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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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ten sogleich auch die neun Männer und nach erhaltener Nachricht auch der
ganze Zug. selbst die schwerbeladener Esel legten sich nieder. Alles lag eine
ganze Stunde im Sonnenbrande wie eingeschlafen im Staube. Nach fünf
Minuten singen die Kinder an. um Wasser und Brot zu rufen. Die Mütter
hörten sie um sich schluchzen und wimmern und beachteten dies nicht. Eine
gab dem Kinde einen Stein und sagte, dies solle zu Brot werden. Da wur¬
den die umstehenden kirchlichen Zuschauer erweicht, schleppten Wasser und
Brot herbei und gaben dies den Kindern. Der stämmige Kreuzinger stand
endlich auf und sagte, er könne nicht so lange aushalten, er habe Durst,
worauf er von den wachhabenden Kosaken zum Herrn v. Kotzebue gebracht
wurde. Er trug seine Bitte vor, ihn nach Hause gehen zu lassen, und zwar
ohne Kosaken. Da er vorher von Durst gesprochen, so ließ ihm Herr v. Kotze-
bue Wein einschenken; er aber nippte nicht etwa blos, sondern trank den
Wein aus. Hierauf erhielt er seine Freiheit und ging in Katharinenseld von
Haus zu Haus, wo ihm überall zugetrunken wurde, so daß zuletzt doch wenig¬
stens ein Begleiter nothwendig war. Nachdem die neun Männer auch mit
dem Versprechen, nichts mehr zu unternehmen, abgefertigt waren, wurden alle
katharinensclder Separatisten in ihre Häuser zurückzukehren angewiesen; die
von den andern Colonien Ausgeschiedenen aber wurden von den Kirchlichen
verpflegt und mit Kosaken in ihre Colonien escortirt. Die katharinenfelder
Separatisten hatten am wenigsten Verlust; denn sie ließen das Vieh und alle
Geräthschaften im Hause, sperrten zu und gaben die Schlüssel ihren Nachbarn
mit der Weisung, erst nach ihrem Abzüge damit zu thun, was man wolle.
Die andern aber hatten alles Vieh, alle Hausgeräthe, sogar ihre Häuser ver¬
kauft. Vielen wurde nun zwar das Verkaufte von den Käufern zurückgegeben,
von andern aber nicht alles, und mancher erhielt nichts zurück, sondern mußte
sich von neuem einrichten. Die Spohn hatte gar nichts verkauft und nie¬
mandem die Schlüssel übergeben, sondern hatte sie in der Tasche.

Hierauf schickten die Separatisten mit Bewilligung des Gouverneurs von
Grusien drei Männer ab, zwei nach Jerusalem und einen nach Konstantinopel,
um anzufragen, ob sie angenommen würden und einen Ansiedlungsplatz bei
Jerusalem auszuforschen. Sie kamen zu Ende des Jahres 1843 mit der
Nachricht zurück, daß es ihnen dort nicht gefallen könne. Darauf wurden fast
alle, sogar die Spohn, kirchlich und viele bereuten ihren Irrthum aufrichtig,
und achteten die Spohn wenig, da sie sie getäuscht und irre geführt habe;
manche jedoch sollen immer noch geheime Separatisten sein.




ten sogleich auch die neun Männer und nach erhaltener Nachricht auch der
ganze Zug. selbst die schwerbeladener Esel legten sich nieder. Alles lag eine
ganze Stunde im Sonnenbrande wie eingeschlafen im Staube. Nach fünf
Minuten singen die Kinder an. um Wasser und Brot zu rufen. Die Mütter
hörten sie um sich schluchzen und wimmern und beachteten dies nicht. Eine
gab dem Kinde einen Stein und sagte, dies solle zu Brot werden. Da wur¬
den die umstehenden kirchlichen Zuschauer erweicht, schleppten Wasser und
Brot herbei und gaben dies den Kindern. Der stämmige Kreuzinger stand
endlich auf und sagte, er könne nicht so lange aushalten, er habe Durst,
worauf er von den wachhabenden Kosaken zum Herrn v. Kotzebue gebracht
wurde. Er trug seine Bitte vor, ihn nach Hause gehen zu lassen, und zwar
ohne Kosaken. Da er vorher von Durst gesprochen, so ließ ihm Herr v. Kotze-
bue Wein einschenken; er aber nippte nicht etwa blos, sondern trank den
Wein aus. Hierauf erhielt er seine Freiheit und ging in Katharinenseld von
Haus zu Haus, wo ihm überall zugetrunken wurde, so daß zuletzt doch wenig¬
stens ein Begleiter nothwendig war. Nachdem die neun Männer auch mit
dem Versprechen, nichts mehr zu unternehmen, abgefertigt waren, wurden alle
katharinensclder Separatisten in ihre Häuser zurückzukehren angewiesen; die
von den andern Colonien Ausgeschiedenen aber wurden von den Kirchlichen
verpflegt und mit Kosaken in ihre Colonien escortirt. Die katharinenfelder
Separatisten hatten am wenigsten Verlust; denn sie ließen das Vieh und alle
Geräthschaften im Hause, sperrten zu und gaben die Schlüssel ihren Nachbarn
mit der Weisung, erst nach ihrem Abzüge damit zu thun, was man wolle.
Die andern aber hatten alles Vieh, alle Hausgeräthe, sogar ihre Häuser ver¬
kauft. Vielen wurde nun zwar das Verkaufte von den Käufern zurückgegeben,
von andern aber nicht alles, und mancher erhielt nichts zurück, sondern mußte
sich von neuem einrichten. Die Spohn hatte gar nichts verkauft und nie¬
mandem die Schlüssel übergeben, sondern hatte sie in der Tasche.

Hierauf schickten die Separatisten mit Bewilligung des Gouverneurs von
Grusien drei Männer ab, zwei nach Jerusalem und einen nach Konstantinopel,
um anzufragen, ob sie angenommen würden und einen Ansiedlungsplatz bei
Jerusalem auszuforschen. Sie kamen zu Ende des Jahres 1843 mit der
Nachricht zurück, daß es ihnen dort nicht gefallen könne. Darauf wurden fast
alle, sogar die Spohn, kirchlich und viele bereuten ihren Irrthum aufrichtig,
und achteten die Spohn wenig, da sie sie getäuscht und irre geführt habe;
manche jedoch sollen immer noch geheime Separatisten sein.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/282>, abgerufen am 26.07.2024.