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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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und schickte in seinem Grimm das ganze Regiment vom Excrcierplatz aus
nach Sibirien. Als dies drei Tage marschirt war, holte es endlich ein Courier
wieder zurück.

Paul verbrachte häusig die Abende bei einer Geliebten, da sie dann
öfter allein speisten. Die Geliebte zog, so oft es die kaiserliche Laune er¬
laubte, einen Franzosen dazu, den er besonders gut leiden mochte. Dieser
ein Bouffon, Namens Feauchere, unterhielt beide aufs köstlichste durch Erzäh¬
lungen, Witze, Schnurren, und wol auch durch förmliche Ausführungen von
Possen. Eines Abends, da der Kaiser besonders heiter war, verlangte die
Geliebte, daß Feauchere einen betrunkenen Offizier vorstelle. Paul gab die
Erlaubniß und der Franzose war gleich bei der Hand. Er nahm einen Hut
und ging ins Nebenzimmer, in dessen Thür er alsbald taumelnd erschien.
Der Hut entfiel seinen Händen und seine vergeblichen Anstrengungen ihn auf¬
zuheben, waren so komisch, daß die beiden Zuschauer nicht aus dem Lachen
kamen. Plötzlich erhascht er den Hut, mit dem er die köstlichsten Bewegungen
macht, bis er ihn endlich mit beiden Händen aus den Kopf schwingt. In
demselben Augenblick stürzt der Kaiser, wüthend, daß jemand in seiner Gegen¬
wart den Hut aufzusetzen wagte, wie ein Tiger über den armen Franzosen
her. Er packt ihn bei der Gurgel und hätte ihn erdrosselt, wenn ihn nicht
die Geliebte Pauls Händen entriß. Hier haben wir das Bild des ganzen
Mannes vor uns wie er leibt und lebte. Wir begreifen die strengen Anord¬
nungen, ihn zu grüßen, so daß man sogar mit dem Wagen bei seinem Vor¬
überfahren halten und aufsteigen mußte; die Form der Hüte; die Sucht alles
in Uniform zu schnüren; seine Abschließung des Reichs gegen das Ausland,
und seiner Residenz gegen das gesammte Reich.

Nebenbei erfahren wir. daß der Kaiser, wenn es ihm einfiel, einen hoch¬
gestellten Mann öffentlich eine Ohrfeige gab und dieser sollte so thun als wäre nichts
geschehn. Freilich wird diese Charakteristik durch'die Abneigung gefärbt, mit
welcher der Verfasser.den ungnädigen Gebieter seines Helden betrachtet, aber
im Ganzen ist sie wol richtig, und wir können uns den Schlagfluß, an wel¬
chem Paul verschied, pathologisch leicht erklären.

Der dritte Band schloß mit der ungnädigen Abberufung Siepers' von sei¬
nem polnischen Botschafterposten. Bald darauf gingen unter seinem bru¬
talen Nachfolger Jgelström die Unruhen wieder an und Sivers schrieb an die
Kaiserin, die ganze Schuld liege an der Habgier und der Ungeschicklichkeit
des neuen Botschafters. "Die jungen Minister und Glücksritter von Gene¬
ralen wollen den Krieg; da liegt das Uebel. Wenn Ew. k. M. dem Jgel¬
ström schreiben, daß, wenn in sechs Wochen nicht alles ruhig ist, Sie ihm
den Oberbefehl entziehn, ich wette meinen Kopf, es wird alles ruhig sein."
"Sie haben Recht, antwortet ihm eigenhändig die Kaiserin, ich bin oft


und schickte in seinem Grimm das ganze Regiment vom Excrcierplatz aus
nach Sibirien. Als dies drei Tage marschirt war, holte es endlich ein Courier
wieder zurück.

Paul verbrachte häusig die Abende bei einer Geliebten, da sie dann
öfter allein speisten. Die Geliebte zog, so oft es die kaiserliche Laune er¬
laubte, einen Franzosen dazu, den er besonders gut leiden mochte. Dieser
ein Bouffon, Namens Feauchere, unterhielt beide aufs köstlichste durch Erzäh¬
lungen, Witze, Schnurren, und wol auch durch förmliche Ausführungen von
Possen. Eines Abends, da der Kaiser besonders heiter war, verlangte die
Geliebte, daß Feauchere einen betrunkenen Offizier vorstelle. Paul gab die
Erlaubniß und der Franzose war gleich bei der Hand. Er nahm einen Hut
und ging ins Nebenzimmer, in dessen Thür er alsbald taumelnd erschien.
Der Hut entfiel seinen Händen und seine vergeblichen Anstrengungen ihn auf¬
zuheben, waren so komisch, daß die beiden Zuschauer nicht aus dem Lachen
kamen. Plötzlich erhascht er den Hut, mit dem er die köstlichsten Bewegungen
macht, bis er ihn endlich mit beiden Händen aus den Kopf schwingt. In
demselben Augenblick stürzt der Kaiser, wüthend, daß jemand in seiner Gegen¬
wart den Hut aufzusetzen wagte, wie ein Tiger über den armen Franzosen
her. Er packt ihn bei der Gurgel und hätte ihn erdrosselt, wenn ihn nicht
die Geliebte Pauls Händen entriß. Hier haben wir das Bild des ganzen
Mannes vor uns wie er leibt und lebte. Wir begreifen die strengen Anord¬
nungen, ihn zu grüßen, so daß man sogar mit dem Wagen bei seinem Vor¬
überfahren halten und aufsteigen mußte; die Form der Hüte; die Sucht alles
in Uniform zu schnüren; seine Abschließung des Reichs gegen das Ausland,
und seiner Residenz gegen das gesammte Reich.

Nebenbei erfahren wir. daß der Kaiser, wenn es ihm einfiel, einen hoch¬
gestellten Mann öffentlich eine Ohrfeige gab und dieser sollte so thun als wäre nichts
geschehn. Freilich wird diese Charakteristik durch'die Abneigung gefärbt, mit
welcher der Verfasser.den ungnädigen Gebieter seines Helden betrachtet, aber
im Ganzen ist sie wol richtig, und wir können uns den Schlagfluß, an wel¬
chem Paul verschied, pathologisch leicht erklären.

Der dritte Band schloß mit der ungnädigen Abberufung Siepers' von sei¬
nem polnischen Botschafterposten. Bald darauf gingen unter seinem bru¬
talen Nachfolger Jgelström die Unruhen wieder an und Sivers schrieb an die
Kaiserin, die ganze Schuld liege an der Habgier und der Ungeschicklichkeit
des neuen Botschafters. „Die jungen Minister und Glücksritter von Gene¬
ralen wollen den Krieg; da liegt das Uebel. Wenn Ew. k. M. dem Jgel¬
ström schreiben, daß, wenn in sechs Wochen nicht alles ruhig ist, Sie ihm
den Oberbefehl entziehn, ich wette meinen Kopf, es wird alles ruhig sein."
„Sie haben Recht, antwortet ihm eigenhändig die Kaiserin, ich bin oft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/264>, abgerufen am 02.07.2024.