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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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ägyptischen Architektur durchgreifend zur Anwendung, wenn auch neben ihr
die Säule gleichfalls eine überaus wichtige Rolle spielte. Nicht nur die Tempel
selbst haben Mauern aus großen Steinblöcken, sondern vor jenen stehen noch
die dem ägyptischen Baustil eigenthümlichen Pylone, thurmartige Flügel zu
beiden Seiten des den Tempelraum schließenden Thores, die quadratisch-pyra¬
midal emporsteigen. Hier bot sich nun die Aufgabe, diese weit sich hinbrei¬
tenden Mauerflächen nicht kahl und schmucklos zu lassen. Diesem Zweck ent¬
sprachen die Sculpturen, welche jeden Theil auch der Außenseiten dieser kolossalen
Bauten bedecken. Dieselben bestehen theils in Schildereien mannigfacher Art,
theils in Inschriften, welche gleichfalls, da auch die hieroglyphischen Zeichen
Bilder von Gegenständen sind, ein malerisches Ansehen haben. Um an einem
Beispiel zu zeigen, welche unendliche Mühe diese Sculpturen noch erforderten,
nachdem die herkulischen Arbeiten bei der Aufrichtung des Gebäudes selbst
beendet waren, so hat man ja berechnet, daß an den Hieroglyphen eines jener
vielen Tempel (des Tempels zu Ehr6) ein Steinmetz 50,000 Tage (das ist fast
137 Jahre) lang hätte arbeiten müssen.

Diese Sculpturen entsprechen durch ihre gigantischen Formen der Gro߬
artigkeit der architektonischen Anlage selbst. Sie geben hohe Göttergestalten,
religiöse Processionen und Ceremonien, große Schilderungen von Land- und
Seegefechten, wie auch Bilder von den Beschäftigungen des Landbaues und
häuslichen Lebens. Obschon noch ohne Kenntniß und Anwendung der Per¬
spektive, verstanden die ägyptischen Künstler es doch vollkommen, in Miene
und Bewegung 5er Figuren den deutlichen Ausdruck dessen zu legen, was sie
sein und sagen sollten.

Aber um ihre architektonischen Schöpfungen nicht einförmig, kahl und
wüst erscheinen zu lassen, ergriffen die ägyptischen Baukünstler noch ein anderes
Mittel: es war die Mannigfaltigkeit und das Complicirte der ganzen Anlage.
Vor dem Tempel oder Palaste selbst standen Obelisken, kolossale Statuen,
herrliche Säulenhallen, gingen große Alleen von Sphinxen her und vor dem
Ganzen erhob sich ein erhabenes Thor zwischen imposanten Pylonen. Und
zu diesem malerischen Ensemble von baulichen und Sculpturarbeiten bildete
der im Westen des Nilthales steil aufsteigende libysche Bergrand den an¬
gemessenen Hintergrund, von welchem jene Werke sich vortheilhaft abhoben,
gleichsam einen Rahmen, der die Perspective begünstigte und großartig ab¬
schloß. Es ist bereits in dem Werke der französischen Künstler und Gelehrten,
welche die Expedition Napoleons nach Aegypten begleiteten und die Herrlich¬
keiten dieses Landes zum ersten Mal ausschlossen, ein Vergleich zwischen dieser
Architektur und der griechischen angestellt worden. Auch der schönste griechische
Tempel würde, nach dem dort ausgesprochenen Urtheil, unter dem ägyptischen
Himmel, wie vor dieser geographischen Begrenzung der Landschaft, winzig und


ägyptischen Architektur durchgreifend zur Anwendung, wenn auch neben ihr
die Säule gleichfalls eine überaus wichtige Rolle spielte. Nicht nur die Tempel
selbst haben Mauern aus großen Steinblöcken, sondern vor jenen stehen noch
die dem ägyptischen Baustil eigenthümlichen Pylone, thurmartige Flügel zu
beiden Seiten des den Tempelraum schließenden Thores, die quadratisch-pyra¬
midal emporsteigen. Hier bot sich nun die Aufgabe, diese weit sich hinbrei¬
tenden Mauerflächen nicht kahl und schmucklos zu lassen. Diesem Zweck ent¬
sprachen die Sculpturen, welche jeden Theil auch der Außenseiten dieser kolossalen
Bauten bedecken. Dieselben bestehen theils in Schildereien mannigfacher Art,
theils in Inschriften, welche gleichfalls, da auch die hieroglyphischen Zeichen
Bilder von Gegenständen sind, ein malerisches Ansehen haben. Um an einem
Beispiel zu zeigen, welche unendliche Mühe diese Sculpturen noch erforderten,
nachdem die herkulischen Arbeiten bei der Aufrichtung des Gebäudes selbst
beendet waren, so hat man ja berechnet, daß an den Hieroglyphen eines jener
vielen Tempel (des Tempels zu Ehr6) ein Steinmetz 50,000 Tage (das ist fast
137 Jahre) lang hätte arbeiten müssen.

Diese Sculpturen entsprechen durch ihre gigantischen Formen der Gro߬
artigkeit der architektonischen Anlage selbst. Sie geben hohe Göttergestalten,
religiöse Processionen und Ceremonien, große Schilderungen von Land- und
Seegefechten, wie auch Bilder von den Beschäftigungen des Landbaues und
häuslichen Lebens. Obschon noch ohne Kenntniß und Anwendung der Per¬
spektive, verstanden die ägyptischen Künstler es doch vollkommen, in Miene
und Bewegung 5er Figuren den deutlichen Ausdruck dessen zu legen, was sie
sein und sagen sollten.

Aber um ihre architektonischen Schöpfungen nicht einförmig, kahl und
wüst erscheinen zu lassen, ergriffen die ägyptischen Baukünstler noch ein anderes
Mittel: es war die Mannigfaltigkeit und das Complicirte der ganzen Anlage.
Vor dem Tempel oder Palaste selbst standen Obelisken, kolossale Statuen,
herrliche Säulenhallen, gingen große Alleen von Sphinxen her und vor dem
Ganzen erhob sich ein erhabenes Thor zwischen imposanten Pylonen. Und
zu diesem malerischen Ensemble von baulichen und Sculpturarbeiten bildete
der im Westen des Nilthales steil aufsteigende libysche Bergrand den an¬
gemessenen Hintergrund, von welchem jene Werke sich vortheilhaft abhoben,
gleichsam einen Rahmen, der die Perspective begünstigte und großartig ab¬
schloß. Es ist bereits in dem Werke der französischen Künstler und Gelehrten,
welche die Expedition Napoleons nach Aegypten begleiteten und die Herrlich¬
keiten dieses Landes zum ersten Mal ausschlossen, ein Vergleich zwischen dieser
Architektur und der griechischen angestellt worden. Auch der schönste griechische
Tempel würde, nach dem dort ausgesprochenen Urtheil, unter dem ägyptischen
Himmel, wie vor dieser geographischen Begrenzung der Landschaft, winzig und


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[0226] ägyptischen Architektur durchgreifend zur Anwendung, wenn auch neben ihr die Säule gleichfalls eine überaus wichtige Rolle spielte. Nicht nur die Tempel selbst haben Mauern aus großen Steinblöcken, sondern vor jenen stehen noch die dem ägyptischen Baustil eigenthümlichen Pylone, thurmartige Flügel zu beiden Seiten des den Tempelraum schließenden Thores, die quadratisch-pyra¬ midal emporsteigen. Hier bot sich nun die Aufgabe, diese weit sich hinbrei¬ tenden Mauerflächen nicht kahl und schmucklos zu lassen. Diesem Zweck ent¬ sprachen die Sculpturen, welche jeden Theil auch der Außenseiten dieser kolossalen Bauten bedecken. Dieselben bestehen theils in Schildereien mannigfacher Art, theils in Inschriften, welche gleichfalls, da auch die hieroglyphischen Zeichen Bilder von Gegenständen sind, ein malerisches Ansehen haben. Um an einem Beispiel zu zeigen, welche unendliche Mühe diese Sculpturen noch erforderten, nachdem die herkulischen Arbeiten bei der Aufrichtung des Gebäudes selbst beendet waren, so hat man ja berechnet, daß an den Hieroglyphen eines jener vielen Tempel (des Tempels zu Ehr6) ein Steinmetz 50,000 Tage (das ist fast 137 Jahre) lang hätte arbeiten müssen. Diese Sculpturen entsprechen durch ihre gigantischen Formen der Gro߬ artigkeit der architektonischen Anlage selbst. Sie geben hohe Göttergestalten, religiöse Processionen und Ceremonien, große Schilderungen von Land- und Seegefechten, wie auch Bilder von den Beschäftigungen des Landbaues und häuslichen Lebens. Obschon noch ohne Kenntniß und Anwendung der Per¬ spektive, verstanden die ägyptischen Künstler es doch vollkommen, in Miene und Bewegung 5er Figuren den deutlichen Ausdruck dessen zu legen, was sie sein und sagen sollten. Aber um ihre architektonischen Schöpfungen nicht einförmig, kahl und wüst erscheinen zu lassen, ergriffen die ägyptischen Baukünstler noch ein anderes Mittel: es war die Mannigfaltigkeit und das Complicirte der ganzen Anlage. Vor dem Tempel oder Palaste selbst standen Obelisken, kolossale Statuen, herrliche Säulenhallen, gingen große Alleen von Sphinxen her und vor dem Ganzen erhob sich ein erhabenes Thor zwischen imposanten Pylonen. Und zu diesem malerischen Ensemble von baulichen und Sculpturarbeiten bildete der im Westen des Nilthales steil aufsteigende libysche Bergrand den an¬ gemessenen Hintergrund, von welchem jene Werke sich vortheilhaft abhoben, gleichsam einen Rahmen, der die Perspective begünstigte und großartig ab¬ schloß. Es ist bereits in dem Werke der französischen Künstler und Gelehrten, welche die Expedition Napoleons nach Aegypten begleiteten und die Herrlich¬ keiten dieses Landes zum ersten Mal ausschlossen, ein Vergleich zwischen dieser Architektur und der griechischen angestellt worden. Auch der schönste griechische Tempel würde, nach dem dort ausgesprochenen Urtheil, unter dem ägyptischen Himmel, wie vor dieser geographischen Begrenzung der Landschaft, winzig und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/226>, abgerufen am 03.07.2024.