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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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im Freien oder auch in den Häusern der Gemeindeglieder der Gottesdienst
gehalten worden. Ein jeder, dem der heilige Geist etwas eingegeben, habe
reden können; ebenso sei auch von den Aposteln ohne alle Gelehrsamkeit und
Witzelei gelehrt worden, dieselben Apostel haben auch einen Ncchrungszwcig
betrieben. Sie sagten serner, es sei Gott ein Greuel, wenn man gelehrt
predige. Wenn sie die Begierde nach etwas trieb, so thaten sie grade das
Gegentheil. Wenn einer z. B. Appetit nach Fleisch hatte, so aß er Milch
oder Mehlspeise und umgekehrt. Oft legten sie sich ein Stück Braten auf den
Mund und sprachen: "Du möchtest ihn wol gern haben?", schlugen sich da¬
rauf auf den Mund und warfen das Fleisch weg. Ost sahen mehre des Nachts
stundenlang mit entblößtem Unterkörper im Schnee. Sie nahmen auch eine
feierliche, mehr singende Sprache an, so daß man sie schon daran erkannte.
Sie bildeten sich ein, das auserwählte Volk Gottes zu sein. Gott, meinten
sie. sei nur ihr Oberhaupt und sie seien nicht verpflichtet, sich den Gesetzen
zu fügen, die Menschen gemacht hätten. Doch fielen bei ihnen nie Excesse
oder öffentliche Unmoralitäten oder Verbrechen vor. Sie lebten still und ein¬
gezogen volle 20 Jahre hindurch ganz nach ihrem Gutdünken. Sie wählten
sich drei Aelteste. Den einen alten Mann. Namens Kciuter. nannten sie Gott
den Vater; den zweiten jüngeren, Namens Grillenborzer. nannten sie Gott den
Sohn; die dritte, ein altes Weib. Namens Leibslerin, nannten,sie Gott den
heiligen Geist. Die Kirche bezeichneten sie als die Versammlung der Gottlosen,
die von einem Manne, der nicht vom guten Geist regiert werde, Belehrung
annehme. Im Jahr 1830, als ihnen die Prediger Einwendungen zumachen
ansingen, trennten sie sich ganz, gingen nicht mehr zum Abendmahl und
ließen ihre Kinder nicht mehr laufen. Sie sagten, die Confirmation sei Un¬
recht, da von ihr nichts in der Bibel stehe; die Taufe sei bloße Ceremonie,
da Christus die Kinder nur gesegnet, aber nicht getauft habe. Andere aber
sagten, man solle zwar laufen. aber erst, wenn der Täufling wisse, warum
dies geschehe. Ferner behaupteten sie. das Abendmahl sei zwar zu billigen,
aber man halte es nicht recht. Erstens halte man es am hellen Mittag und
Christus habe es bei Mitternacht eingesetzt; auch habe er den Jüngern das
Brot nicht in den Mund gegeben, sondern ein jeder von den Jüngern habe
sich nach Willkür genommen.

Im Jahr 1835 verlangten die Prediger energisch, daß die Separatisten
ihre 6--15jährigen Kinder laufen lassen sollten. ..Wir brauchen keine Pre¬
diger." sagten sie, "die uns die Kinder taufen und von nun an betrachten
wir unsere Weiber nur als Schwestern; wir sind der Erbsünde abgestorben."
Sie huldigten nun der Abstinenz, hafteten auch oft volle sechs Tage sehr streng.
Im Jahre 1836. da sich die Prediger an die Obrigkeit wandten, wurden sie
widerspenstig und einer von ihnen wurde auf einen Monat festgesetzt. Dies


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im Freien oder auch in den Häusern der Gemeindeglieder der Gottesdienst
gehalten worden. Ein jeder, dem der heilige Geist etwas eingegeben, habe
reden können; ebenso sei auch von den Aposteln ohne alle Gelehrsamkeit und
Witzelei gelehrt worden, dieselben Apostel haben auch einen Ncchrungszwcig
betrieben. Sie sagten serner, es sei Gott ein Greuel, wenn man gelehrt
predige. Wenn sie die Begierde nach etwas trieb, so thaten sie grade das
Gegentheil. Wenn einer z. B. Appetit nach Fleisch hatte, so aß er Milch
oder Mehlspeise und umgekehrt. Oft legten sie sich ein Stück Braten auf den
Mund und sprachen: „Du möchtest ihn wol gern haben?", schlugen sich da¬
rauf auf den Mund und warfen das Fleisch weg. Ost sahen mehre des Nachts
stundenlang mit entblößtem Unterkörper im Schnee. Sie nahmen auch eine
feierliche, mehr singende Sprache an, so daß man sie schon daran erkannte.
Sie bildeten sich ein, das auserwählte Volk Gottes zu sein. Gott, meinten
sie. sei nur ihr Oberhaupt und sie seien nicht verpflichtet, sich den Gesetzen
zu fügen, die Menschen gemacht hätten. Doch fielen bei ihnen nie Excesse
oder öffentliche Unmoralitäten oder Verbrechen vor. Sie lebten still und ein¬
gezogen volle 20 Jahre hindurch ganz nach ihrem Gutdünken. Sie wählten
sich drei Aelteste. Den einen alten Mann. Namens Kciuter. nannten sie Gott
den Vater; den zweiten jüngeren, Namens Grillenborzer. nannten sie Gott den
Sohn; die dritte, ein altes Weib. Namens Leibslerin, nannten,sie Gott den
heiligen Geist. Die Kirche bezeichneten sie als die Versammlung der Gottlosen,
die von einem Manne, der nicht vom guten Geist regiert werde, Belehrung
annehme. Im Jahr 1830, als ihnen die Prediger Einwendungen zumachen
ansingen, trennten sie sich ganz, gingen nicht mehr zum Abendmahl und
ließen ihre Kinder nicht mehr laufen. Sie sagten, die Confirmation sei Un¬
recht, da von ihr nichts in der Bibel stehe; die Taufe sei bloße Ceremonie,
da Christus die Kinder nur gesegnet, aber nicht getauft habe. Andere aber
sagten, man solle zwar laufen. aber erst, wenn der Täufling wisse, warum
dies geschehe. Ferner behaupteten sie. das Abendmahl sei zwar zu billigen,
aber man halte es nicht recht. Erstens halte man es am hellen Mittag und
Christus habe es bei Mitternacht eingesetzt; auch habe er den Jüngern das
Brot nicht in den Mund gegeben, sondern ein jeder von den Jüngern habe
sich nach Willkür genommen.

Im Jahr 1835 verlangten die Prediger energisch, daß die Separatisten
ihre 6—15jährigen Kinder laufen lassen sollten. ..Wir brauchen keine Pre¬
diger." sagten sie, „die uns die Kinder taufen und von nun an betrachten
wir unsere Weiber nur als Schwestern; wir sind der Erbsünde abgestorben."
Sie huldigten nun der Abstinenz, hafteten auch oft volle sechs Tage sehr streng.
Im Jahre 1836. da sich die Prediger an die Obrigkeit wandten, wurden sie
widerspenstig und einer von ihnen wurde auf einen Monat festgesetzt. Dies


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[0275] im Freien oder auch in den Häusern der Gemeindeglieder der Gottesdienst gehalten worden. Ein jeder, dem der heilige Geist etwas eingegeben, habe reden können; ebenso sei auch von den Aposteln ohne alle Gelehrsamkeit und Witzelei gelehrt worden, dieselben Apostel haben auch einen Ncchrungszwcig betrieben. Sie sagten serner, es sei Gott ein Greuel, wenn man gelehrt predige. Wenn sie die Begierde nach etwas trieb, so thaten sie grade das Gegentheil. Wenn einer z. B. Appetit nach Fleisch hatte, so aß er Milch oder Mehlspeise und umgekehrt. Oft legten sie sich ein Stück Braten auf den Mund und sprachen: „Du möchtest ihn wol gern haben?", schlugen sich da¬ rauf auf den Mund und warfen das Fleisch weg. Ost sahen mehre des Nachts stundenlang mit entblößtem Unterkörper im Schnee. Sie nahmen auch eine feierliche, mehr singende Sprache an, so daß man sie schon daran erkannte. Sie bildeten sich ein, das auserwählte Volk Gottes zu sein. Gott, meinten sie. sei nur ihr Oberhaupt und sie seien nicht verpflichtet, sich den Gesetzen zu fügen, die Menschen gemacht hätten. Doch fielen bei ihnen nie Excesse oder öffentliche Unmoralitäten oder Verbrechen vor. Sie lebten still und ein¬ gezogen volle 20 Jahre hindurch ganz nach ihrem Gutdünken. Sie wählten sich drei Aelteste. Den einen alten Mann. Namens Kciuter. nannten sie Gott den Vater; den zweiten jüngeren, Namens Grillenborzer. nannten sie Gott den Sohn; die dritte, ein altes Weib. Namens Leibslerin, nannten,sie Gott den heiligen Geist. Die Kirche bezeichneten sie als die Versammlung der Gottlosen, die von einem Manne, der nicht vom guten Geist regiert werde, Belehrung annehme. Im Jahr 1830, als ihnen die Prediger Einwendungen zumachen ansingen, trennten sie sich ganz, gingen nicht mehr zum Abendmahl und ließen ihre Kinder nicht mehr laufen. Sie sagten, die Confirmation sei Un¬ recht, da von ihr nichts in der Bibel stehe; die Taufe sei bloße Ceremonie, da Christus die Kinder nur gesegnet, aber nicht getauft habe. Andere aber sagten, man solle zwar laufen. aber erst, wenn der Täufling wisse, warum dies geschehe. Ferner behaupteten sie. das Abendmahl sei zwar zu billigen, aber man halte es nicht recht. Erstens halte man es am hellen Mittag und Christus habe es bei Mitternacht eingesetzt; auch habe er den Jüngern das Brot nicht in den Mund gegeben, sondern ein jeder von den Jüngern habe sich nach Willkür genommen. Im Jahr 1835 verlangten die Prediger energisch, daß die Separatisten ihre 6—15jährigen Kinder laufen lassen sollten. ..Wir brauchen keine Pre¬ diger." sagten sie, „die uns die Kinder taufen und von nun an betrachten wir unsere Weiber nur als Schwestern; wir sind der Erbsünde abgestorben." Sie huldigten nun der Abstinenz, hafteten auch oft volle sechs Tage sehr streng. Im Jahre 1836. da sich die Prediger an die Obrigkeit wandten, wurden sie widerspenstig und einer von ihnen wurde auf einen Monat festgesetzt. Dies 34*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/275>, abgerufen am 26.07.2024.