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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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geblieben ist -- Christenthum und Islam. Hierarchie, Ritteradel mit zuge¬
spitztem Ehrgefühl, Romantik und Courtoisie, Handhabung des Pulvergeschützes
und der Buchdruckerkunst, humanistische Studien, Reformation und Gegen¬
reformation, Seefahrten mit Magnet zu Entdeckung und Colonisation, Fern¬
rohr, Barometer, Thermometer, Rückwirkung des Colonialwesens auf das
materielle Leben mit Gewürz, Tabak, Kartoffeln, Zucker, Kaffee, Thee, Baum¬
wolle u. f. w., Gebrauch des Französischen bei conventionellen Begegnungen,
des Englischen im gewerblichen Weltverkehr, Tagesblätter, Weltmannsbildung
-- haben die jüngsten Menschenalter unter und nach den Stürmen der um¬
stürzenden und bahnbrechenden Revolution, Siebenmeilenstiefel zur Verbreitung
der Cultur angelegt. Dämonische Mächte der Natur in des Menschen Dienst,
Elektricität, Dampf und Magnetismus mit fabelhafter Beschleunigung und
Vervielfältigung des Weltverkehrs, haben die zwischen den Nationen vorhan¬
denen Klüfte von Raum und Zeit überbrückt; auf den starkbelebten Bahnen
d<!r Begegnung und Mittheilung gilt Austausch und Mischung nationaler Eigen¬
thümlichkeit unter allgemeingültigen Verkehrsnormen.

Diese Weltmächte mit ihrem drangvollen Gefolge der Gewinnspeculation
des Papiergelds und Acticnschwmdels, des Bank- und Creditwesens, der
Börsenmanöver haben in die Räder specifischen Nationalgetriebs der Reihe
nach wetteifernd in einem Maß eingegriffen, daß nur die noch in primitivem
Embryoncnstande befindlichen, in entlegenen oder unzugänglichen Nccessen
wohnhaften Erdbewohner davon unberührt geblieben sind. Also, scheint es,
ist naturwüchsig Nationales und national Eigenthümliches zu einem Minimum,
Gemeinsamkeit der Cultur aber in der Mehrzahl der,Lebensrichtungen vor¬
herrschend geworden. . Dennoch behauptet es gegen das Uebergewicht jener
Macht sein Recht, und bei der Frage, in welcher Art es jenes geltend gemacht
habe und wie viel unter dem Stempel der Cultur von ihm übriggeblieben sei,
wiederum wie es die Culturgaben sich angeeignet und nationalisiert habe, ist
das Ergebniß wahrlich kein geringes. Lassen wir nun auch die Stereotypie des
Natürgepräges, aufweiche die Schöpfungen der Cultur nur geringen oder gar kei¬
nen Einfluß üben können, desgleichen die durch locale Physik bedingten Gewerbs-
arten und Lebenseinrichtungen bei Seite, und beachten nur das Gesellschafts¬
leben unter den Einflüssen freier Vernunftthätigkeit, so darf die Musterung nicht
blos bei dem sogenannten Volk, dem Bürger und Bauer, Befriedigung erwarten,
sie findet solche auch in höhern Kreisen. Allerdings ist dort das Hergebrachte
reichlicher und dauernder als in diesen zu finden und die Zähheit in dessen
Festhaltung dort zu Hause. Wiederum ist in den höhern Kreisen der Gesell¬
schaft das Salonleben der vornehmen Welt, überhaupt aber die Gestaltung
des socialen Lebens mit weitverbreiteter Gewöhnung an früherhin unbekannte
Bedürfnisse und Genüsse, Kaffee, Thee, Brantwein u. s. w. nicht auf ein


geblieben ist — Christenthum und Islam. Hierarchie, Ritteradel mit zuge¬
spitztem Ehrgefühl, Romantik und Courtoisie, Handhabung des Pulvergeschützes
und der Buchdruckerkunst, humanistische Studien, Reformation und Gegen¬
reformation, Seefahrten mit Magnet zu Entdeckung und Colonisation, Fern¬
rohr, Barometer, Thermometer, Rückwirkung des Colonialwesens auf das
materielle Leben mit Gewürz, Tabak, Kartoffeln, Zucker, Kaffee, Thee, Baum¬
wolle u. f. w., Gebrauch des Französischen bei conventionellen Begegnungen,
des Englischen im gewerblichen Weltverkehr, Tagesblätter, Weltmannsbildung
— haben die jüngsten Menschenalter unter und nach den Stürmen der um¬
stürzenden und bahnbrechenden Revolution, Siebenmeilenstiefel zur Verbreitung
der Cultur angelegt. Dämonische Mächte der Natur in des Menschen Dienst,
Elektricität, Dampf und Magnetismus mit fabelhafter Beschleunigung und
Vervielfältigung des Weltverkehrs, haben die zwischen den Nationen vorhan¬
denen Klüfte von Raum und Zeit überbrückt; auf den starkbelebten Bahnen
d<!r Begegnung und Mittheilung gilt Austausch und Mischung nationaler Eigen¬
thümlichkeit unter allgemeingültigen Verkehrsnormen.

Diese Weltmächte mit ihrem drangvollen Gefolge der Gewinnspeculation
des Papiergelds und Acticnschwmdels, des Bank- und Creditwesens, der
Börsenmanöver haben in die Räder specifischen Nationalgetriebs der Reihe
nach wetteifernd in einem Maß eingegriffen, daß nur die noch in primitivem
Embryoncnstande befindlichen, in entlegenen oder unzugänglichen Nccessen
wohnhaften Erdbewohner davon unberührt geblieben sind. Also, scheint es,
ist naturwüchsig Nationales und national Eigenthümliches zu einem Minimum,
Gemeinsamkeit der Cultur aber in der Mehrzahl der,Lebensrichtungen vor¬
herrschend geworden. . Dennoch behauptet es gegen das Uebergewicht jener
Macht sein Recht, und bei der Frage, in welcher Art es jenes geltend gemacht
habe und wie viel unter dem Stempel der Cultur von ihm übriggeblieben sei,
wiederum wie es die Culturgaben sich angeeignet und nationalisiert habe, ist
das Ergebniß wahrlich kein geringes. Lassen wir nun auch die Stereotypie des
Natürgepräges, aufweiche die Schöpfungen der Cultur nur geringen oder gar kei¬
nen Einfluß üben können, desgleichen die durch locale Physik bedingten Gewerbs-
arten und Lebenseinrichtungen bei Seite, und beachten nur das Gesellschafts¬
leben unter den Einflüssen freier Vernunftthätigkeit, so darf die Musterung nicht
blos bei dem sogenannten Volk, dem Bürger und Bauer, Befriedigung erwarten,
sie findet solche auch in höhern Kreisen. Allerdings ist dort das Hergebrachte
reichlicher und dauernder als in diesen zu finden und die Zähheit in dessen
Festhaltung dort zu Hause. Wiederum ist in den höhern Kreisen der Gesell¬
schaft das Salonleben der vornehmen Welt, überhaupt aber die Gestaltung
des socialen Lebens mit weitverbreiteter Gewöhnung an früherhin unbekannte
Bedürfnisse und Genüsse, Kaffee, Thee, Brantwein u. s. w. nicht auf ein


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[0236] geblieben ist — Christenthum und Islam. Hierarchie, Ritteradel mit zuge¬ spitztem Ehrgefühl, Romantik und Courtoisie, Handhabung des Pulvergeschützes und der Buchdruckerkunst, humanistische Studien, Reformation und Gegen¬ reformation, Seefahrten mit Magnet zu Entdeckung und Colonisation, Fern¬ rohr, Barometer, Thermometer, Rückwirkung des Colonialwesens auf das materielle Leben mit Gewürz, Tabak, Kartoffeln, Zucker, Kaffee, Thee, Baum¬ wolle u. f. w., Gebrauch des Französischen bei conventionellen Begegnungen, des Englischen im gewerblichen Weltverkehr, Tagesblätter, Weltmannsbildung — haben die jüngsten Menschenalter unter und nach den Stürmen der um¬ stürzenden und bahnbrechenden Revolution, Siebenmeilenstiefel zur Verbreitung der Cultur angelegt. Dämonische Mächte der Natur in des Menschen Dienst, Elektricität, Dampf und Magnetismus mit fabelhafter Beschleunigung und Vervielfältigung des Weltverkehrs, haben die zwischen den Nationen vorhan¬ denen Klüfte von Raum und Zeit überbrückt; auf den starkbelebten Bahnen d<!r Begegnung und Mittheilung gilt Austausch und Mischung nationaler Eigen¬ thümlichkeit unter allgemeingültigen Verkehrsnormen. Diese Weltmächte mit ihrem drangvollen Gefolge der Gewinnspeculation des Papiergelds und Acticnschwmdels, des Bank- und Creditwesens, der Börsenmanöver haben in die Räder specifischen Nationalgetriebs der Reihe nach wetteifernd in einem Maß eingegriffen, daß nur die noch in primitivem Embryoncnstande befindlichen, in entlegenen oder unzugänglichen Nccessen wohnhaften Erdbewohner davon unberührt geblieben sind. Also, scheint es, ist naturwüchsig Nationales und national Eigenthümliches zu einem Minimum, Gemeinsamkeit der Cultur aber in der Mehrzahl der,Lebensrichtungen vor¬ herrschend geworden. . Dennoch behauptet es gegen das Uebergewicht jener Macht sein Recht, und bei der Frage, in welcher Art es jenes geltend gemacht habe und wie viel unter dem Stempel der Cultur von ihm übriggeblieben sei, wiederum wie es die Culturgaben sich angeeignet und nationalisiert habe, ist das Ergebniß wahrlich kein geringes. Lassen wir nun auch die Stereotypie des Natürgepräges, aufweiche die Schöpfungen der Cultur nur geringen oder gar kei¬ nen Einfluß üben können, desgleichen die durch locale Physik bedingten Gewerbs- arten und Lebenseinrichtungen bei Seite, und beachten nur das Gesellschafts¬ leben unter den Einflüssen freier Vernunftthätigkeit, so darf die Musterung nicht blos bei dem sogenannten Volk, dem Bürger und Bauer, Befriedigung erwarten, sie findet solche auch in höhern Kreisen. Allerdings ist dort das Hergebrachte reichlicher und dauernder als in diesen zu finden und die Zähheit in dessen Festhaltung dort zu Hause. Wiederum ist in den höhern Kreisen der Gesell¬ schaft das Salonleben der vornehmen Welt, überhaupt aber die Gestaltung des socialen Lebens mit weitverbreiteter Gewöhnung an früherhin unbekannte Bedürfnisse und Genüsse, Kaffee, Thee, Brantwein u. s. w. nicht auf ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/236>, abgerufen am 23.07.2024.