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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Gerichtsorganisation eingebracht worden wäre, dessen Zurückziehung bisher als
willkommene Gelegenheit zur abermaligen Vertagung dieser Frage betrachtet
worden war (8. Mürz.).

Allein die Freude über den materiellen Sieg des Gouvernements sollte
nur kurz sein. Denn schon wenige Tage nachher (15. März) sprachen bei der¬
selben Frage die Reichsrathe ihre politische Unzufriedenheit mit dem Mini¬
sterium nicht weniger demüthigend aus. Dies, theils im Ausschußreferat, theils
durch den Mund des greisen Grasen K. Seinsheim (Finanzminister unter Abel),
welcher nur der praktischen Sachlage zu Liebe auf eine Ministeranklage oder
WiederersatMagc zu verzichten, dagegen der Bewilligung die entschiedenste
Mißbilligung des ministeriellen Verfahrens und eine energische Verwahrung
gegen die Wiederkehr ähnlicher Vcrfassungswidrigkeitcn beizufügen rieth. Und
diese demüthigend motivirte Bewilligung wurde gegen blos drei Stimmen
beschlossen, obgleich der Ministerpräsident abermals eine Reue- und Entschul¬
digungsrede gehalten hatte.

Es stürmte jetzt aber von allen Seiten. Denn in der "untern Schwester¬
kammer" hatte unterdessen, nach rascher Erledigung mehrer Gesetze von mehr
localen Interesse, die Budgetdebatte ihren Anfang genommen. Bei allen ein¬
zelnen Positionen wurde die Regierung vor Großmannssucht ihrer äußern
Politik gewarnt, an sorgsame Gcbahrung mit den Staatsgeldern gemahnt.
Namentlich wurde auch nachgewiesen, als der Militäretat sich abermals er¬
höht zeigte, wie wenig die praktischen Resultate der stets in den Vordergrund
gestellten Reorganisation dem seit 1848 darauf verwendeten Mehr von 20
Millionen Fi. entsprächen; besonders da die angebliche Vernachlässigung des Heer¬
wesens vor 1848 durchaus nicht so arg gewesen sei, als man sie vom Minister¬
tisch zu schildern beliebe. Hier dem Unglauben an seine Worte begegnend
betonte das Gouvernement seine Bundesverpflichtungen desto stärker. Damit
beschwor es jedoch einen noch unliebsamen Geist, die deutsche Frage, Vaierns
Stellung zu ihr. So oft er letzterer gedenke, äußerte der Führer des Cen¬
trums, Herr v. Lerchenfeld, erfasse ihn der bitterste Schmerz. "Allein wozu
nutzlos reden? Man muß sich eben streng in das Unvermeidliche fügen, so
lange man es ertragen zu können glaubt." Der Führer der Linken, Fürst
Wallerstein, erinnerte das Ministerium an all die getäuschten Hoffnungen auf
Erfüllung seiner heiligsten Versprechen und zuverlässigsten Verheißungen für
Volksvertretung beim Bunde. Der Führer der äußersten Rechten, Herr v.
Lnssaulx. endlich nannte "nach all den gescheiterten Hoffnungen der Jahre
48 und 49" die Gründung des germanischen Museums zu München als ein¬
ziges Ueberbleibsel. Es sei gelungen, dem Volk alle Freude und Liebe an
nationaler Politik zu verderben, das politische Deutschland nicht aufkommen
zu lassen, man könne blos noch für das literarische seine Wünsche hegen. So


Gerichtsorganisation eingebracht worden wäre, dessen Zurückziehung bisher als
willkommene Gelegenheit zur abermaligen Vertagung dieser Frage betrachtet
worden war (8. Mürz.).

Allein die Freude über den materiellen Sieg des Gouvernements sollte
nur kurz sein. Denn schon wenige Tage nachher (15. März) sprachen bei der¬
selben Frage die Reichsrathe ihre politische Unzufriedenheit mit dem Mini¬
sterium nicht weniger demüthigend aus. Dies, theils im Ausschußreferat, theils
durch den Mund des greisen Grasen K. Seinsheim (Finanzminister unter Abel),
welcher nur der praktischen Sachlage zu Liebe auf eine Ministeranklage oder
WiederersatMagc zu verzichten, dagegen der Bewilligung die entschiedenste
Mißbilligung des ministeriellen Verfahrens und eine energische Verwahrung
gegen die Wiederkehr ähnlicher Vcrfassungswidrigkeitcn beizufügen rieth. Und
diese demüthigend motivirte Bewilligung wurde gegen blos drei Stimmen
beschlossen, obgleich der Ministerpräsident abermals eine Reue- und Entschul¬
digungsrede gehalten hatte.

Es stürmte jetzt aber von allen Seiten. Denn in der „untern Schwester¬
kammer" hatte unterdessen, nach rascher Erledigung mehrer Gesetze von mehr
localen Interesse, die Budgetdebatte ihren Anfang genommen. Bei allen ein¬
zelnen Positionen wurde die Regierung vor Großmannssucht ihrer äußern
Politik gewarnt, an sorgsame Gcbahrung mit den Staatsgeldern gemahnt.
Namentlich wurde auch nachgewiesen, als der Militäretat sich abermals er¬
höht zeigte, wie wenig die praktischen Resultate der stets in den Vordergrund
gestellten Reorganisation dem seit 1848 darauf verwendeten Mehr von 20
Millionen Fi. entsprächen; besonders da die angebliche Vernachlässigung des Heer¬
wesens vor 1848 durchaus nicht so arg gewesen sei, als man sie vom Minister¬
tisch zu schildern beliebe. Hier dem Unglauben an seine Worte begegnend
betonte das Gouvernement seine Bundesverpflichtungen desto stärker. Damit
beschwor es jedoch einen noch unliebsamen Geist, die deutsche Frage, Vaierns
Stellung zu ihr. So oft er letzterer gedenke, äußerte der Führer des Cen¬
trums, Herr v. Lerchenfeld, erfasse ihn der bitterste Schmerz. „Allein wozu
nutzlos reden? Man muß sich eben streng in das Unvermeidliche fügen, so
lange man es ertragen zu können glaubt." Der Führer der Linken, Fürst
Wallerstein, erinnerte das Ministerium an all die getäuschten Hoffnungen auf
Erfüllung seiner heiligsten Versprechen und zuverlässigsten Verheißungen für
Volksvertretung beim Bunde. Der Führer der äußersten Rechten, Herr v.
Lnssaulx. endlich nannte „nach all den gescheiterten Hoffnungen der Jahre
48 und 49" die Gründung des germanischen Museums zu München als ein¬
ziges Ueberbleibsel. Es sei gelungen, dem Volk alle Freude und Liebe an
nationaler Politik zu verderben, das politische Deutschland nicht aufkommen
zu lassen, man könne blos noch für das literarische seine Wünsche hegen. So


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/190>, abgerufen am 26.07.2024.