Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sehen wir bei ihm alles aus der menschlichen Seele hervorgehn, wir erkennen
hinter dem jähzornigen Tyrannen ein echtes, der Wahrheit zugethanes Ge¬
müth, hinter dem possenhaften Corpora! mit seiner Manie für große Sol¬
daten einen sehr energischen gesunden Menschenverstand, der, wo ihn die
Leidenschaft und das Vorurtheil nicht verblendete, sehr entschieden das Wesent¬
liche zu treffen wußte. Und es ist richtig so. Wir Deutschen sind freilich
über diesen Charakter niemals im Unklaren gewesen, unsere Geschichtschreiber
haben ihn in derselben Weise dargestellt, aber es freut uns, bei einem geist¬
vollen, tiefsinnigen und welterfahrenen Fremden dasselbe Bild in schärferen
Schlaglichtern wiederzufinden.

Noch in einer Beziehung möchten wir das Buch unsern preußischen Lands¬
leuten empfehlen. Es ist jetzt immer viel die Rede von alter guter Zeit, von
altpreußischen Adel u. s. w. Im General Grumkow gibt uns nun Car-
lyle ein Bild dieser alten guten Zeit, einen märkischen Junker des t8. Jahr¬
hunderts; er schildert ihn nicht als ein Ungeheuer, er zeigt auch hier, , wie
alles zusammenhängt; er verschweigt auch seine guten Seiten nicht, aber er
unterläßt doch nie, wenn auf ihn die Rede kommt, den Stoßseufzer: warum
fand sich nicht ein Strang für den Nacken dieses selten Verrüthcrs!




Reisen in Italien.
i.

Bon allen Ländern Europas hat ohne Zweifel dasjenige, dessen Bewoh¬
ner am wenigsten reisen, Italien, von jeher aus die Reisenden andrer Länder
am meisten Anziehungskraft geübt. II" xssM al ciel es-auto in terrg,! mit
diesem Ausdruck des Enthusiasmus, dessen der Italiener nur die Küste des
Golfs von Neapel würdig findet, begrüßt der Nordländer schon die lachende
Natur, die sich am Fuß der Alpen seinem Blick öffnet. Je weiter er vor¬
schreitet, desto mehr sieht er sich überall von den Trümmern einer versunkenen
Welt umgeben, die bedeutungsvoll und anregend in die Gegenwart hineinra¬
gen. Eine mehr als zweitausendjührige Vergangenheit hat jedem Zollbreit
des Bodens ihre Stempel aufgedrückt. Wie die Schichten der Gebirge sind
die Neste der aufeinanderfolgenden Culturperioden übereinandergclagert. Das
Größte und Schönste, was die Kunst des Alterthums und der neuern Zeit
hervorgebracht hat. ist hier in einer verwirrenden Fülle zusammengedrängt.
Das Leben des Südens gestaltet sich hier in den edelsten und anmuthigsten
Formen. Doch wie ließen sich all die Eigenschaften einzeln aufzählen, die in


sehen wir bei ihm alles aus der menschlichen Seele hervorgehn, wir erkennen
hinter dem jähzornigen Tyrannen ein echtes, der Wahrheit zugethanes Ge¬
müth, hinter dem possenhaften Corpora! mit seiner Manie für große Sol¬
daten einen sehr energischen gesunden Menschenverstand, der, wo ihn die
Leidenschaft und das Vorurtheil nicht verblendete, sehr entschieden das Wesent¬
liche zu treffen wußte. Und es ist richtig so. Wir Deutschen sind freilich
über diesen Charakter niemals im Unklaren gewesen, unsere Geschichtschreiber
haben ihn in derselben Weise dargestellt, aber es freut uns, bei einem geist¬
vollen, tiefsinnigen und welterfahrenen Fremden dasselbe Bild in schärferen
Schlaglichtern wiederzufinden.

Noch in einer Beziehung möchten wir das Buch unsern preußischen Lands¬
leuten empfehlen. Es ist jetzt immer viel die Rede von alter guter Zeit, von
altpreußischen Adel u. s. w. Im General Grumkow gibt uns nun Car-
lyle ein Bild dieser alten guten Zeit, einen märkischen Junker des t8. Jahr¬
hunderts; er schildert ihn nicht als ein Ungeheuer, er zeigt auch hier, , wie
alles zusammenhängt; er verschweigt auch seine guten Seiten nicht, aber er
unterläßt doch nie, wenn auf ihn die Rede kommt, den Stoßseufzer: warum
fand sich nicht ein Strang für den Nacken dieses selten Verrüthcrs!




Reisen in Italien.
i.

Bon allen Ländern Europas hat ohne Zweifel dasjenige, dessen Bewoh¬
ner am wenigsten reisen, Italien, von jeher aus die Reisenden andrer Länder
am meisten Anziehungskraft geübt. II» xssM al ciel es-auto in terrg,! mit
diesem Ausdruck des Enthusiasmus, dessen der Italiener nur die Küste des
Golfs von Neapel würdig findet, begrüßt der Nordländer schon die lachende
Natur, die sich am Fuß der Alpen seinem Blick öffnet. Je weiter er vor¬
schreitet, desto mehr sieht er sich überall von den Trümmern einer versunkenen
Welt umgeben, die bedeutungsvoll und anregend in die Gegenwart hineinra¬
gen. Eine mehr als zweitausendjührige Vergangenheit hat jedem Zollbreit
des Bodens ihre Stempel aufgedrückt. Wie die Schichten der Gebirge sind
die Neste der aufeinanderfolgenden Culturperioden übereinandergclagert. Das
Größte und Schönste, was die Kunst des Alterthums und der neuern Zeit
hervorgebracht hat. ist hier in einer verwirrenden Fülle zusammengedrängt.
Das Leben des Südens gestaltet sich hier in den edelsten und anmuthigsten
Formen. Doch wie ließen sich all die Eigenschaften einzeln aufzählen, die in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266109"/>
          <p xml:id="ID_802" prev="#ID_801"> sehen wir bei ihm alles aus der menschlichen Seele hervorgehn, wir erkennen<lb/>
hinter dem jähzornigen Tyrannen ein echtes, der Wahrheit zugethanes Ge¬<lb/>
müth, hinter dem possenhaften Corpora! mit seiner Manie für große Sol¬<lb/>
daten einen sehr energischen gesunden Menschenverstand, der, wo ihn die<lb/>
Leidenschaft und das Vorurtheil nicht verblendete, sehr entschieden das Wesent¬<lb/>
liche zu treffen wußte. Und es ist richtig so. Wir Deutschen sind freilich<lb/>
über diesen Charakter niemals im Unklaren gewesen, unsere Geschichtschreiber<lb/>
haben ihn in derselben Weise dargestellt, aber es freut uns, bei einem geist¬<lb/>
vollen, tiefsinnigen und welterfahrenen Fremden dasselbe Bild in schärferen<lb/>
Schlaglichtern wiederzufinden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_803"> Noch in einer Beziehung möchten wir das Buch unsern preußischen Lands¬<lb/>
leuten empfehlen. Es ist jetzt immer viel die Rede von alter guter Zeit, von<lb/>
altpreußischen Adel u. s. w. Im General Grumkow gibt uns nun Car-<lb/>
lyle ein Bild dieser alten guten Zeit, einen märkischen Junker des t8. Jahr¬<lb/>
hunderts; er schildert ihn nicht als ein Ungeheuer, er zeigt auch hier, , wie<lb/>
alles zusammenhängt; er verschweigt auch seine guten Seiten nicht, aber er<lb/>
unterläßt doch nie, wenn auf ihn die Rede kommt, den Stoßseufzer: warum<lb/>
fand sich nicht ein Strang für den Nacken dieses selten Verrüthcrs!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Reisen in Italien.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> i.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_804" next="#ID_805"> Bon allen Ländern Europas hat ohne Zweifel dasjenige, dessen Bewoh¬<lb/>
ner am wenigsten reisen, Italien, von jeher aus die Reisenden andrer Länder<lb/>
am meisten Anziehungskraft geübt. II» xssM al ciel es-auto in terrg,! mit<lb/>
diesem Ausdruck des Enthusiasmus, dessen der Italiener nur die Küste des<lb/>
Golfs von Neapel würdig findet, begrüßt der Nordländer schon die lachende<lb/>
Natur, die sich am Fuß der Alpen seinem Blick öffnet. Je weiter er vor¬<lb/>
schreitet, desto mehr sieht er sich überall von den Trümmern einer versunkenen<lb/>
Welt umgeben, die bedeutungsvoll und anregend in die Gegenwart hineinra¬<lb/>
gen. Eine mehr als zweitausendjührige Vergangenheit hat jedem Zollbreit<lb/>
des Bodens ihre Stempel aufgedrückt. Wie die Schichten der Gebirge sind<lb/>
die Neste der aufeinanderfolgenden Culturperioden übereinandergclagert. Das<lb/>
Größte und Schönste, was die Kunst des Alterthums und der neuern Zeit<lb/>
hervorgebracht hat. ist hier in einer verwirrenden Fülle zusammengedrängt.<lb/>
Das Leben des Südens gestaltet sich hier in den edelsten und anmuthigsten<lb/>
Formen.  Doch wie ließen sich all die Eigenschaften einzeln aufzählen, die in</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0300] sehen wir bei ihm alles aus der menschlichen Seele hervorgehn, wir erkennen hinter dem jähzornigen Tyrannen ein echtes, der Wahrheit zugethanes Ge¬ müth, hinter dem possenhaften Corpora! mit seiner Manie für große Sol¬ daten einen sehr energischen gesunden Menschenverstand, der, wo ihn die Leidenschaft und das Vorurtheil nicht verblendete, sehr entschieden das Wesent¬ liche zu treffen wußte. Und es ist richtig so. Wir Deutschen sind freilich über diesen Charakter niemals im Unklaren gewesen, unsere Geschichtschreiber haben ihn in derselben Weise dargestellt, aber es freut uns, bei einem geist¬ vollen, tiefsinnigen und welterfahrenen Fremden dasselbe Bild in schärferen Schlaglichtern wiederzufinden. Noch in einer Beziehung möchten wir das Buch unsern preußischen Lands¬ leuten empfehlen. Es ist jetzt immer viel die Rede von alter guter Zeit, von altpreußischen Adel u. s. w. Im General Grumkow gibt uns nun Car- lyle ein Bild dieser alten guten Zeit, einen märkischen Junker des t8. Jahr¬ hunderts; er schildert ihn nicht als ein Ungeheuer, er zeigt auch hier, , wie alles zusammenhängt; er verschweigt auch seine guten Seiten nicht, aber er unterläßt doch nie, wenn auf ihn die Rede kommt, den Stoßseufzer: warum fand sich nicht ein Strang für den Nacken dieses selten Verrüthcrs! Reisen in Italien. i. Bon allen Ländern Europas hat ohne Zweifel dasjenige, dessen Bewoh¬ ner am wenigsten reisen, Italien, von jeher aus die Reisenden andrer Länder am meisten Anziehungskraft geübt. II» xssM al ciel es-auto in terrg,! mit diesem Ausdruck des Enthusiasmus, dessen der Italiener nur die Küste des Golfs von Neapel würdig findet, begrüßt der Nordländer schon die lachende Natur, die sich am Fuß der Alpen seinem Blick öffnet. Je weiter er vor¬ schreitet, desto mehr sieht er sich überall von den Trümmern einer versunkenen Welt umgeben, die bedeutungsvoll und anregend in die Gegenwart hineinra¬ gen. Eine mehr als zweitausendjührige Vergangenheit hat jedem Zollbreit des Bodens ihre Stempel aufgedrückt. Wie die Schichten der Gebirge sind die Neste der aufeinanderfolgenden Culturperioden übereinandergclagert. Das Größte und Schönste, was die Kunst des Alterthums und der neuern Zeit hervorgebracht hat. ist hier in einer verwirrenden Fülle zusammengedrängt. Das Leben des Südens gestaltet sich hier in den edelsten und anmuthigsten Formen. Doch wie ließen sich all die Eigenschaften einzeln aufzählen, die in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/300
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/300>, abgerufen am 05.07.2024.