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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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sprachen die Führer der drei großen Bestandtheile der Kammer -- welche
Stimme blieb für die ministerielle Politik der Stellung Baierns zu Deutsch¬
land? Blos der Ministertisch. Welches aber war das praktische Ergebniß?
Abänderung aller Budgetpositionen um sehr bedeutende Summen, welche mit
Ausnahme des persönlich protegirten Armeebudgets auch von den Reichs-
räthcn gutgeheißen wurden. Aber grade im Armcebudgct blieb die Kammer
unbeweglich auf ihren Beschlüssen, sie hatte ein zu gutes Gedächtniß sür die
hierher gehörigen Vorgänge der letzten Session und wollte grade hierin von
neuem ihre Ueberzeugung für die wohlbegründeten Ausstellungen der aufgelösten
Kammer bezeugen. So kam kein Gesammtbeschluß zu Stande; und nach
der Budgetsession für die jetzt beendete sechste Finanzperiode erklärte, auf diese
Differenz fußend, später die Negierung im Landtagsabschied, daß sie "die
unabbrüchige Bestreitung der nothwendigen Ausgaben anordnen werde".'
Voraussichtlich erneut sich also beim nächsten Finanzlandtag auch wieder der
Streit um die Soldatentosten. Dies um so mehr, als sich die jährliche
Differenz zwischen der Negierungssorderung und der ständischen Bewilligung
auf mehr als 1 Million Fi. beläuft und selbst nach der parlamentarischen Ver¬
abschiedung des Gesammtbudgets ein jährliches Deficit von 1,799,415 Fi.
bleibt. (Iahresausgabe 41,396,862 Fi., Einnahme 39,597,415 Fi.)

Während die Budgetdebatten noch liefen, war nun das Gerichtsorga¬
nisationsgesetz zum zweitenmal' begutachtet worden. Der revidirte Regierungs¬
entwurf, weit entfernt eine wirkliche Gerichtsorganisation zu wollen, hatte nur
einzelne Justizgcbrechen beseitigt. Da die Verhandlungen mit der Regierung
diesmal ganz erfolglos blieben, emendirte der Ausschuß die Vorlage so voll¬
ständig, daß eigentlich von der Regierungsvorlage nichts übrig war. Der
Referent, Dr. Edel, motivirte dieses Verfahren in einem ebenso überzeugenden,
als schmucklosen, doch eben dadurch um so wirkungsvolleren Vortrage, welcher
zugleich nachwies, wie auch die Ausschußanträge sich selber keineswegs ge¬
nügten, sondern nur die Durchführung des lbereits praktisch Erreichbaren er¬
strebten, alles Uebrige einer günstigeren Zukunft überlassend (4. Juni). Ein¬
stimmig beschloß die Kammer, auf jede weitere allgemein principielle Debatte
zu verzichten, nachdem der Ausschuß ihre Ansichten so erschöpfend dargelegt
habe. Aber bereits der principielle 1. Artikel war wesentlich emendirt. Um¬
sonst focht das hart angegriffene Ministerium für seine Lorlage, umsonst er¬
klärte es, daß die Ausschußanträge die höchste Sanction nie und nimmer fin-
würden. Die Kammer genehmigte sie. Pflichtgemäß fragte der Präsident,
ob nach dieser ministeriellen Erklärung und dem Ausfall der Abstimmung
nicht überhaupt auf eine weitere Debatte zu verzichten und die Negierung zur
Zurückziehung des Entwurfs zu veranlassen sei. Die Minister erklärten sich
jedoch zu letzterem nicht ermächtigt, die Debatte oder vielmehr die specielle


sprachen die Führer der drei großen Bestandtheile der Kammer — welche
Stimme blieb für die ministerielle Politik der Stellung Baierns zu Deutsch¬
land? Blos der Ministertisch. Welches aber war das praktische Ergebniß?
Abänderung aller Budgetpositionen um sehr bedeutende Summen, welche mit
Ausnahme des persönlich protegirten Armeebudgets auch von den Reichs-
räthcn gutgeheißen wurden. Aber grade im Armcebudgct blieb die Kammer
unbeweglich auf ihren Beschlüssen, sie hatte ein zu gutes Gedächtniß sür die
hierher gehörigen Vorgänge der letzten Session und wollte grade hierin von
neuem ihre Ueberzeugung für die wohlbegründeten Ausstellungen der aufgelösten
Kammer bezeugen. So kam kein Gesammtbeschluß zu Stande; und nach
der Budgetsession für die jetzt beendete sechste Finanzperiode erklärte, auf diese
Differenz fußend, später die Negierung im Landtagsabschied, daß sie „die
unabbrüchige Bestreitung der nothwendigen Ausgaben anordnen werde".'
Voraussichtlich erneut sich also beim nächsten Finanzlandtag auch wieder der
Streit um die Soldatentosten. Dies um so mehr, als sich die jährliche
Differenz zwischen der Negierungssorderung und der ständischen Bewilligung
auf mehr als 1 Million Fi. beläuft und selbst nach der parlamentarischen Ver¬
abschiedung des Gesammtbudgets ein jährliches Deficit von 1,799,415 Fi.
bleibt. (Iahresausgabe 41,396,862 Fi., Einnahme 39,597,415 Fi.)

Während die Budgetdebatten noch liefen, war nun das Gerichtsorga¬
nisationsgesetz zum zweitenmal' begutachtet worden. Der revidirte Regierungs¬
entwurf, weit entfernt eine wirkliche Gerichtsorganisation zu wollen, hatte nur
einzelne Justizgcbrechen beseitigt. Da die Verhandlungen mit der Regierung
diesmal ganz erfolglos blieben, emendirte der Ausschuß die Vorlage so voll¬
ständig, daß eigentlich von der Regierungsvorlage nichts übrig war. Der
Referent, Dr. Edel, motivirte dieses Verfahren in einem ebenso überzeugenden,
als schmucklosen, doch eben dadurch um so wirkungsvolleren Vortrage, welcher
zugleich nachwies, wie auch die Ausschußanträge sich selber keineswegs ge¬
nügten, sondern nur die Durchführung des lbereits praktisch Erreichbaren er¬
strebten, alles Uebrige einer günstigeren Zukunft überlassend (4. Juni). Ein¬
stimmig beschloß die Kammer, auf jede weitere allgemein principielle Debatte
zu verzichten, nachdem der Ausschuß ihre Ansichten so erschöpfend dargelegt
habe. Aber bereits der principielle 1. Artikel war wesentlich emendirt. Um¬
sonst focht das hart angegriffene Ministerium für seine Lorlage, umsonst er¬
klärte es, daß die Ausschußanträge die höchste Sanction nie und nimmer fin-
würden. Die Kammer genehmigte sie. Pflichtgemäß fragte der Präsident,
ob nach dieser ministeriellen Erklärung und dem Ausfall der Abstimmung
nicht überhaupt auf eine weitere Debatte zu verzichten und die Negierung zur
Zurückziehung des Entwurfs zu veranlassen sei. Die Minister erklärten sich
jedoch zu letzterem nicht ermächtigt, die Debatte oder vielmehr die specielle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/191>, abgerufen am 26.07.2024.