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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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daß wir von dem Dasein einer solchen Richtung, wie sie uns Kochs Werke
zeigen, kaum noch eine Kunde nehmen. . Sie pflanzte sich aber nicht allein
stetig fort (Rhodeus. Helmsdorfs. Steinkopfs. Kobells Bilder in der Aus¬
stellung bürgen dafür), sondern fand auch in den jüngsten Tagen, offenbar als
Reaction gegen die übertriebene Stofflichkeit in den Landschaften zahlreicher
düsseldorfer und Münchner Malereien, eine erhöhte Pflege. Wir lassen uns na¬
türlich die erweiterte Ausdruckskraft der modernen Landschaftsmalerei nicht
rauben, wir freuen uns billig über ihre erhöhte Fähigkeit, die Erscheinungen
der äußern Natur zu verkörpern. Ohne alle Frage sprechen auch die Natur¬
formen für sich, ist das Colorit eine überaus wichtige Hilfe, poetische Empfin¬
dung in uns anklingen zu lassen und charaktervolle Wahrheit am besten ge¬
eignet, die entsprechende Stimmung in uns zu erregen.

Es ist eine Sünde, wenn man der landschaftlichen Natur gewissermaßen
articulirte Laute abpressen will, aus ihren Formen eine conventionelle Buch¬
stabenschrift zusammensetzen, wo sie doch nur klingen und tönen kann. Es
ist ferner eine Sünde, wenn man die wirklichen Naturformen verdreht und
willkürlich ändert, und es rächt sich am Künstler auch unmittelbar, wenn er
das Eingehen in ihre feineren Eigenthümlichkeiten hochmüthig verachtet. Frie¬
drichs in Dresden Versuch. eine religiöse Landschaft zu gründen, seine Schil¬
derung des Eismeers, in welcher die Eisberge die Gestalt, graugrün ange¬
strichener stereometrischer Figuren an sich tragen, sind einfach lächerlich. Sie
sollten aber, ähnlich wie Rungcs symbolische Naturgedichte, nicht vergessen
werden, sobald von dem wohlthätigen Einfluß der Romantiker auf den Auf¬
schwung der Malerei gesprochen wird. Auf der andern Seite lassen sich aber
der landschaftlichen Natur auch symbolische Beziehungen zu menschlichen Ver¬
hältnissen und Leidenschaften abgewinnen. Je nach unserer Stimmung fühlen
wir uns von bestimmten landschaftlichen Formen angezogen oder abgestoßen,
suchen wir sie auf oder fliehen dieselben. Dem Frieden der Seele, der Ruhe
des Genusses, den Stürmen der Leidenschaften, der Klage der Sehnsucht ent¬
sprechen gewisse landschaftliche Situationen und wenn sie nicht das innere Le¬
ben des Geistes mit der dramatischen Schärfe und Bestimmtheit einer äußeren
Handlung wiedergeben können, so lassen sie doch, der musikalischen Begleitung
eines Liedes vergleichbar, eine verwandte Empfindung anklingen. Bei einer
solchen Auffassung der Natur, zu welcher sich südliche Landschaftsformen am
trefflichsten eignen und wo die detaillirende Farbe der allgemein zeichnenden
^nie an Ausdruckskraft zurückstehen muß, ist die Staffage schwer zu entbeh¬
rn. Die Natur spricht zwar für sich selbst, um aber die Aufmerksamkeit gleich
in die rechte Bahn zu lenken, liebt man es, den Grundgedanken der
Landschaft in der Staffage zusammengefaßt und verdeutlicht zu reproduciren.
Neu ist diese Gattung der Landschaftsmalerei keineswegs, sie ist sogar älter


daß wir von dem Dasein einer solchen Richtung, wie sie uns Kochs Werke
zeigen, kaum noch eine Kunde nehmen. . Sie pflanzte sich aber nicht allein
stetig fort (Rhodeus. Helmsdorfs. Steinkopfs. Kobells Bilder in der Aus¬
stellung bürgen dafür), sondern fand auch in den jüngsten Tagen, offenbar als
Reaction gegen die übertriebene Stofflichkeit in den Landschaften zahlreicher
düsseldorfer und Münchner Malereien, eine erhöhte Pflege. Wir lassen uns na¬
türlich die erweiterte Ausdruckskraft der modernen Landschaftsmalerei nicht
rauben, wir freuen uns billig über ihre erhöhte Fähigkeit, die Erscheinungen
der äußern Natur zu verkörpern. Ohne alle Frage sprechen auch die Natur¬
formen für sich, ist das Colorit eine überaus wichtige Hilfe, poetische Empfin¬
dung in uns anklingen zu lassen und charaktervolle Wahrheit am besten ge¬
eignet, die entsprechende Stimmung in uns zu erregen.

Es ist eine Sünde, wenn man der landschaftlichen Natur gewissermaßen
articulirte Laute abpressen will, aus ihren Formen eine conventionelle Buch¬
stabenschrift zusammensetzen, wo sie doch nur klingen und tönen kann. Es
ist ferner eine Sünde, wenn man die wirklichen Naturformen verdreht und
willkürlich ändert, und es rächt sich am Künstler auch unmittelbar, wenn er
das Eingehen in ihre feineren Eigenthümlichkeiten hochmüthig verachtet. Frie¬
drichs in Dresden Versuch. eine religiöse Landschaft zu gründen, seine Schil¬
derung des Eismeers, in welcher die Eisberge die Gestalt, graugrün ange¬
strichener stereometrischer Figuren an sich tragen, sind einfach lächerlich. Sie
sollten aber, ähnlich wie Rungcs symbolische Naturgedichte, nicht vergessen
werden, sobald von dem wohlthätigen Einfluß der Romantiker auf den Auf¬
schwung der Malerei gesprochen wird. Auf der andern Seite lassen sich aber
der landschaftlichen Natur auch symbolische Beziehungen zu menschlichen Ver¬
hältnissen und Leidenschaften abgewinnen. Je nach unserer Stimmung fühlen
wir uns von bestimmten landschaftlichen Formen angezogen oder abgestoßen,
suchen wir sie auf oder fliehen dieselben. Dem Frieden der Seele, der Ruhe
des Genusses, den Stürmen der Leidenschaften, der Klage der Sehnsucht ent¬
sprechen gewisse landschaftliche Situationen und wenn sie nicht das innere Le¬
ben des Geistes mit der dramatischen Schärfe und Bestimmtheit einer äußeren
Handlung wiedergeben können, so lassen sie doch, der musikalischen Begleitung
eines Liedes vergleichbar, eine verwandte Empfindung anklingen. Bei einer
solchen Auffassung der Natur, zu welcher sich südliche Landschaftsformen am
trefflichsten eignen und wo die detaillirende Farbe der allgemein zeichnenden
^nie an Ausdruckskraft zurückstehen muß, ist die Staffage schwer zu entbeh¬
rn. Die Natur spricht zwar für sich selbst, um aber die Aufmerksamkeit gleich
in die rechte Bahn zu lenken, liebt man es, den Grundgedanken der
Landschaft in der Staffage zusammengefaßt und verdeutlicht zu reproduciren.
Neu ist diese Gattung der Landschaftsmalerei keineswegs, sie ist sogar älter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/19>, abgerufen am 02.07.2024.