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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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landrichterlichen discrctionären Machteinflüsse nicht nur nicht eintreten, son¬
dern sich beinahe in ihr Gegentheil verkehren sollte. Selbst die frühern Land¬
richter hatten nicht diejenige Gewalt und Befugniß, welche den neuen zugetheilt
wurde. Obgleich nun diese Frage mit der bevorstehenden "Strafrechts"- und
Polizeistrafgesctzgebung nicht in unmittelbarem Zusammenhange stand, so war
man doch durch ihre praktische Gestaltung um so mehr davor gewarnt, dem
Ermessen der Administration für die Modalitäten einer Gesetzesausführung
freie Hand zu lassen.

Die Aufgabe der Gesetzgebungsausschüsse bestand nun in der zur parla¬
mentarischen Abstimmung vorbereiteten Specialberathung einheitlicher und all-
gemeingiltiger Gesetzbücher an Stelle der mehr als dreißig verschiedenen Rechte,
welche jetzt in den verschiedenen-Landestheilen gelten. Verheißen war diese
Codification schon durch die Verfassung von 1818, aber seit vierzig Jahren,
obgleich sast jede Kammersession daran erinnert hatte, immer zurückgestellt ge¬
blieben. Nach der landtäglichen Geschäftsordnung haben die Ausschüsse, für
diesen Zweck eigens verstärkt, sogar die Befugniß, alle etwaigen Modisiccitionen
der Entwürfe so weit festzustellen, daß die Kammern ohne weitere Special-
debatte über die vereinbarten Artikel blos abstimmen. Einer Discussion in Miro
werden blos diejenigen Paragraphen unterworfen, über deren Fassung die Aus¬
schüsse sich untereinander oder mit der Regierung nicht zu verständigen vermögen.
Die Verantwortlichkeit der Gesetzgcbungsausschüsse dem Landtage und dem Lande
gegenüber ist also bei weitem größer, als bei jedem gewöhnlichen parlamentarischen
Conn6. Namentlich haben sie für die Principe der Gesetze und die logische
Konsequenz der einzelnen Bestimmungen fast ausschließlich einzustehn. Zu¬
nächst war das Strafgesetzbuch in Angriff genommen worden. Ist nun auch
aus den (im Juni 1857 veröffentlichten) Protokollen der Gang der speciellen
Verhandlungen nicht in allen Einzelheiten zu übersehn, so doch im Ganzen
und Allgemeinen. Gleichermaßen im Ausschusse der zweiten wie der ersten
Kammer machten die Rcgicrungscommissare nicht nur wegen principieller, son¬
dern auch schon wegen formeller Meinungsverschiedenheiten fast in jedem ein¬
zelnen Fall das Zustandekommen des ganzen Gesetzes von der umgeänderten
Annahme des Regierungsentwurfs abhängig. Dies führte zu um so größerer
Schroffheit der gegenseitigen Stellungen, als die Arbeit bereits mit den hart¬
näckigsten Kämpfen über Beibehaltung der Todesstrafe, der Prügelstrafen u. s. w.
begonnen hatte. Jene war von den Ausschüssen endlich principiell auf die
allerseltensten Fälle beschränkt, diese gänzlich verworfen worden. Da aber die
Negierung nur desto starrer aus ihren Tendenzen beharrte, so gestaltete sich
die Befürchtung täglich mehr zur Gewißheit, daß das ganze Unternehmen auf
eine Danaidenarbeit hinauslaufe und regierungsmäßig hinausgelenkt werde.
Einzelnen Ausschußmitgliedern, gegen welche sich eine persönliche Animosität


Grenzboten IV. 18S8. 24

landrichterlichen discrctionären Machteinflüsse nicht nur nicht eintreten, son¬
dern sich beinahe in ihr Gegentheil verkehren sollte. Selbst die frühern Land¬
richter hatten nicht diejenige Gewalt und Befugniß, welche den neuen zugetheilt
wurde. Obgleich nun diese Frage mit der bevorstehenden „Strafrechts"- und
Polizeistrafgesctzgebung nicht in unmittelbarem Zusammenhange stand, so war
man doch durch ihre praktische Gestaltung um so mehr davor gewarnt, dem
Ermessen der Administration für die Modalitäten einer Gesetzesausführung
freie Hand zu lassen.

Die Aufgabe der Gesetzgebungsausschüsse bestand nun in der zur parla¬
mentarischen Abstimmung vorbereiteten Specialberathung einheitlicher und all-
gemeingiltiger Gesetzbücher an Stelle der mehr als dreißig verschiedenen Rechte,
welche jetzt in den verschiedenen-Landestheilen gelten. Verheißen war diese
Codification schon durch die Verfassung von 1818, aber seit vierzig Jahren,
obgleich sast jede Kammersession daran erinnert hatte, immer zurückgestellt ge¬
blieben. Nach der landtäglichen Geschäftsordnung haben die Ausschüsse, für
diesen Zweck eigens verstärkt, sogar die Befugniß, alle etwaigen Modisiccitionen
der Entwürfe so weit festzustellen, daß die Kammern ohne weitere Special-
debatte über die vereinbarten Artikel blos abstimmen. Einer Discussion in Miro
werden blos diejenigen Paragraphen unterworfen, über deren Fassung die Aus¬
schüsse sich untereinander oder mit der Regierung nicht zu verständigen vermögen.
Die Verantwortlichkeit der Gesetzgcbungsausschüsse dem Landtage und dem Lande
gegenüber ist also bei weitem größer, als bei jedem gewöhnlichen parlamentarischen
Conn6. Namentlich haben sie für die Principe der Gesetze und die logische
Konsequenz der einzelnen Bestimmungen fast ausschließlich einzustehn. Zu¬
nächst war das Strafgesetzbuch in Angriff genommen worden. Ist nun auch
aus den (im Juni 1857 veröffentlichten) Protokollen der Gang der speciellen
Verhandlungen nicht in allen Einzelheiten zu übersehn, so doch im Ganzen
und Allgemeinen. Gleichermaßen im Ausschusse der zweiten wie der ersten
Kammer machten die Rcgicrungscommissare nicht nur wegen principieller, son¬
dern auch schon wegen formeller Meinungsverschiedenheiten fast in jedem ein¬
zelnen Fall das Zustandekommen des ganzen Gesetzes von der umgeänderten
Annahme des Regierungsentwurfs abhängig. Dies führte zu um so größerer
Schroffheit der gegenseitigen Stellungen, als die Arbeit bereits mit den hart¬
näckigsten Kämpfen über Beibehaltung der Todesstrafe, der Prügelstrafen u. s. w.
begonnen hatte. Jene war von den Ausschüssen endlich principiell auf die
allerseltensten Fälle beschränkt, diese gänzlich verworfen worden. Da aber die
Negierung nur desto starrer aus ihren Tendenzen beharrte, so gestaltete sich
die Befürchtung täglich mehr zur Gewißheit, daß das ganze Unternehmen auf
eine Danaidenarbeit hinauslaufe und regierungsmäßig hinausgelenkt werde.
Einzelnen Ausschußmitgliedern, gegen welche sich eine persönliche Animosität


Grenzboten IV. 18S8. 24
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[0193] landrichterlichen discrctionären Machteinflüsse nicht nur nicht eintreten, son¬ dern sich beinahe in ihr Gegentheil verkehren sollte. Selbst die frühern Land¬ richter hatten nicht diejenige Gewalt und Befugniß, welche den neuen zugetheilt wurde. Obgleich nun diese Frage mit der bevorstehenden „Strafrechts"- und Polizeistrafgesctzgebung nicht in unmittelbarem Zusammenhange stand, so war man doch durch ihre praktische Gestaltung um so mehr davor gewarnt, dem Ermessen der Administration für die Modalitäten einer Gesetzesausführung freie Hand zu lassen. Die Aufgabe der Gesetzgebungsausschüsse bestand nun in der zur parla¬ mentarischen Abstimmung vorbereiteten Specialberathung einheitlicher und all- gemeingiltiger Gesetzbücher an Stelle der mehr als dreißig verschiedenen Rechte, welche jetzt in den verschiedenen-Landestheilen gelten. Verheißen war diese Codification schon durch die Verfassung von 1818, aber seit vierzig Jahren, obgleich sast jede Kammersession daran erinnert hatte, immer zurückgestellt ge¬ blieben. Nach der landtäglichen Geschäftsordnung haben die Ausschüsse, für diesen Zweck eigens verstärkt, sogar die Befugniß, alle etwaigen Modisiccitionen der Entwürfe so weit festzustellen, daß die Kammern ohne weitere Special- debatte über die vereinbarten Artikel blos abstimmen. Einer Discussion in Miro werden blos diejenigen Paragraphen unterworfen, über deren Fassung die Aus¬ schüsse sich untereinander oder mit der Regierung nicht zu verständigen vermögen. Die Verantwortlichkeit der Gesetzgcbungsausschüsse dem Landtage und dem Lande gegenüber ist also bei weitem größer, als bei jedem gewöhnlichen parlamentarischen Conn6. Namentlich haben sie für die Principe der Gesetze und die logische Konsequenz der einzelnen Bestimmungen fast ausschließlich einzustehn. Zu¬ nächst war das Strafgesetzbuch in Angriff genommen worden. Ist nun auch aus den (im Juni 1857 veröffentlichten) Protokollen der Gang der speciellen Verhandlungen nicht in allen Einzelheiten zu übersehn, so doch im Ganzen und Allgemeinen. Gleichermaßen im Ausschusse der zweiten wie der ersten Kammer machten die Rcgicrungscommissare nicht nur wegen principieller, son¬ dern auch schon wegen formeller Meinungsverschiedenheiten fast in jedem ein¬ zelnen Fall das Zustandekommen des ganzen Gesetzes von der umgeänderten Annahme des Regierungsentwurfs abhängig. Dies führte zu um so größerer Schroffheit der gegenseitigen Stellungen, als die Arbeit bereits mit den hart¬ näckigsten Kämpfen über Beibehaltung der Todesstrafe, der Prügelstrafen u. s. w. begonnen hatte. Jene war von den Ausschüssen endlich principiell auf die allerseltensten Fälle beschränkt, diese gänzlich verworfen worden. Da aber die Negierung nur desto starrer aus ihren Tendenzen beharrte, so gestaltete sich die Befürchtung täglich mehr zur Gewißheit, daß das ganze Unternehmen auf eine Danaidenarbeit hinauslaufe und regierungsmäßig hinausgelenkt werde. Einzelnen Ausschußmitgliedern, gegen welche sich eine persönliche Animosität Grenzboten IV. 18S8. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/193>, abgerufen am 22.07.2024.