesagt worden ist und was jedermann weiß. Wir
betrachten sie hier weder insofern sie uns die Entwicklung dieser wunderba-


Alterthümern der Insel gewidmet, für deren Herrlichkeit der Verfasser von
hoher Begeisterung erfüllt war. Das angeführte Buch des Grafen Borch (ur¬
sprünglich französisch geschrieben) liest sich zwar angenehmer als die meisten
damaligen Reisebeschreibungen, ist aber etwas kavaliermäßig und oberflächlich
geschrieben. Goethe (23, 311) lobt seine Abhandlung über die sicilischen
Mineralien, wenn er auch seine Thätigkeit größer findet als seine Kenntnisse
und bescheidenen Ernst bei ihm vermißt. Desto gründlicher und gewissenhaf¬
ter ist der nächste Reisende verfahren, der Sicilien beschrieb, Johann Heinrich
Barrels, dessen Briefe über Calnbrien und Sicilien 1787 erschienen. Er durchwan¬
derte ganz Calabrien bis Reggio, das noch überall von den Verwüstungen des
furchtbaren Erdbebens von 1783 erfüllt war. Durch sein ganzes Buch geht das
Bestreben, den gewöhnlichen Vorurtheilen über diesen vielgeschmähten Volks¬
stamm entgegenzutreten und die guten Eigenschaften hervorzuheben, die er auch
unter dem Druck einer scheußlichen Mißregierung bewahrte. Ihm siel die un¬
erschütterliche Treue auf, mit der sie trotzdem an dem Königshause hingen,
die sich bald auf eine so außerordentliche Weise bewähren sollte. Durchgängig
fand ich die Bemerkung wahr, daß selbst bei dem tiefsten Gefühl des Drucks
und bei dem freien Geständnis! desselben keiner von den Unterthanen auch nur
eine Silbe gegen den König ausstieß. Der Calabrese gleicht hierin völlig dem
Franzosen, auch selbst in dem Augenblick, da man ihm die Kehle zuschnürt,
ruft er sein Vive 1s roi! Man suchte unablässig Gründe, den König zu ent¬
schuldigen, und wenn gleich, sagten sie, es immer heißt, it lo vuolo (der
König wills), moll ö cosi (so ists doch nicht so) (I. 354). Auch in Sicilien
ist der Verfasser eifrig und vorzugsweise bemüht, den Nationalcharakter der
Einwohner, die Zustände des Landes, Verfassung. Gerichtsverfahren u. s. w.
zu studiren. Den Mittelpunkt seiner Inselreihe bildet eine Besteigung des
Aetna, von dessen Gipfel er so glücklich war der ungetrübtesten Aussicht zu
genießen. Uebrigens war er bei einer gründlichen Bildung von dem lebhaf¬
testen Interesse für das classische Alterthum erfüllt. Zu seinen glücklichsten
Augenblicken rechnet er die. in denen er am Quell Blandusia Horazens treff¬
liche Ode, oder am trasimcnischcn See in Gesellschaft seines Freundes Heeren
den Polybius und Livius las (I. 253).

Alle bisher erwähnten Beschreibungen Italiens versetzen uns in eine Zeit,
die weit hinter uns liegt. Ein neuer Geist weht uns zuerst aus Goethes Ita¬
lienischer Reise (1786—83) entgegen: ein Geist, den wir unsrer eignen Em-
psindungs- und Auffassungsweise wesentlich verwandt fühlen, und zwar des¬
halb, weil unsre ganze Bildung nicht zum geringsten Theil durch ihn bestimmt
worden ist. Ueber dies Kleinod unsrer Literatur wollen wir hier nicht wieder¬
holen, was hundertmal gesagt worden ist und was jedermann weiß. Wir
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/306>, abgerufen am 05.07.2024.