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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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harten, der herrlichsten Politur fähigen Steine wurden namentlich hohe Säu¬
len, Statuen, Obelisken, Kolosse, alle aus einem Stück gehauen. Diese
Monolithen, so wie die großen, durch ihre Schwere allein zusammenhaltenden
Quaderblöcke zu den Mauern der Tempel und Paläste mußten also an den
Nil geschafft, auf Flößen an Ort und Stelle gebracht, dort ausgehoben und
bis zur Höhe des Bauplatzes gezogen werden.

Das crstaunenerregendste Ensemble jener Werke bietet sich bekanntlich auf
dem Areal des alten Theben dar, der von Homer sogenannten hundertthorigen
Stadt. (Indeß ist "Hekatompylos" nach einer Bemerkung Diodors nicht
von Stadtthoren, sondern von den obenerwähnten Pylonen als Tempcl-
thoren, zu verstehen.) Hier, in den jetzigen vier Dörfern Medinat-Habu und
Kuma auf der westlichen, Luxor und Karnak aus der östlichen Seite des Nil
findet man jene oft beschriebenen Tempel und Paläste, jene Obelisken, aus
einem Steine von 70 und 90 Fuß Höhe, die beiden berühmten Memnon-
kolosse, 01 Fuß hoch, welche, je aus einem Granitblock bestehend, aus der-
Mitte der Ebene ihre riesigen Schatten bis fast an die libysche Felswand werfen.
Hier fand man den in das britische Museum gebrachten, sehr schönen Kopf
eines Kolossen. Man mußte, wie ein Autor bemerkt, eine Höhle graben, um
das Lächeln dieses Mundes auszudrücken. Hier sind die Trümmer des Mem-
noniums, auch Grabmal des Osymandyas genannt, so wie der berühmte Palast von
Karnak. An ganzen Reihen von hohen Pylonenthürmen, an Tempeln, Säulen¬
hallen vorüber, durch Alleen von Sphynxtolosscn gelangt man an den Palast,
in welchem sich jener Saal befindet, dessen aus gewaltigen Steinblöcken gefügte
Decke von etwa 140 Säulen getragen wird, welche, bei einer Höhe von 65
bis 70 Fuß, je einen Durchmesser von 10--11 Fuß haben, so daß, wie man
berechnet hat, aus jedem Capital dieser Säulen hundert Menschen stehen könn¬
ten. Ueber dieses Werk sagt Champollion: "Ich will es nicht wagen, eine
Schilderung davon liefern zu wollen; denn entweder würden meine Worte
nur den tausendsten Theil von dem ausdrücken, was man über solche Gegen¬
stände sagen muß, oder wenn ich ja davon eine schwache Skizze nur mit
blassen Tinten entwerfen wollte, würde man mich für einen Schwärmer, viel¬
leicht auch für einen Narren halten. Genug, kein Volk alter oder neuer Zeit
hat das Wesen der Baukunst nach einem so erhabenen, umfassenden und gro߬
artigen Maßstab aufgefaßt, als die alten Aegypter. Sie machten Entwürfe,
wie Menschen, die hundert Fuß hoch sind, und die Einbildungskraft, die in
Europa über unsere Säulenhallen sich wol noch emporschwingen kann, hemmt
ihren Flug und sinkt ohnmächtig zu Boden vor dem von 140 Säulen getra¬
genen Saal von Karnak." -- Welchen Eindruck mußten diese nunmehr theil¬
weise zertrümmerten und versandeten Werke auf den Fremden unversehrt, in alter
ägyptischer Zeit machen! Hier und dort sieht man auf den Terrassen der Tem-


harten, der herrlichsten Politur fähigen Steine wurden namentlich hohe Säu¬
len, Statuen, Obelisken, Kolosse, alle aus einem Stück gehauen. Diese
Monolithen, so wie die großen, durch ihre Schwere allein zusammenhaltenden
Quaderblöcke zu den Mauern der Tempel und Paläste mußten also an den
Nil geschafft, auf Flößen an Ort und Stelle gebracht, dort ausgehoben und
bis zur Höhe des Bauplatzes gezogen werden.

Das crstaunenerregendste Ensemble jener Werke bietet sich bekanntlich auf
dem Areal des alten Theben dar, der von Homer sogenannten hundertthorigen
Stadt. (Indeß ist „Hekatompylos" nach einer Bemerkung Diodors nicht
von Stadtthoren, sondern von den obenerwähnten Pylonen als Tempcl-
thoren, zu verstehen.) Hier, in den jetzigen vier Dörfern Medinat-Habu und
Kuma auf der westlichen, Luxor und Karnak aus der östlichen Seite des Nil
findet man jene oft beschriebenen Tempel und Paläste, jene Obelisken, aus
einem Steine von 70 und 90 Fuß Höhe, die beiden berühmten Memnon-
kolosse, 01 Fuß hoch, welche, je aus einem Granitblock bestehend, aus der-
Mitte der Ebene ihre riesigen Schatten bis fast an die libysche Felswand werfen.
Hier fand man den in das britische Museum gebrachten, sehr schönen Kopf
eines Kolossen. Man mußte, wie ein Autor bemerkt, eine Höhle graben, um
das Lächeln dieses Mundes auszudrücken. Hier sind die Trümmer des Mem-
noniums, auch Grabmal des Osymandyas genannt, so wie der berühmte Palast von
Karnak. An ganzen Reihen von hohen Pylonenthürmen, an Tempeln, Säulen¬
hallen vorüber, durch Alleen von Sphynxtolosscn gelangt man an den Palast,
in welchem sich jener Saal befindet, dessen aus gewaltigen Steinblöcken gefügte
Decke von etwa 140 Säulen getragen wird, welche, bei einer Höhe von 65
bis 70 Fuß, je einen Durchmesser von 10—11 Fuß haben, so daß, wie man
berechnet hat, aus jedem Capital dieser Säulen hundert Menschen stehen könn¬
ten. Ueber dieses Werk sagt Champollion: „Ich will es nicht wagen, eine
Schilderung davon liefern zu wollen; denn entweder würden meine Worte
nur den tausendsten Theil von dem ausdrücken, was man über solche Gegen¬
stände sagen muß, oder wenn ich ja davon eine schwache Skizze nur mit
blassen Tinten entwerfen wollte, würde man mich für einen Schwärmer, viel¬
leicht auch für einen Narren halten. Genug, kein Volk alter oder neuer Zeit
hat das Wesen der Baukunst nach einem so erhabenen, umfassenden und gro߬
artigen Maßstab aufgefaßt, als die alten Aegypter. Sie machten Entwürfe,
wie Menschen, die hundert Fuß hoch sind, und die Einbildungskraft, die in
Europa über unsere Säulenhallen sich wol noch emporschwingen kann, hemmt
ihren Flug und sinkt ohnmächtig zu Boden vor dem von 140 Säulen getra¬
genen Saal von Karnak." — Welchen Eindruck mußten diese nunmehr theil¬
weise zertrümmerten und versandeten Werke auf den Fremden unversehrt, in alter
ägyptischer Zeit machen! Hier und dort sieht man auf den Terrassen der Tem-


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[0228] harten, der herrlichsten Politur fähigen Steine wurden namentlich hohe Säu¬ len, Statuen, Obelisken, Kolosse, alle aus einem Stück gehauen. Diese Monolithen, so wie die großen, durch ihre Schwere allein zusammenhaltenden Quaderblöcke zu den Mauern der Tempel und Paläste mußten also an den Nil geschafft, auf Flößen an Ort und Stelle gebracht, dort ausgehoben und bis zur Höhe des Bauplatzes gezogen werden. Das crstaunenerregendste Ensemble jener Werke bietet sich bekanntlich auf dem Areal des alten Theben dar, der von Homer sogenannten hundertthorigen Stadt. (Indeß ist „Hekatompylos" nach einer Bemerkung Diodors nicht von Stadtthoren, sondern von den obenerwähnten Pylonen als Tempcl- thoren, zu verstehen.) Hier, in den jetzigen vier Dörfern Medinat-Habu und Kuma auf der westlichen, Luxor und Karnak aus der östlichen Seite des Nil findet man jene oft beschriebenen Tempel und Paläste, jene Obelisken, aus einem Steine von 70 und 90 Fuß Höhe, die beiden berühmten Memnon- kolosse, 01 Fuß hoch, welche, je aus einem Granitblock bestehend, aus der- Mitte der Ebene ihre riesigen Schatten bis fast an die libysche Felswand werfen. Hier fand man den in das britische Museum gebrachten, sehr schönen Kopf eines Kolossen. Man mußte, wie ein Autor bemerkt, eine Höhle graben, um das Lächeln dieses Mundes auszudrücken. Hier sind die Trümmer des Mem- noniums, auch Grabmal des Osymandyas genannt, so wie der berühmte Palast von Karnak. An ganzen Reihen von hohen Pylonenthürmen, an Tempeln, Säulen¬ hallen vorüber, durch Alleen von Sphynxtolosscn gelangt man an den Palast, in welchem sich jener Saal befindet, dessen aus gewaltigen Steinblöcken gefügte Decke von etwa 140 Säulen getragen wird, welche, bei einer Höhe von 65 bis 70 Fuß, je einen Durchmesser von 10—11 Fuß haben, so daß, wie man berechnet hat, aus jedem Capital dieser Säulen hundert Menschen stehen könn¬ ten. Ueber dieses Werk sagt Champollion: „Ich will es nicht wagen, eine Schilderung davon liefern zu wollen; denn entweder würden meine Worte nur den tausendsten Theil von dem ausdrücken, was man über solche Gegen¬ stände sagen muß, oder wenn ich ja davon eine schwache Skizze nur mit blassen Tinten entwerfen wollte, würde man mich für einen Schwärmer, viel¬ leicht auch für einen Narren halten. Genug, kein Volk alter oder neuer Zeit hat das Wesen der Baukunst nach einem so erhabenen, umfassenden und gro߬ artigen Maßstab aufgefaßt, als die alten Aegypter. Sie machten Entwürfe, wie Menschen, die hundert Fuß hoch sind, und die Einbildungskraft, die in Europa über unsere Säulenhallen sich wol noch emporschwingen kann, hemmt ihren Flug und sinkt ohnmächtig zu Boden vor dem von 140 Säulen getra¬ genen Saal von Karnak." — Welchen Eindruck mußten diese nunmehr theil¬ weise zertrümmerten und versandeten Werke auf den Fremden unversehrt, in alter ägyptischer Zeit machen! Hier und dort sieht man auf den Terrassen der Tem-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/228>, abgerufen am 22.07.2024.