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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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hat und auch fernerhin keinen derselben einschlagen wird. Nach zehn Jahren
äußern und innern Friedens steht das Problem eines neuen Oestreich
noch ungelöst da; die Idee eines Gescimmtöstreich muß den Machthabern in
Wien selbst unausführbar erscheinen', sonst hätte man unmöglich so lange mit
der definitiven Organisation desselben zögern, unmöglich so oft und so viel
hin und herschwanken, unmöglich in Ungarn und anderwärts Maßregeln er¬
greifen können, die das Volk, und selbst die besser Unterrichteten irre machen
müssen.

Unmittelbar nach der Revolution glaubte man in Schwarzenberg den
Mann zu sehn, der Oestreich seine neue Gestaltung geben, der ein wirkliches
Gesammtöstreich ausbauen würde. Wir wollen dem dahingeschiedenen Staats¬
mann seine Verdienste nicht schmälern und gestehen gern, daß er durch seine
unerschütterliche Festigkeit gegen die aus ihre Leistungen pochenden Generale
im Innern den Staat vor einer Prätorianeranarchie bewahrt und durch sein
an Rücksichtslosigkeit streifendes unabhängiges Auftreten in der äußern Politik
der durch die russische Hilfe etwas gab-emüthigten Großmacht ihre frühere
Stellung im Rathe der europäischen Völker wieder errungen hat. Allein diese
glänzenden Leistungen dürfen den historischen Beurtheiler nicht verblenden,
und wir können die Rathlosigkeit, welche noch heute in östreichischen Negie-
rungskreisen in Betreff der Reorganisation des Staates herrscht, nur dem
zur Last legen, der das Nuder desselben lenkte zu einer Zeit, wo diese Reor¬
ganisation am leichtesten und schnellsten zu bewerkstelligen war.

Schwarzenberg war mit all seiner Energie und trotz seines Abgehcns
von der engherzigen Abspcrrungspolitik Metternichs, ein Staatsmann aus der
alten östreichischen Schule. Er wollte vorerst dem Staate, an dessen Kraft
Europa und die eignen Völker zu zweifeln angefangen, durch ein strenges ab¬
solut monarchisches Regiment und eine starke wohldisciplinirte Armee nach
innen und außen Achtung verschaffen. Die Völker sollten vor allem begreifen
lernen, daß Oestreich groß und stark sei; dabei sollten sie sich an einen un¬
bedingten Gehorsam und eine starke Negierung gewöhnen, bevor sie zu einem
thätigen Antheil an der Neugestaltung des Staates berufen werden. -- Eu¬
ropa, welches damals mit Siebenmeilenstiefeln der Reaction in den Rachen
lief, sollte Oestreich in diesem langsamen Reorganisationsproceß nicht stören,
und der absolute Monarch mit seinem kricgsgeübten und sorgsam gepflegten
Heer auch nur wenig von etwaigen Schwingungen in der europäischen Politik
zu fürchten haben.

In einer normalen Zeit könnte man wol eine solche Politik eine ener¬
gische, eine thatkräftige nennen; in unserm Falle aber, wo der Gährungs-
proceß eines ganzen Welttheils unerwartete Resultate erzeugt hat, wo die Welt
fast aus ihren Fugen gegangen, und man berufen ist sie einzurichten, muß


hat und auch fernerhin keinen derselben einschlagen wird. Nach zehn Jahren
äußern und innern Friedens steht das Problem eines neuen Oestreich
noch ungelöst da; die Idee eines Gescimmtöstreich muß den Machthabern in
Wien selbst unausführbar erscheinen', sonst hätte man unmöglich so lange mit
der definitiven Organisation desselben zögern, unmöglich so oft und so viel
hin und herschwanken, unmöglich in Ungarn und anderwärts Maßregeln er¬
greifen können, die das Volk, und selbst die besser Unterrichteten irre machen
müssen.

Unmittelbar nach der Revolution glaubte man in Schwarzenberg den
Mann zu sehn, der Oestreich seine neue Gestaltung geben, der ein wirkliches
Gesammtöstreich ausbauen würde. Wir wollen dem dahingeschiedenen Staats¬
mann seine Verdienste nicht schmälern und gestehen gern, daß er durch seine
unerschütterliche Festigkeit gegen die aus ihre Leistungen pochenden Generale
im Innern den Staat vor einer Prätorianeranarchie bewahrt und durch sein
an Rücksichtslosigkeit streifendes unabhängiges Auftreten in der äußern Politik
der durch die russische Hilfe etwas gab-emüthigten Großmacht ihre frühere
Stellung im Rathe der europäischen Völker wieder errungen hat. Allein diese
glänzenden Leistungen dürfen den historischen Beurtheiler nicht verblenden,
und wir können die Rathlosigkeit, welche noch heute in östreichischen Negie-
rungskreisen in Betreff der Reorganisation des Staates herrscht, nur dem
zur Last legen, der das Nuder desselben lenkte zu einer Zeit, wo diese Reor¬
ganisation am leichtesten und schnellsten zu bewerkstelligen war.

Schwarzenberg war mit all seiner Energie und trotz seines Abgehcns
von der engherzigen Abspcrrungspolitik Metternichs, ein Staatsmann aus der
alten östreichischen Schule. Er wollte vorerst dem Staate, an dessen Kraft
Europa und die eignen Völker zu zweifeln angefangen, durch ein strenges ab¬
solut monarchisches Regiment und eine starke wohldisciplinirte Armee nach
innen und außen Achtung verschaffen. Die Völker sollten vor allem begreifen
lernen, daß Oestreich groß und stark sei; dabei sollten sie sich an einen un¬
bedingten Gehorsam und eine starke Negierung gewöhnen, bevor sie zu einem
thätigen Antheil an der Neugestaltung des Staates berufen werden. — Eu¬
ropa, welches damals mit Siebenmeilenstiefeln der Reaction in den Rachen
lief, sollte Oestreich in diesem langsamen Reorganisationsproceß nicht stören,
und der absolute Monarch mit seinem kricgsgeübten und sorgsam gepflegten
Heer auch nur wenig von etwaigen Schwingungen in der europäischen Politik
zu fürchten haben.

In einer normalen Zeit könnte man wol eine solche Politik eine ener¬
gische, eine thatkräftige nennen; in unserm Falle aber, wo der Gährungs-
proceß eines ganzen Welttheils unerwartete Resultate erzeugt hat, wo die Welt
fast aus ihren Fugen gegangen, und man berufen ist sie einzurichten, muß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/254>, abgerufen am 22.07.2024.