Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

keit, als wenn sie mit zirkelförmigen Gewölben und nach den reinen Verhält¬
nissen der Griechen aufgeführt wären. Es fehlt ihnen das gefällige und zu¬
gleich feste Ansehen, sie verdienen nur wegen ihrer Große, wegen der weiten
Bogen, der dreisten Baukunst, der Verhältnisse einiger besonderer Theile und
des erstaunlichen Fleißes in den Zierrathen die Aufmerksamkeit der Kenner."
Den Maler, der gegenwärtig unter den Italienern der vorrafaelischen Zeit der
populärste ist, Benozzo Gozzoli, kennt er nicht einmal dem Namen nach. Er
spricht nur von den ältern Fresken des Campo Santo zu Pisa ausführlich, und
zwar wegen ihrer seltsamen Gegenstände: die ganze herrliche Reihe von Ge¬
schichten des alten Testaments von Benozzo, die allein mehr werth sind als
alle übrigen Bilder in Pisa zusammen, scheint er ganz unbeachtet gelassen
zu haben, er erwähnt nur ihr Vorhandensein und nennt den Maler Benelzo
(I. 579). Auf der andern Seite Hannibal Carcicicci mit Rafael gleichgesetzt.
"Den von ihm gemalten Plaford im Palast Farne," heißt es, "kann man den
großen Malereien Rafaels an die Seite sehen,welche weder so schön colorire
und erhalten sind, noch so angenehme Gegenstände vorstellen. Freilich hat
der Maler Gegenstände aus der Fabel genommen, und die Figuren meistens
sehr nackend vorgestellt. Man muß sie von der Seite der Kunst betrachten,
und nicht nach der strengsten Moral" (II. 413).

Rom war damals für alle Reisende von so überwiegender Wichtigkeit,
daß die übrige Reise in Italien nur als Einleitung oder Anfang zu dem dor¬
tigen Aufenthalt erschien: in dem Werk Volkmanns ist ihm der ganze zweite
Band gewidmet. Abbaten trieben das Handwerk, Fremde als sogenannte
arti^uarii zu führen, sie waren meist sehr oberflächlich unterrichtet und ließen
sich theuer bezahlen. Bekanntlich war auch Winckelmann lange Zeit zu die¬
sem Erwerb gezwungen, wobei er namentlich oft Gelegenheit hatte, sich über
die Empfindungslosigkeit der Engländer zu ärgern. Drei Monate erklärt Volk¬
mann sür die kürzeste Zeit, die ein Reisender auf Rom verwenden könne, obwol
viele nur sechs Wochen da blieben (was gegenwärtig bei der Mehrzahl der
Touristen sür sehr lange gilt). Wie unsere Urgroßväter die Ueberreste des
Alterthums betrachteten, mag folgende Stelle über das Forum zeigen: "Dem
Liebhaber des Alterthums ist die einsame Promenade auf diesem Platz die
wichtigste; er kann sich die Lage der alten Gebäude nach unsrer Beschreibung
genau vorstellen und zugleich Betrachtungen über die großen Revolutionen in
Rom, und über die Vergänglichkeit der irdischen Dinge anstellen. Wer feine
Empfindungen hat, wird diese Oerter gewiß nie betreten, ohne von einer Art
sanfter Traurigkeit hingerissen zu werden, und einen heftigen Schauer zu em¬
pfinden" (I. 522).

Ueberhaupt sah man von Italien damals in der Regel nur die größern
Städte und deren nächste Umgebungen, alle ferner gelegenen, durch Alterthü-


keit, als wenn sie mit zirkelförmigen Gewölben und nach den reinen Verhält¬
nissen der Griechen aufgeführt wären. Es fehlt ihnen das gefällige und zu¬
gleich feste Ansehen, sie verdienen nur wegen ihrer Große, wegen der weiten
Bogen, der dreisten Baukunst, der Verhältnisse einiger besonderer Theile und
des erstaunlichen Fleißes in den Zierrathen die Aufmerksamkeit der Kenner."
Den Maler, der gegenwärtig unter den Italienern der vorrafaelischen Zeit der
populärste ist, Benozzo Gozzoli, kennt er nicht einmal dem Namen nach. Er
spricht nur von den ältern Fresken des Campo Santo zu Pisa ausführlich, und
zwar wegen ihrer seltsamen Gegenstände: die ganze herrliche Reihe von Ge¬
schichten des alten Testaments von Benozzo, die allein mehr werth sind als
alle übrigen Bilder in Pisa zusammen, scheint er ganz unbeachtet gelassen
zu haben, er erwähnt nur ihr Vorhandensein und nennt den Maler Benelzo
(I. 579). Auf der andern Seite Hannibal Carcicicci mit Rafael gleichgesetzt.
„Den von ihm gemalten Plaford im Palast Farne," heißt es, „kann man den
großen Malereien Rafaels an die Seite sehen,welche weder so schön colorire
und erhalten sind, noch so angenehme Gegenstände vorstellen. Freilich hat
der Maler Gegenstände aus der Fabel genommen, und die Figuren meistens
sehr nackend vorgestellt. Man muß sie von der Seite der Kunst betrachten,
und nicht nach der strengsten Moral" (II. 413).

Rom war damals für alle Reisende von so überwiegender Wichtigkeit,
daß die übrige Reise in Italien nur als Einleitung oder Anfang zu dem dor¬
tigen Aufenthalt erschien: in dem Werk Volkmanns ist ihm der ganze zweite
Band gewidmet. Abbaten trieben das Handwerk, Fremde als sogenannte
arti^uarii zu führen, sie waren meist sehr oberflächlich unterrichtet und ließen
sich theuer bezahlen. Bekanntlich war auch Winckelmann lange Zeit zu die¬
sem Erwerb gezwungen, wobei er namentlich oft Gelegenheit hatte, sich über
die Empfindungslosigkeit der Engländer zu ärgern. Drei Monate erklärt Volk¬
mann sür die kürzeste Zeit, die ein Reisender auf Rom verwenden könne, obwol
viele nur sechs Wochen da blieben (was gegenwärtig bei der Mehrzahl der
Touristen sür sehr lange gilt). Wie unsere Urgroßväter die Ueberreste des
Alterthums betrachteten, mag folgende Stelle über das Forum zeigen: „Dem
Liebhaber des Alterthums ist die einsame Promenade auf diesem Platz die
wichtigste; er kann sich die Lage der alten Gebäude nach unsrer Beschreibung
genau vorstellen und zugleich Betrachtungen über die großen Revolutionen in
Rom, und über die Vergänglichkeit der irdischen Dinge anstellen. Wer feine
Empfindungen hat, wird diese Oerter gewiß nie betreten, ohne von einer Art
sanfter Traurigkeit hingerissen zu werden, und einen heftigen Schauer zu em¬
pfinden" (I. 522).

Ueberhaupt sah man von Italien damals in der Regel nur die größern
Städte und deren nächste Umgebungen, alle ferner gelegenen, durch Alterthü-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0303" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266112"/>
            <p xml:id="ID_810" prev="#ID_809"> keit, als wenn sie mit zirkelförmigen Gewölben und nach den reinen Verhält¬<lb/>
nissen der Griechen aufgeführt wären. Es fehlt ihnen das gefällige und zu¬<lb/>
gleich feste Ansehen, sie verdienen nur wegen ihrer Große, wegen der weiten<lb/>
Bogen, der dreisten Baukunst, der Verhältnisse einiger besonderer Theile und<lb/>
des erstaunlichen Fleißes in den Zierrathen die Aufmerksamkeit der Kenner."<lb/>
Den Maler, der gegenwärtig unter den Italienern der vorrafaelischen Zeit der<lb/>
populärste ist, Benozzo Gozzoli, kennt er nicht einmal dem Namen nach. Er<lb/>
spricht nur von den ältern Fresken des Campo Santo zu Pisa ausführlich, und<lb/>
zwar wegen ihrer seltsamen Gegenstände: die ganze herrliche Reihe von Ge¬<lb/>
schichten des alten Testaments von Benozzo, die allein mehr werth sind als<lb/>
alle übrigen Bilder in Pisa zusammen, scheint er ganz unbeachtet gelassen<lb/>
zu haben, er erwähnt nur ihr Vorhandensein und nennt den Maler Benelzo<lb/>
(I. 579). Auf der andern Seite Hannibal Carcicicci mit Rafael gleichgesetzt.<lb/>
&#x201E;Den von ihm gemalten Plaford im Palast Farne," heißt es, &#x201E;kann man den<lb/>
großen Malereien Rafaels an die Seite sehen,welche weder so schön colorire<lb/>
und erhalten sind, noch so angenehme Gegenstände vorstellen. Freilich hat<lb/>
der Maler Gegenstände aus der Fabel genommen, und die Figuren meistens<lb/>
sehr nackend vorgestellt. Man muß sie von der Seite der Kunst betrachten,<lb/>
und nicht nach der strengsten Moral" (II. 413).</p><lb/>
            <p xml:id="ID_811"> Rom war damals für alle Reisende von so überwiegender Wichtigkeit,<lb/>
daß die übrige Reise in Italien nur als Einleitung oder Anfang zu dem dor¬<lb/>
tigen Aufenthalt erschien: in dem Werk Volkmanns ist ihm der ganze zweite<lb/>
Band gewidmet. Abbaten trieben das Handwerk, Fremde als sogenannte<lb/>
arti^uarii zu führen, sie waren meist sehr oberflächlich unterrichtet und ließen<lb/>
sich theuer bezahlen. Bekanntlich war auch Winckelmann lange Zeit zu die¬<lb/>
sem Erwerb gezwungen, wobei er namentlich oft Gelegenheit hatte, sich über<lb/>
die Empfindungslosigkeit der Engländer zu ärgern. Drei Monate erklärt Volk¬<lb/>
mann sür die kürzeste Zeit, die ein Reisender auf Rom verwenden könne, obwol<lb/>
viele nur sechs Wochen da blieben (was gegenwärtig bei der Mehrzahl der<lb/>
Touristen sür sehr lange gilt). Wie unsere Urgroßväter die Ueberreste des<lb/>
Alterthums betrachteten, mag folgende Stelle über das Forum zeigen: &#x201E;Dem<lb/>
Liebhaber des Alterthums ist die einsame Promenade auf diesem Platz die<lb/>
wichtigste; er kann sich die Lage der alten Gebäude nach unsrer Beschreibung<lb/>
genau vorstellen und zugleich Betrachtungen über die großen Revolutionen in<lb/>
Rom, und über die Vergänglichkeit der irdischen Dinge anstellen. Wer feine<lb/>
Empfindungen hat, wird diese Oerter gewiß nie betreten, ohne von einer Art<lb/>
sanfter Traurigkeit hingerissen zu werden, und einen heftigen Schauer zu em¬<lb/>
pfinden" (I. 522).</p><lb/>
            <p xml:id="ID_812" next="#ID_813"> Ueberhaupt sah man von Italien damals in der Regel nur die größern<lb/>
Städte und deren nächste Umgebungen, alle ferner gelegenen, durch Alterthü-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0303] keit, als wenn sie mit zirkelförmigen Gewölben und nach den reinen Verhält¬ nissen der Griechen aufgeführt wären. Es fehlt ihnen das gefällige und zu¬ gleich feste Ansehen, sie verdienen nur wegen ihrer Große, wegen der weiten Bogen, der dreisten Baukunst, der Verhältnisse einiger besonderer Theile und des erstaunlichen Fleißes in den Zierrathen die Aufmerksamkeit der Kenner." Den Maler, der gegenwärtig unter den Italienern der vorrafaelischen Zeit der populärste ist, Benozzo Gozzoli, kennt er nicht einmal dem Namen nach. Er spricht nur von den ältern Fresken des Campo Santo zu Pisa ausführlich, und zwar wegen ihrer seltsamen Gegenstände: die ganze herrliche Reihe von Ge¬ schichten des alten Testaments von Benozzo, die allein mehr werth sind als alle übrigen Bilder in Pisa zusammen, scheint er ganz unbeachtet gelassen zu haben, er erwähnt nur ihr Vorhandensein und nennt den Maler Benelzo (I. 579). Auf der andern Seite Hannibal Carcicicci mit Rafael gleichgesetzt. „Den von ihm gemalten Plaford im Palast Farne," heißt es, „kann man den großen Malereien Rafaels an die Seite sehen,welche weder so schön colorire und erhalten sind, noch so angenehme Gegenstände vorstellen. Freilich hat der Maler Gegenstände aus der Fabel genommen, und die Figuren meistens sehr nackend vorgestellt. Man muß sie von der Seite der Kunst betrachten, und nicht nach der strengsten Moral" (II. 413). Rom war damals für alle Reisende von so überwiegender Wichtigkeit, daß die übrige Reise in Italien nur als Einleitung oder Anfang zu dem dor¬ tigen Aufenthalt erschien: in dem Werk Volkmanns ist ihm der ganze zweite Band gewidmet. Abbaten trieben das Handwerk, Fremde als sogenannte arti^uarii zu führen, sie waren meist sehr oberflächlich unterrichtet und ließen sich theuer bezahlen. Bekanntlich war auch Winckelmann lange Zeit zu die¬ sem Erwerb gezwungen, wobei er namentlich oft Gelegenheit hatte, sich über die Empfindungslosigkeit der Engländer zu ärgern. Drei Monate erklärt Volk¬ mann sür die kürzeste Zeit, die ein Reisender auf Rom verwenden könne, obwol viele nur sechs Wochen da blieben (was gegenwärtig bei der Mehrzahl der Touristen sür sehr lange gilt). Wie unsere Urgroßväter die Ueberreste des Alterthums betrachteten, mag folgende Stelle über das Forum zeigen: „Dem Liebhaber des Alterthums ist die einsame Promenade auf diesem Platz die wichtigste; er kann sich die Lage der alten Gebäude nach unsrer Beschreibung genau vorstellen und zugleich Betrachtungen über die großen Revolutionen in Rom, und über die Vergänglichkeit der irdischen Dinge anstellen. Wer feine Empfindungen hat, wird diese Oerter gewiß nie betreten, ohne von einer Art sanfter Traurigkeit hingerissen zu werden, und einen heftigen Schauer zu em¬ pfinden" (I. 522). Ueberhaupt sah man von Italien damals in der Regel nur die größern Städte und deren nächste Umgebungen, alle ferner gelegenen, durch Alterthü-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/303
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/303>, abgerufen am 05.07.2024.