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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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nach im Allgemeinen an den Gedanken gewöhnt, daß, was die Griechen lei¬
steten, der höchste und siegende Ausdruck der architektonischen Idee sei. Indeß
kann man dies nur mit der nöthigen Einschränkung gelten lassen. Denn
theils ist die Architektur noch anderer Formen fähig, theils kann sich hier ein
geographisches Moment als maßgebend geltend machen.

Fassen wir zunächst die Säule, als solche, ins Auge, so liegt, wie schon
angedeutet, der griechischen die Form des Baumstammes zu Grunde. Das
schneckenförmige Capitäl der^ jonischen und das mit Blättern geschmückte der
korinthischen legt den Gedanken nahe, baß man zuerst nur den Stamm allein
verwandte, und daß, indem man ihn dann höher abschnitt und noch einen
Theil der starken Zweige, oder gar auch des Laubwerkes daran ließ, dies
der jonischen oder korinthischen Ordnung den eigentlichen Ursprung gab. Die
künstlerische Entwicklung, welche in der Gestaltung der Capitäle eintrat, ver¬
änderte allmälig die erste natürliche Form und verdeckte sie durch angebrachte
neue Zierrathen, aber doch nicht so sehr, um sie für aufmerksame Betrachtung
ganz zu verwischen. Denn daß den Griechen der Baum nicht nur das Vor¬
bild der Säule gab, sondern daß sie ihn selbst in der That dazu benutzten,
ist bekannt, da steinerne Säulen erst später in Anwendung kamen. Ja, man
möchte vielleicht annehmen dürfen, daß man bei den ersten, rohen Anfängen
der Baukunst sich, wo es nicht nöthig war, gar nicht die Mühe gab, den
Baum erst umzuhauen und dann als Säule aufzurichten, sondern daß man
ihn, wo er an Ort und Stelle recht stand, an seinem Platze und Mit der
Wurzel in der Erde ließ. Dies scheint in der bekannten Stelle bei Homer
Unterstützung zu finden, wo Odysseus die erste Anlage seines Hauses beschreibt.
Ein Oelbaum von der Dicke einer Säule blieb innerhalb desselben stehen.
Erst nachdem die Decke gezimmert war, wurde die Krone umgehauen, an der
Wurzel des Baumes aber noch die Bettstelle unbeweglich eingearbeitet.

Gibt nun nicht blos das Verhältniß der Höhe zum Umfang, sondern
auch die Gestaltung des Capitals, der Säule ihren besondern Charakter, so
durste sie nicht nur den Baum überhaupt darstellen, sondern es konnte ja
die Art desselben sich aussprechen, auch andere Pflanzenformen gewählt, und
dadurch ein neuer und charakteristischer Schmuck gewonnen werden. Dies ge¬
schah zwar in Griechenland nicht. Dagegen finden wir in Aegypten den
Knauf der Säule der Palme entnommen, ein ander Mal stellt er die Lotus¬
blume, oder andere Pflanzenarten dar, und es tritt daselbst außerdem eine
große Mannigfaltigkeit in der Bearbeitung > der Eapitäle, nach Dimension
und' andern Verhältnissen, ein. Eignen sich serner auch Thiergestalten zum
Tragen, wie Rinder, welche das eherne Meer im Salomonischen Tempel tru¬
gen, Löwen und Elephanten, welche in den indischen Sculpturen vorkommen,
so ließen sich dergleichen (vielleicht indeß minder passend) auch bei den Capi-


nach im Allgemeinen an den Gedanken gewöhnt, daß, was die Griechen lei¬
steten, der höchste und siegende Ausdruck der architektonischen Idee sei. Indeß
kann man dies nur mit der nöthigen Einschränkung gelten lassen. Denn
theils ist die Architektur noch anderer Formen fähig, theils kann sich hier ein
geographisches Moment als maßgebend geltend machen.

Fassen wir zunächst die Säule, als solche, ins Auge, so liegt, wie schon
angedeutet, der griechischen die Form des Baumstammes zu Grunde. Das
schneckenförmige Capitäl der^ jonischen und das mit Blättern geschmückte der
korinthischen legt den Gedanken nahe, baß man zuerst nur den Stamm allein
verwandte, und daß, indem man ihn dann höher abschnitt und noch einen
Theil der starken Zweige, oder gar auch des Laubwerkes daran ließ, dies
der jonischen oder korinthischen Ordnung den eigentlichen Ursprung gab. Die
künstlerische Entwicklung, welche in der Gestaltung der Capitäle eintrat, ver¬
änderte allmälig die erste natürliche Form und verdeckte sie durch angebrachte
neue Zierrathen, aber doch nicht so sehr, um sie für aufmerksame Betrachtung
ganz zu verwischen. Denn daß den Griechen der Baum nicht nur das Vor¬
bild der Säule gab, sondern daß sie ihn selbst in der That dazu benutzten,
ist bekannt, da steinerne Säulen erst später in Anwendung kamen. Ja, man
möchte vielleicht annehmen dürfen, daß man bei den ersten, rohen Anfängen
der Baukunst sich, wo es nicht nöthig war, gar nicht die Mühe gab, den
Baum erst umzuhauen und dann als Säule aufzurichten, sondern daß man
ihn, wo er an Ort und Stelle recht stand, an seinem Platze und Mit der
Wurzel in der Erde ließ. Dies scheint in der bekannten Stelle bei Homer
Unterstützung zu finden, wo Odysseus die erste Anlage seines Hauses beschreibt.
Ein Oelbaum von der Dicke einer Säule blieb innerhalb desselben stehen.
Erst nachdem die Decke gezimmert war, wurde die Krone umgehauen, an der
Wurzel des Baumes aber noch die Bettstelle unbeweglich eingearbeitet.

Gibt nun nicht blos das Verhältniß der Höhe zum Umfang, sondern
auch die Gestaltung des Capitals, der Säule ihren besondern Charakter, so
durste sie nicht nur den Baum überhaupt darstellen, sondern es konnte ja
die Art desselben sich aussprechen, auch andere Pflanzenformen gewählt, und
dadurch ein neuer und charakteristischer Schmuck gewonnen werden. Dies ge¬
schah zwar in Griechenland nicht. Dagegen finden wir in Aegypten den
Knauf der Säule der Palme entnommen, ein ander Mal stellt er die Lotus¬
blume, oder andere Pflanzenarten dar, und es tritt daselbst außerdem eine
große Mannigfaltigkeit in der Bearbeitung > der Eapitäle, nach Dimension
und' andern Verhältnissen, ein. Eignen sich serner auch Thiergestalten zum
Tragen, wie Rinder, welche das eherne Meer im Salomonischen Tempel tru¬
gen, Löwen und Elephanten, welche in den indischen Sculpturen vorkommen,
so ließen sich dergleichen (vielleicht indeß minder passend) auch bei den Capi-


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[0223] nach im Allgemeinen an den Gedanken gewöhnt, daß, was die Griechen lei¬ steten, der höchste und siegende Ausdruck der architektonischen Idee sei. Indeß kann man dies nur mit der nöthigen Einschränkung gelten lassen. Denn theils ist die Architektur noch anderer Formen fähig, theils kann sich hier ein geographisches Moment als maßgebend geltend machen. Fassen wir zunächst die Säule, als solche, ins Auge, so liegt, wie schon angedeutet, der griechischen die Form des Baumstammes zu Grunde. Das schneckenförmige Capitäl der^ jonischen und das mit Blättern geschmückte der korinthischen legt den Gedanken nahe, baß man zuerst nur den Stamm allein verwandte, und daß, indem man ihn dann höher abschnitt und noch einen Theil der starken Zweige, oder gar auch des Laubwerkes daran ließ, dies der jonischen oder korinthischen Ordnung den eigentlichen Ursprung gab. Die künstlerische Entwicklung, welche in der Gestaltung der Capitäle eintrat, ver¬ änderte allmälig die erste natürliche Form und verdeckte sie durch angebrachte neue Zierrathen, aber doch nicht so sehr, um sie für aufmerksame Betrachtung ganz zu verwischen. Denn daß den Griechen der Baum nicht nur das Vor¬ bild der Säule gab, sondern daß sie ihn selbst in der That dazu benutzten, ist bekannt, da steinerne Säulen erst später in Anwendung kamen. Ja, man möchte vielleicht annehmen dürfen, daß man bei den ersten, rohen Anfängen der Baukunst sich, wo es nicht nöthig war, gar nicht die Mühe gab, den Baum erst umzuhauen und dann als Säule aufzurichten, sondern daß man ihn, wo er an Ort und Stelle recht stand, an seinem Platze und Mit der Wurzel in der Erde ließ. Dies scheint in der bekannten Stelle bei Homer Unterstützung zu finden, wo Odysseus die erste Anlage seines Hauses beschreibt. Ein Oelbaum von der Dicke einer Säule blieb innerhalb desselben stehen. Erst nachdem die Decke gezimmert war, wurde die Krone umgehauen, an der Wurzel des Baumes aber noch die Bettstelle unbeweglich eingearbeitet. Gibt nun nicht blos das Verhältniß der Höhe zum Umfang, sondern auch die Gestaltung des Capitals, der Säule ihren besondern Charakter, so durste sie nicht nur den Baum überhaupt darstellen, sondern es konnte ja die Art desselben sich aussprechen, auch andere Pflanzenformen gewählt, und dadurch ein neuer und charakteristischer Schmuck gewonnen werden. Dies ge¬ schah zwar in Griechenland nicht. Dagegen finden wir in Aegypten den Knauf der Säule der Palme entnommen, ein ander Mal stellt er die Lotus¬ blume, oder andere Pflanzenarten dar, und es tritt daselbst außerdem eine große Mannigfaltigkeit in der Bearbeitung > der Eapitäle, nach Dimension und' andern Verhältnissen, ein. Eignen sich serner auch Thiergestalten zum Tragen, wie Rinder, welche das eherne Meer im Salomonischen Tempel tru¬ gen, Löwen und Elephanten, welche in den indischen Sculpturen vorkommen, so ließen sich dergleichen (vielleicht indeß minder passend) auch bei den Capi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/223>, abgerufen am 02.07.2024.