Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ihrer Vereinigung dem wundervollen Lande seinen unwiderstehlichen Zauber
leihen!

Von allen Nationen hat die unsre sich immer am mächtigsten nach Ita¬
lien gezogen gefühlt. Für unsre edelsten Kräfte hat sich seine Atmosphäre,
sonst eine berauschende und erschlaffende, von jeher als belebend erwiesen.
Winckelmann hat sich hier zu einer Höhe der Ltnnstanschauung aufgeschwungen,
aus die sein Zeitalter ihm kaum zu folgen vermochte. Goethe hat hier eine
Wiedergeburt erlebt. Für unsre bildende Kunst ist hier eine neue Epoche an¬
gebrochen, so schön und reich, wie sie noch keine aufzuweisen hatte.

Eine Uebersicht der wichtigsten Reisebeschreibungen Italiens, die in den
legten hundert Jahren von Deutschland erschienen sind, ist darum wol den
Lesern dieser Blätter nicht unwillkommen, da wir mit Recht gewohnt sind, das
schöne Land als ein unserm Vaterlande geistig verschwistertes zu betrachten.
In sofern als sich daraus die während dieses Zeitraums eingetretenen Verän¬
derungen italienischer Zustände ergeben, hat sie nur ein secundäres Interesse:
denn Italien ist in der neuern Zeit eins der stabilsten Länder von Europa
gewesen und man ist erstaunt, wie vieles heute noch gilt, was vor hundert
Jahren geschrieben ist. Ein höheres Interesse gewinnt eine solche Uebersicht
-dadurch, daß die einzelnen Werke herrschende Richtungen der betreffenden Perio¬
den Ins auf einen gewissen Grad widerspiegeln: in jedem Menschenalter ist
Italien mit andern Augen gesehn, die Aufmerksamkeit der Betrachter vorzugs¬
weise aus einen andern Punkt gerichtet gewesen. Hier sollen nur solche Rei¬
sen erwähnt werden, die in irgend einer Hinsicht bedeutend oder charakteristisch
sind: eine Art von Literatur wird durchaus nicht beabsichtigt. Die älteste be¬
deutendere deutsche Beschreibung Italiens in der neuern Zeit ist von Johann
Georg Keyßler (geb. 1690, geht. 1743), ein zu seiner Zeit hochbcrühmtes und
auch jetzt noch nicht ganz vergessenes Buch. Der Verfasser, ein vielseitiger
und gründlicher Gelehrter, in Naturwissenschaften, Alterthümern und Literatur
wohl erfahren, unternahm sie 1729--17-31 in Begleitung zweier jungen Gra¬
fen Vernstors; die dritte Ausgabe in zwei sehr starken Quartbänden erschien
1776. . Das Buch hatte auch im Ausland Erfolg, und wurde nach Volkmann
in einer Uebersetzung von reisenden Engländern als Handbuch benutzt. Als
solches (freilich in einem für unsre Begriffe kolossalen Maßstab) ist es anch
angelegt. Von der Person des Reisenden erfährt man so gut wie gar nichts,
geschweige daß sie den Mittelpunkt der Darstellung bildete. Es ist eine um¬
fassende und gründliche Beschreibung der einzelnen Staaten, ihrer Lage. Bevöl,
kerung und Verfassung, die Sehenswürdigkeiten der Städte, Kirchen, Museen,
Bibliotheken, Sammlungen, Naturmerkwürdigkeiten werden ausführlich behan¬
delt und eine große Menge lateinischer Inschriften dem Wortlaut nach mitge¬
theilt (bekanntlich ist kein Land in der Welt so reich an Inschriften wie Ita-


ihrer Vereinigung dem wundervollen Lande seinen unwiderstehlichen Zauber
leihen!

Von allen Nationen hat die unsre sich immer am mächtigsten nach Ita¬
lien gezogen gefühlt. Für unsre edelsten Kräfte hat sich seine Atmosphäre,
sonst eine berauschende und erschlaffende, von jeher als belebend erwiesen.
Winckelmann hat sich hier zu einer Höhe der Ltnnstanschauung aufgeschwungen,
aus die sein Zeitalter ihm kaum zu folgen vermochte. Goethe hat hier eine
Wiedergeburt erlebt. Für unsre bildende Kunst ist hier eine neue Epoche an¬
gebrochen, so schön und reich, wie sie noch keine aufzuweisen hatte.

Eine Uebersicht der wichtigsten Reisebeschreibungen Italiens, die in den
legten hundert Jahren von Deutschland erschienen sind, ist darum wol den
Lesern dieser Blätter nicht unwillkommen, da wir mit Recht gewohnt sind, das
schöne Land als ein unserm Vaterlande geistig verschwistertes zu betrachten.
In sofern als sich daraus die während dieses Zeitraums eingetretenen Verän¬
derungen italienischer Zustände ergeben, hat sie nur ein secundäres Interesse:
denn Italien ist in der neuern Zeit eins der stabilsten Länder von Europa
gewesen und man ist erstaunt, wie vieles heute noch gilt, was vor hundert
Jahren geschrieben ist. Ein höheres Interesse gewinnt eine solche Uebersicht
-dadurch, daß die einzelnen Werke herrschende Richtungen der betreffenden Perio¬
den Ins auf einen gewissen Grad widerspiegeln: in jedem Menschenalter ist
Italien mit andern Augen gesehn, die Aufmerksamkeit der Betrachter vorzugs¬
weise aus einen andern Punkt gerichtet gewesen. Hier sollen nur solche Rei¬
sen erwähnt werden, die in irgend einer Hinsicht bedeutend oder charakteristisch
sind: eine Art von Literatur wird durchaus nicht beabsichtigt. Die älteste be¬
deutendere deutsche Beschreibung Italiens in der neuern Zeit ist von Johann
Georg Keyßler (geb. 1690, geht. 1743), ein zu seiner Zeit hochbcrühmtes und
auch jetzt noch nicht ganz vergessenes Buch. Der Verfasser, ein vielseitiger
und gründlicher Gelehrter, in Naturwissenschaften, Alterthümern und Literatur
wohl erfahren, unternahm sie 1729—17-31 in Begleitung zweier jungen Gra¬
fen Vernstors; die dritte Ausgabe in zwei sehr starken Quartbänden erschien
1776. . Das Buch hatte auch im Ausland Erfolg, und wurde nach Volkmann
in einer Uebersetzung von reisenden Engländern als Handbuch benutzt. Als
solches (freilich in einem für unsre Begriffe kolossalen Maßstab) ist es anch
angelegt. Von der Person des Reisenden erfährt man so gut wie gar nichts,
geschweige daß sie den Mittelpunkt der Darstellung bildete. Es ist eine um¬
fassende und gründliche Beschreibung der einzelnen Staaten, ihrer Lage. Bevöl,
kerung und Verfassung, die Sehenswürdigkeiten der Städte, Kirchen, Museen,
Bibliotheken, Sammlungen, Naturmerkwürdigkeiten werden ausführlich behan¬
delt und eine große Menge lateinischer Inschriften dem Wortlaut nach mitge¬
theilt (bekanntlich ist kein Land in der Welt so reich an Inschriften wie Ita-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0301" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266110"/>
            <p xml:id="ID_805" prev="#ID_804"> ihrer Vereinigung dem wundervollen Lande seinen unwiderstehlichen Zauber<lb/>
leihen!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_806"> Von allen Nationen hat die unsre sich immer am mächtigsten nach Ita¬<lb/>
lien gezogen gefühlt. Für unsre edelsten Kräfte hat sich seine Atmosphäre,<lb/>
sonst eine berauschende und erschlaffende, von jeher als belebend erwiesen.<lb/>
Winckelmann hat sich hier zu einer Höhe der Ltnnstanschauung aufgeschwungen,<lb/>
aus die sein Zeitalter ihm kaum zu folgen vermochte. Goethe hat hier eine<lb/>
Wiedergeburt erlebt. Für unsre bildende Kunst ist hier eine neue Epoche an¬<lb/>
gebrochen, so schön und reich, wie sie noch keine aufzuweisen hatte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_807" next="#ID_808"> Eine Uebersicht der wichtigsten Reisebeschreibungen Italiens, die in den<lb/>
legten hundert Jahren von Deutschland erschienen sind, ist darum wol den<lb/>
Lesern dieser Blätter nicht unwillkommen, da wir mit Recht gewohnt sind, das<lb/>
schöne Land als ein unserm Vaterlande geistig verschwistertes zu betrachten.<lb/>
In sofern als sich daraus die während dieses Zeitraums eingetretenen Verän¬<lb/>
derungen italienischer Zustände ergeben, hat sie nur ein secundäres Interesse:<lb/>
denn Italien ist in der neuern Zeit eins der stabilsten Länder von Europa<lb/>
gewesen und man ist erstaunt, wie vieles heute noch gilt, was vor hundert<lb/>
Jahren geschrieben ist. Ein höheres Interesse gewinnt eine solche Uebersicht<lb/>
-dadurch, daß die einzelnen Werke herrschende Richtungen der betreffenden Perio¬<lb/>
den Ins auf einen gewissen Grad widerspiegeln: in jedem Menschenalter ist<lb/>
Italien mit andern Augen gesehn, die Aufmerksamkeit der Betrachter vorzugs¬<lb/>
weise aus einen andern Punkt gerichtet gewesen. Hier sollen nur solche Rei¬<lb/>
sen erwähnt werden, die in irgend einer Hinsicht bedeutend oder charakteristisch<lb/>
sind: eine Art von Literatur wird durchaus nicht beabsichtigt. Die älteste be¬<lb/>
deutendere deutsche Beschreibung Italiens in der neuern Zeit ist von Johann<lb/>
Georg Keyßler (geb. 1690, geht. 1743), ein zu seiner Zeit hochbcrühmtes und<lb/>
auch jetzt noch nicht ganz vergessenes Buch. Der Verfasser, ein vielseitiger<lb/>
und gründlicher Gelehrter, in Naturwissenschaften, Alterthümern und Literatur<lb/>
wohl erfahren, unternahm sie 1729&#x2014;17-31 in Begleitung zweier jungen Gra¬<lb/>
fen Vernstors; die dritte Ausgabe in zwei sehr starken Quartbänden erschien<lb/>
1776. . Das Buch hatte auch im Ausland Erfolg, und wurde nach Volkmann<lb/>
in einer Uebersetzung von reisenden Engländern als Handbuch benutzt. Als<lb/>
solches (freilich in einem für unsre Begriffe kolossalen Maßstab) ist es anch<lb/>
angelegt. Von der Person des Reisenden erfährt man so gut wie gar nichts,<lb/>
geschweige daß sie den Mittelpunkt der Darstellung bildete. Es ist eine um¬<lb/>
fassende und gründliche Beschreibung der einzelnen Staaten, ihrer Lage. Bevöl,<lb/>
kerung und Verfassung, die Sehenswürdigkeiten der Städte, Kirchen, Museen,<lb/>
Bibliotheken, Sammlungen, Naturmerkwürdigkeiten werden ausführlich behan¬<lb/>
delt und eine große Menge lateinischer Inschriften dem Wortlaut nach mitge¬<lb/>
theilt (bekanntlich ist kein Land in der Welt so reich an Inschriften wie Ita-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0301] ihrer Vereinigung dem wundervollen Lande seinen unwiderstehlichen Zauber leihen! Von allen Nationen hat die unsre sich immer am mächtigsten nach Ita¬ lien gezogen gefühlt. Für unsre edelsten Kräfte hat sich seine Atmosphäre, sonst eine berauschende und erschlaffende, von jeher als belebend erwiesen. Winckelmann hat sich hier zu einer Höhe der Ltnnstanschauung aufgeschwungen, aus die sein Zeitalter ihm kaum zu folgen vermochte. Goethe hat hier eine Wiedergeburt erlebt. Für unsre bildende Kunst ist hier eine neue Epoche an¬ gebrochen, so schön und reich, wie sie noch keine aufzuweisen hatte. Eine Uebersicht der wichtigsten Reisebeschreibungen Italiens, die in den legten hundert Jahren von Deutschland erschienen sind, ist darum wol den Lesern dieser Blätter nicht unwillkommen, da wir mit Recht gewohnt sind, das schöne Land als ein unserm Vaterlande geistig verschwistertes zu betrachten. In sofern als sich daraus die während dieses Zeitraums eingetretenen Verän¬ derungen italienischer Zustände ergeben, hat sie nur ein secundäres Interesse: denn Italien ist in der neuern Zeit eins der stabilsten Länder von Europa gewesen und man ist erstaunt, wie vieles heute noch gilt, was vor hundert Jahren geschrieben ist. Ein höheres Interesse gewinnt eine solche Uebersicht -dadurch, daß die einzelnen Werke herrschende Richtungen der betreffenden Perio¬ den Ins auf einen gewissen Grad widerspiegeln: in jedem Menschenalter ist Italien mit andern Augen gesehn, die Aufmerksamkeit der Betrachter vorzugs¬ weise aus einen andern Punkt gerichtet gewesen. Hier sollen nur solche Rei¬ sen erwähnt werden, die in irgend einer Hinsicht bedeutend oder charakteristisch sind: eine Art von Literatur wird durchaus nicht beabsichtigt. Die älteste be¬ deutendere deutsche Beschreibung Italiens in der neuern Zeit ist von Johann Georg Keyßler (geb. 1690, geht. 1743), ein zu seiner Zeit hochbcrühmtes und auch jetzt noch nicht ganz vergessenes Buch. Der Verfasser, ein vielseitiger und gründlicher Gelehrter, in Naturwissenschaften, Alterthümern und Literatur wohl erfahren, unternahm sie 1729—17-31 in Begleitung zweier jungen Gra¬ fen Vernstors; die dritte Ausgabe in zwei sehr starken Quartbänden erschien 1776. . Das Buch hatte auch im Ausland Erfolg, und wurde nach Volkmann in einer Uebersetzung von reisenden Engländern als Handbuch benutzt. Als solches (freilich in einem für unsre Begriffe kolossalen Maßstab) ist es anch angelegt. Von der Person des Reisenden erfährt man so gut wie gar nichts, geschweige daß sie den Mittelpunkt der Darstellung bildete. Es ist eine um¬ fassende und gründliche Beschreibung der einzelnen Staaten, ihrer Lage. Bevöl, kerung und Verfassung, die Sehenswürdigkeiten der Städte, Kirchen, Museen, Bibliotheken, Sammlungen, Naturmerkwürdigkeiten werden ausführlich behan¬ delt und eine große Menge lateinischer Inschriften dem Wortlaut nach mitge¬ theilt (bekanntlich ist kein Land in der Welt so reich an Inschriften wie Ita-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/301
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/301>, abgerufen am 05.07.2024.