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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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bedeckt war, auf diesem Boden wurden die Opfer geschlachtet, deren Blut nun
durch die Löcher hinabrinnend den unten Stehenden benetzte. Zahlreiche
Monumente, die von Eingeweihten zur Erinnerung an diese ihre "Wieder¬
geburt für ewig" gesetzt worden sind, lassen die Ausbreitung dieser Mysterien
vom Anfang des zweiten Jahrhunderts bis ans Ende des vierten verfolgen.

Wir schließen diese skizzenhafte Uebersicht der wesentlichsten Erscheinungen,
welche die Mischung der Religionen in den letzten Jahrhunderten des Heiden-
thums charakterisiren, mit der Betrachtung, die I. Burkhardt (a. a. O. S. 279)
an den Schluß seiner ausführlichen Darstellung gesetzt hat. "Ziehen wir die
letzten Resultate aus dem Bisherigen, so findet sich, daß nicht nur die Zersetzung
des Heidenthums als solche dem Christenthum im Allgemeinen günstig war,
sondern daß die einzelnen Spuren derselben mannigfach eine Vorahnung des
Christenthums, eine Annäherung an dasselbe enthielten. Vor allem war die
Göttermischung an sich ganz geeignet, einer neuen Religion den Boden zu
ebnen. Sie cntnationalisirte das Göttliche und machte es universell; sie brach
den Stolz des Griechen und Römers auf seinen alten einheimischen Cultus;
das Vorurtheil zu Gunsten alles Orientalischen mußte nach langem Herumirren
im bunten Gebiet des Wahns am Ende auch zu Gunsten des Christenthums
durchschlagen. Sodann war der wesentliche Inhalt der spätheidnischen An¬
schauungen dem Christenthum gradezu analog; der Zweck des Daseins wird
nicht mehr aus das Erdenleben, seine Genüsse und Schicksale allein beschränkt,
sondern auf ein Jenseits, ja ans eine Vereinigung mit der Gottheit ausgedehnt.
Durch geheime Weihen hoffen die Einen sich der Unsterblichkeit zu versichern;
die andern wollen sich durch tiefe Versenkung in die höchsten Dinge oder auch
durch magischen Zwang der Gottheit aufdringen; alle aber-huldigen dem
wesentlich neuen Begriff der bewußten Moralität, die sich sogar bis zur Kasteiung
steigert und wo sie nicht im Leben durchgeführt wird, doch wenigstens als theo¬
retisches Ideal gilt. Die Spiegelung hiervon findet sich wieder in dem philo¬
sophischen Wegschaffen und Andenken der griechischen Mythen, welche zu jenem
Standpunkt nicht paßten. Dem Monotheismus nähert sich das sinkende Heiden-
thum wenigstens stellenweise durch merkwürdige Aufschwünge, mochten dieselben
sich auch bald in den Netzen des Dämonenglaubens verfangen. Ob die Heiden
sogar bis zu einem Bewußtsein der Sünde durchdrängen, mag sehr zweifelhaft
erscheinen; die Voraussetzungen dazu aber sind deutlich vorhanden in der neu-
platonischen Lehre, welche das Eintreten der Seele ins irdische Leben als einen
Fall, ihren Austritt als eine> Art Erlösung bezeichnet."

"Das Christenthum mußte guf die Länge siegen, weil es alle diese Fragen,
um deren Lösung sich jene zählende Zeit so sehr bemühte, ohne allen Ver¬
gleich einfacher und in einem großartigen einleuchtenden Zusammenhang
beantwortete."




bedeckt war, auf diesem Boden wurden die Opfer geschlachtet, deren Blut nun
durch die Löcher hinabrinnend den unten Stehenden benetzte. Zahlreiche
Monumente, die von Eingeweihten zur Erinnerung an diese ihre „Wieder¬
geburt für ewig" gesetzt worden sind, lassen die Ausbreitung dieser Mysterien
vom Anfang des zweiten Jahrhunderts bis ans Ende des vierten verfolgen.

Wir schließen diese skizzenhafte Uebersicht der wesentlichsten Erscheinungen,
welche die Mischung der Religionen in den letzten Jahrhunderten des Heiden-
thums charakterisiren, mit der Betrachtung, die I. Burkhardt (a. a. O. S. 279)
an den Schluß seiner ausführlichen Darstellung gesetzt hat. „Ziehen wir die
letzten Resultate aus dem Bisherigen, so findet sich, daß nicht nur die Zersetzung
des Heidenthums als solche dem Christenthum im Allgemeinen günstig war,
sondern daß die einzelnen Spuren derselben mannigfach eine Vorahnung des
Christenthums, eine Annäherung an dasselbe enthielten. Vor allem war die
Göttermischung an sich ganz geeignet, einer neuen Religion den Boden zu
ebnen. Sie cntnationalisirte das Göttliche und machte es universell; sie brach
den Stolz des Griechen und Römers auf seinen alten einheimischen Cultus;
das Vorurtheil zu Gunsten alles Orientalischen mußte nach langem Herumirren
im bunten Gebiet des Wahns am Ende auch zu Gunsten des Christenthums
durchschlagen. Sodann war der wesentliche Inhalt der spätheidnischen An¬
schauungen dem Christenthum gradezu analog; der Zweck des Daseins wird
nicht mehr aus das Erdenleben, seine Genüsse und Schicksale allein beschränkt,
sondern auf ein Jenseits, ja ans eine Vereinigung mit der Gottheit ausgedehnt.
Durch geheime Weihen hoffen die Einen sich der Unsterblichkeit zu versichern;
die andern wollen sich durch tiefe Versenkung in die höchsten Dinge oder auch
durch magischen Zwang der Gottheit aufdringen; alle aber-huldigen dem
wesentlich neuen Begriff der bewußten Moralität, die sich sogar bis zur Kasteiung
steigert und wo sie nicht im Leben durchgeführt wird, doch wenigstens als theo¬
retisches Ideal gilt. Die Spiegelung hiervon findet sich wieder in dem philo¬
sophischen Wegschaffen und Andenken der griechischen Mythen, welche zu jenem
Standpunkt nicht paßten. Dem Monotheismus nähert sich das sinkende Heiden-
thum wenigstens stellenweise durch merkwürdige Aufschwünge, mochten dieselben
sich auch bald in den Netzen des Dämonenglaubens verfangen. Ob die Heiden
sogar bis zu einem Bewußtsein der Sünde durchdrängen, mag sehr zweifelhaft
erscheinen; die Voraussetzungen dazu aber sind deutlich vorhanden in der neu-
platonischen Lehre, welche das Eintreten der Seele ins irdische Leben als einen
Fall, ihren Austritt als eine> Art Erlösung bezeichnet."

„Das Christenthum mußte guf die Länge siegen, weil es alle diese Fragen,
um deren Lösung sich jene zählende Zeit so sehr bemühte, ohne allen Ver¬
gleich einfacher und in einem großartigen einleuchtenden Zusammenhang
beantwortete."




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[0184] bedeckt war, auf diesem Boden wurden die Opfer geschlachtet, deren Blut nun durch die Löcher hinabrinnend den unten Stehenden benetzte. Zahlreiche Monumente, die von Eingeweihten zur Erinnerung an diese ihre „Wieder¬ geburt für ewig" gesetzt worden sind, lassen die Ausbreitung dieser Mysterien vom Anfang des zweiten Jahrhunderts bis ans Ende des vierten verfolgen. Wir schließen diese skizzenhafte Uebersicht der wesentlichsten Erscheinungen, welche die Mischung der Religionen in den letzten Jahrhunderten des Heiden- thums charakterisiren, mit der Betrachtung, die I. Burkhardt (a. a. O. S. 279) an den Schluß seiner ausführlichen Darstellung gesetzt hat. „Ziehen wir die letzten Resultate aus dem Bisherigen, so findet sich, daß nicht nur die Zersetzung des Heidenthums als solche dem Christenthum im Allgemeinen günstig war, sondern daß die einzelnen Spuren derselben mannigfach eine Vorahnung des Christenthums, eine Annäherung an dasselbe enthielten. Vor allem war die Göttermischung an sich ganz geeignet, einer neuen Religion den Boden zu ebnen. Sie cntnationalisirte das Göttliche und machte es universell; sie brach den Stolz des Griechen und Römers auf seinen alten einheimischen Cultus; das Vorurtheil zu Gunsten alles Orientalischen mußte nach langem Herumirren im bunten Gebiet des Wahns am Ende auch zu Gunsten des Christenthums durchschlagen. Sodann war der wesentliche Inhalt der spätheidnischen An¬ schauungen dem Christenthum gradezu analog; der Zweck des Daseins wird nicht mehr aus das Erdenleben, seine Genüsse und Schicksale allein beschränkt, sondern auf ein Jenseits, ja ans eine Vereinigung mit der Gottheit ausgedehnt. Durch geheime Weihen hoffen die Einen sich der Unsterblichkeit zu versichern; die andern wollen sich durch tiefe Versenkung in die höchsten Dinge oder auch durch magischen Zwang der Gottheit aufdringen; alle aber-huldigen dem wesentlich neuen Begriff der bewußten Moralität, die sich sogar bis zur Kasteiung steigert und wo sie nicht im Leben durchgeführt wird, doch wenigstens als theo¬ retisches Ideal gilt. Die Spiegelung hiervon findet sich wieder in dem philo¬ sophischen Wegschaffen und Andenken der griechischen Mythen, welche zu jenem Standpunkt nicht paßten. Dem Monotheismus nähert sich das sinkende Heiden- thum wenigstens stellenweise durch merkwürdige Aufschwünge, mochten dieselben sich auch bald in den Netzen des Dämonenglaubens verfangen. Ob die Heiden sogar bis zu einem Bewußtsein der Sünde durchdrängen, mag sehr zweifelhaft erscheinen; die Voraussetzungen dazu aber sind deutlich vorhanden in der neu- platonischen Lehre, welche das Eintreten der Seele ins irdische Leben als einen Fall, ihren Austritt als eine> Art Erlösung bezeichnet." „Das Christenthum mußte guf die Länge siegen, weil es alle diese Fragen, um deren Lösung sich jene zählende Zeit so sehr bemühte, ohne allen Ver¬ gleich einfacher und in einem großartigen einleuchtenden Zusammenhang beantwortete."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/184>, abgerufen am 05.07.2024.