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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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mit übertriebener Vorsicht den ganzen Feldzug durch taktische Schachzüge zu
erledigen hoffte, die Lorbeern einerntete, die eigentlich jenem gebührten. Aus
den verschiedenen Angaben der Feldherrn bemüht sich der Herausgeber mit
Umsicht und Wahrheitsliebe den echten Thatbestand herzustellen.

General Löwenstern, der Liefländer, ist in allen Punkten das Gegen¬
bild zu Suworow. Geb, 1777 innerhalb der vornehmen Aristokratie, mit allen
Neigungen derselben reichlich ausgestattet, beliebt bei den Damen, schon als
halber Knabe mit dem tollsten Hazardspiel vertraut, wurde er einmal von
einer russischen Gräfin aus der Gesellschaft gewiesen, weil er sein Haar zu
stark mit Helivtroppomade gesalbt hatte. Charakteristisch ist sür die russische
Aristokratie, daß seine Mutter ihm beim ersten Feldzug ein Amulet mitgab,
um ihn kugelfest zu machen. Seine erste Beförderung verdankt er Tanten
und Cousinen, er wurde auch zum Handkuß bei der Kaiserin zugelassen. In
dem Feldzug in der Schweiz 1799 mußte er einmal einen Auftrag beim Feld¬
marschall Suworow vollzieh": "Ich sunt den Helden in einem Dorf, wie er,
umgeben von einem Theil des Generalstabs und auf einem tragbaren Sessel
sitzend, eben damit beschäftigt war, seine Digestion los zu werden. So gut
ich diesen Gebrauch aus Erzählungen kannte, so war es mir doch ein seltener
Anblick, ihn ächzend und stöhnend sitzen zu sehen, während ihn der Stab mit
ernsten schweigenden Mienen umgab. Ein hochgewachsener Ordönanzkosllk
stand mit gravitätischer Miene neben dem Stuhl und hielt ein Päckchen Papier
in der linken Hand, woraus er - mit der rechten dem ruhmbekränzten Greis
von Zeit zu Zeit zureichte, während dieser halblaut dazwischen rief: Hurrah!
Hau! stich! jag! Die Sitzung dauerte geraume Zeit, und vielerlei Geschäft
ward dabei abgemacht." Wenn uns gewöhnlich in militärischen Denkwürdig¬
keiten nur das officielle Geschäft vorgeführt wird, weiht uns Löwenstern in
die Mysterien des Lagerlebens ein. Der liebenswürdige junge Offizier hatte
ebenso viel Glück in der Liebe wie im Spiel, und selten, verfloß eine Woche
ohne eine neue Eroberung, die dann immer artig beschrieben wird. Nach been¬
digtem Feldzug wollte Löwenstern mit seiner kranken Frau eine Reise nach Ita¬
lien machen, sie starb ihm aber unterwegs, er gab seine Fahrt auf und nahm
als Freiwilliger an der Schlacht von Wagram Theil. Nach Petersburg, zurück¬
gekehrt, ließ er sich in neue Liebesabenteuer ein, gewann im Lauf von vier
Monaten 4 50,000 Rubel, die er aber bald wieder verspielte. Beim Ausbruch
des französischen Kriegs nahm er wieder Dienste und gewann die Gunst des
Oberfeldherrn Barklay de Tolly. aber er wurde des Verständnisses mit dem
Feind verdächtig und als Arrestant nach Moskau geschickt, bis endlich seine
Unschuld an den Tag kam. Dort lernte er Rostopschin kennen, den berühm¬
ten Urheber des großen Brandes. -- Seine Tafel war eine heitere Vereini¬
gung geistreicher Unterhaltung. Er gehörte seiner Bildung nach dem älteren,


mit übertriebener Vorsicht den ganzen Feldzug durch taktische Schachzüge zu
erledigen hoffte, die Lorbeern einerntete, die eigentlich jenem gebührten. Aus
den verschiedenen Angaben der Feldherrn bemüht sich der Herausgeber mit
Umsicht und Wahrheitsliebe den echten Thatbestand herzustellen.

General Löwenstern, der Liefländer, ist in allen Punkten das Gegen¬
bild zu Suworow. Geb, 1777 innerhalb der vornehmen Aristokratie, mit allen
Neigungen derselben reichlich ausgestattet, beliebt bei den Damen, schon als
halber Knabe mit dem tollsten Hazardspiel vertraut, wurde er einmal von
einer russischen Gräfin aus der Gesellschaft gewiesen, weil er sein Haar zu
stark mit Helivtroppomade gesalbt hatte. Charakteristisch ist sür die russische
Aristokratie, daß seine Mutter ihm beim ersten Feldzug ein Amulet mitgab,
um ihn kugelfest zu machen. Seine erste Beförderung verdankt er Tanten
und Cousinen, er wurde auch zum Handkuß bei der Kaiserin zugelassen. In
dem Feldzug in der Schweiz 1799 mußte er einmal einen Auftrag beim Feld¬
marschall Suworow vollzieh«: „Ich sunt den Helden in einem Dorf, wie er,
umgeben von einem Theil des Generalstabs und auf einem tragbaren Sessel
sitzend, eben damit beschäftigt war, seine Digestion los zu werden. So gut
ich diesen Gebrauch aus Erzählungen kannte, so war es mir doch ein seltener
Anblick, ihn ächzend und stöhnend sitzen zu sehen, während ihn der Stab mit
ernsten schweigenden Mienen umgab. Ein hochgewachsener Ordönanzkosllk
stand mit gravitätischer Miene neben dem Stuhl und hielt ein Päckchen Papier
in der linken Hand, woraus er - mit der rechten dem ruhmbekränzten Greis
von Zeit zu Zeit zureichte, während dieser halblaut dazwischen rief: Hurrah!
Hau! stich! jag! Die Sitzung dauerte geraume Zeit, und vielerlei Geschäft
ward dabei abgemacht." Wenn uns gewöhnlich in militärischen Denkwürdig¬
keiten nur das officielle Geschäft vorgeführt wird, weiht uns Löwenstern in
die Mysterien des Lagerlebens ein. Der liebenswürdige junge Offizier hatte
ebenso viel Glück in der Liebe wie im Spiel, und selten, verfloß eine Woche
ohne eine neue Eroberung, die dann immer artig beschrieben wird. Nach been¬
digtem Feldzug wollte Löwenstern mit seiner kranken Frau eine Reise nach Ita¬
lien machen, sie starb ihm aber unterwegs, er gab seine Fahrt auf und nahm
als Freiwilliger an der Schlacht von Wagram Theil. Nach Petersburg, zurück¬
gekehrt, ließ er sich in neue Liebesabenteuer ein, gewann im Lauf von vier
Monaten 4 50,000 Rubel, die er aber bald wieder verspielte. Beim Ausbruch
des französischen Kriegs nahm er wieder Dienste und gewann die Gunst des
Oberfeldherrn Barklay de Tolly. aber er wurde des Verständnisses mit dem
Feind verdächtig und als Arrestant nach Moskau geschickt, bis endlich seine
Unschuld an den Tag kam. Dort lernte er Rostopschin kennen, den berühm¬
ten Urheber des großen Brandes. — Seine Tafel war eine heitere Vereini¬
gung geistreicher Unterhaltung. Er gehörte seiner Bildung nach dem älteren,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/272>, abgerufen am 26.07.2024.