Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

kennen, die zum Theil mit den Ortsnamen identisch sind, wie der Gott Ne-
mausus zu Nismes, Vesontius in Behar^on und die Göttin Celeia in Cilli
u. s. w.; andere wie der Bemilucius in Paris, der Jntarabus in Trier, die
Göttin Nehalennia in Frankreich und in den Niederlanden u. s. w. lassen
keine locale Beziehung erkennen. Der letztem dankt z. B. ein römischer Kauf¬
mann, der von England nach Holland mit Kreide Handel trieb, in einer In¬
schrift für die Erhörung eines Gebetes. Mehre von diesen Göttern haben die
Römer mit ihren eignen identificirt, namentlich mit Mars. Wir finden einen
Mars Lacavus zu Nimes, einen Mars Vincius zu Venae in Südfrankreich,
einen Mars Tuliorix zu Wiesbaden, Mars Albiorix zu Avignon, Mars
Belutucadr und Mars Kocid (beide in Cumberland) Mars Laherennus zu
Toulouse u. s. w. und ebenso sind mehre römische Gottheiten mit den Local-
göttern der Provinzen identificirt worden. Auch der Name der "Mütter" oder
"Matronen" für die Geister des Feldes, von deren Verehrung durch die Rö¬
mer in Deutschland, England und Frankreich zahlreiche Spuren zeugen, ist
durch den Versuch entstanden, die dortigen religiösen Vorstellungen den römi¬
schen zu assimiliren.

Während also die Götterdienste des Nordens und Westens auf den rö¬
mischen Polytheismus so gut wie, keinen wesentlichen Einfluß übten, wirkten
die des Südens und Ostens um so vielfacher und nachhaltiger auf ihn ein.
Es ist bekannt, daß auch die griechische Religion durch die Berührung mit
Culten Vorderasiens und Aegyptens, und durch die Hinübernahme zahlreicher
Elemente aus denselben i!br Wesen völlig änderte und in eine neue Phase
trat. Doch vermochte sie mit der Kraft, die allen Manifestationen des grie¬
chischen Geistes eigenthümlich ist, das Fremde so weit umzugestalten, daß aus
der Verbindung der ursprünglich heterogenen Theile ein neues organisches
Ganze hervorging. Diese gestaltende Kraft ging dem römischen Glauben ab.
Theils vermochte er nicht, seine eignen Principien und Vorstellungen gegen¬
über den fremden zu behaupten (wie denn die griechischen Götter die römi¬
schen in den Hintergrund drängten); theils erfolgte die Aufnahme der fremden
Elemente ganz äußerlich, so daß der Polytheismus der'spätern römischen Zeit
kein in sich zusammenhängender Organismus, sondern ein chaotisches Aggre¬
gat aus den verschiedenartigsten Bestandtheilen geworden ist.

Schon am Ende des zweiten panischen Krieges war der orgiastische Cul¬
tus der großen Göttin, die in Phrygien und den angrenzenden Ländern von
entmannten Priestern verehrt wurde, auf den Rath der sibyllinischen Bücher
feierlich in Rom eingeführt worden: aber ihr Dienst blieb den Fremden über¬
lassen, den Bürgern war er durch Senatsbeschluß ausdrücklich verboten. Ein
Phrygier und eine Phrygerin versahen diesen Dienst. Die Priester zogen mit
dem Bilde der Göttin in Prozession in einem besonders bunten Ornat um-


kennen, die zum Theil mit den Ortsnamen identisch sind, wie der Gott Ne-
mausus zu Nismes, Vesontius in Behar^on und die Göttin Celeia in Cilli
u. s. w.; andere wie der Bemilucius in Paris, der Jntarabus in Trier, die
Göttin Nehalennia in Frankreich und in den Niederlanden u. s. w. lassen
keine locale Beziehung erkennen. Der letztem dankt z. B. ein römischer Kauf¬
mann, der von England nach Holland mit Kreide Handel trieb, in einer In¬
schrift für die Erhörung eines Gebetes. Mehre von diesen Göttern haben die
Römer mit ihren eignen identificirt, namentlich mit Mars. Wir finden einen
Mars Lacavus zu Nimes, einen Mars Vincius zu Venae in Südfrankreich,
einen Mars Tuliorix zu Wiesbaden, Mars Albiorix zu Avignon, Mars
Belutucadr und Mars Kocid (beide in Cumberland) Mars Laherennus zu
Toulouse u. s. w. und ebenso sind mehre römische Gottheiten mit den Local-
göttern der Provinzen identificirt worden. Auch der Name der „Mütter" oder
„Matronen" für die Geister des Feldes, von deren Verehrung durch die Rö¬
mer in Deutschland, England und Frankreich zahlreiche Spuren zeugen, ist
durch den Versuch entstanden, die dortigen religiösen Vorstellungen den römi¬
schen zu assimiliren.

Während also die Götterdienste des Nordens und Westens auf den rö¬
mischen Polytheismus so gut wie, keinen wesentlichen Einfluß übten, wirkten
die des Südens und Ostens um so vielfacher und nachhaltiger auf ihn ein.
Es ist bekannt, daß auch die griechische Religion durch die Berührung mit
Culten Vorderasiens und Aegyptens, und durch die Hinübernahme zahlreicher
Elemente aus denselben i!br Wesen völlig änderte und in eine neue Phase
trat. Doch vermochte sie mit der Kraft, die allen Manifestationen des grie¬
chischen Geistes eigenthümlich ist, das Fremde so weit umzugestalten, daß aus
der Verbindung der ursprünglich heterogenen Theile ein neues organisches
Ganze hervorging. Diese gestaltende Kraft ging dem römischen Glauben ab.
Theils vermochte er nicht, seine eignen Principien und Vorstellungen gegen¬
über den fremden zu behaupten (wie denn die griechischen Götter die römi¬
schen in den Hintergrund drängten); theils erfolgte die Aufnahme der fremden
Elemente ganz äußerlich, so daß der Polytheismus der'spätern römischen Zeit
kein in sich zusammenhängender Organismus, sondern ein chaotisches Aggre¬
gat aus den verschiedenartigsten Bestandtheilen geworden ist.

Schon am Ende des zweiten panischen Krieges war der orgiastische Cul¬
tus der großen Göttin, die in Phrygien und den angrenzenden Ländern von
entmannten Priestern verehrt wurde, auf den Rath der sibyllinischen Bücher
feierlich in Rom eingeführt worden: aber ihr Dienst blieb den Fremden über¬
lassen, den Bürgern war er durch Senatsbeschluß ausdrücklich verboten. Ein
Phrygier und eine Phrygerin versahen diesen Dienst. Die Priester zogen mit
dem Bilde der Göttin in Prozession in einem besonders bunten Ornat um-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0175" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/265984"/>
            <p xml:id="ID_432" prev="#ID_431"> kennen, die zum Theil mit den Ortsnamen identisch sind, wie der Gott Ne-<lb/>
mausus zu Nismes, Vesontius in Behar^on und die Göttin Celeia in Cilli<lb/>
u. s. w.; andere wie der Bemilucius in Paris, der Jntarabus in Trier, die<lb/>
Göttin Nehalennia in Frankreich und in den Niederlanden u. s. w. lassen<lb/>
keine locale Beziehung erkennen. Der letztem dankt z. B. ein römischer Kauf¬<lb/>
mann, der von England nach Holland mit Kreide Handel trieb, in einer In¬<lb/>
schrift für die Erhörung eines Gebetes. Mehre von diesen Göttern haben die<lb/>
Römer mit ihren eignen identificirt, namentlich mit Mars. Wir finden einen<lb/>
Mars Lacavus zu Nimes, einen Mars Vincius zu Venae in Südfrankreich,<lb/>
einen Mars Tuliorix zu Wiesbaden, Mars Albiorix zu Avignon, Mars<lb/>
Belutucadr und Mars Kocid (beide in Cumberland) Mars Laherennus zu<lb/>
Toulouse u. s. w. und ebenso sind mehre römische Gottheiten mit den Local-<lb/>
göttern der Provinzen identificirt worden. Auch der Name der &#x201E;Mütter" oder<lb/>
&#x201E;Matronen" für die Geister des Feldes, von deren Verehrung durch die Rö¬<lb/>
mer in Deutschland, England und Frankreich zahlreiche Spuren zeugen, ist<lb/>
durch den Versuch entstanden, die dortigen religiösen Vorstellungen den römi¬<lb/>
schen zu assimiliren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_433"> Während also die Götterdienste des Nordens und Westens auf den rö¬<lb/>
mischen Polytheismus so gut wie, keinen wesentlichen Einfluß übten, wirkten<lb/>
die des Südens und Ostens um so vielfacher und nachhaltiger auf ihn ein.<lb/>
Es ist bekannt, daß auch die griechische Religion durch die Berührung mit<lb/>
Culten Vorderasiens und Aegyptens, und durch die Hinübernahme zahlreicher<lb/>
Elemente aus denselben i!br Wesen völlig änderte und in eine neue Phase<lb/>
trat. Doch vermochte sie mit der Kraft, die allen Manifestationen des grie¬<lb/>
chischen Geistes eigenthümlich ist, das Fremde so weit umzugestalten, daß aus<lb/>
der Verbindung der ursprünglich heterogenen Theile ein neues organisches<lb/>
Ganze hervorging. Diese gestaltende Kraft ging dem römischen Glauben ab.<lb/>
Theils vermochte er nicht, seine eignen Principien und Vorstellungen gegen¬<lb/>
über den fremden zu behaupten (wie denn die griechischen Götter die römi¬<lb/>
schen in den Hintergrund drängten); theils erfolgte die Aufnahme der fremden<lb/>
Elemente ganz äußerlich, so daß der Polytheismus der'spätern römischen Zeit<lb/>
kein in sich zusammenhängender Organismus, sondern ein chaotisches Aggre¬<lb/>
gat aus den verschiedenartigsten Bestandtheilen geworden ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_434" next="#ID_435"> Schon am Ende des zweiten panischen Krieges war der orgiastische Cul¬<lb/>
tus der großen Göttin, die in Phrygien und den angrenzenden Ländern von<lb/>
entmannten Priestern verehrt wurde, auf den Rath der sibyllinischen Bücher<lb/>
feierlich in Rom eingeführt worden: aber ihr Dienst blieb den Fremden über¬<lb/>
lassen, den Bürgern war er durch Senatsbeschluß ausdrücklich verboten. Ein<lb/>
Phrygier und eine Phrygerin versahen diesen Dienst. Die Priester zogen mit<lb/>
dem Bilde der Göttin in Prozession in einem besonders bunten Ornat um-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0175] kennen, die zum Theil mit den Ortsnamen identisch sind, wie der Gott Ne- mausus zu Nismes, Vesontius in Behar^on und die Göttin Celeia in Cilli u. s. w.; andere wie der Bemilucius in Paris, der Jntarabus in Trier, die Göttin Nehalennia in Frankreich und in den Niederlanden u. s. w. lassen keine locale Beziehung erkennen. Der letztem dankt z. B. ein römischer Kauf¬ mann, der von England nach Holland mit Kreide Handel trieb, in einer In¬ schrift für die Erhörung eines Gebetes. Mehre von diesen Göttern haben die Römer mit ihren eignen identificirt, namentlich mit Mars. Wir finden einen Mars Lacavus zu Nimes, einen Mars Vincius zu Venae in Südfrankreich, einen Mars Tuliorix zu Wiesbaden, Mars Albiorix zu Avignon, Mars Belutucadr und Mars Kocid (beide in Cumberland) Mars Laherennus zu Toulouse u. s. w. und ebenso sind mehre römische Gottheiten mit den Local- göttern der Provinzen identificirt worden. Auch der Name der „Mütter" oder „Matronen" für die Geister des Feldes, von deren Verehrung durch die Rö¬ mer in Deutschland, England und Frankreich zahlreiche Spuren zeugen, ist durch den Versuch entstanden, die dortigen religiösen Vorstellungen den römi¬ schen zu assimiliren. Während also die Götterdienste des Nordens und Westens auf den rö¬ mischen Polytheismus so gut wie, keinen wesentlichen Einfluß übten, wirkten die des Südens und Ostens um so vielfacher und nachhaltiger auf ihn ein. Es ist bekannt, daß auch die griechische Religion durch die Berührung mit Culten Vorderasiens und Aegyptens, und durch die Hinübernahme zahlreicher Elemente aus denselben i!br Wesen völlig änderte und in eine neue Phase trat. Doch vermochte sie mit der Kraft, die allen Manifestationen des grie¬ chischen Geistes eigenthümlich ist, das Fremde so weit umzugestalten, daß aus der Verbindung der ursprünglich heterogenen Theile ein neues organisches Ganze hervorging. Diese gestaltende Kraft ging dem römischen Glauben ab. Theils vermochte er nicht, seine eignen Principien und Vorstellungen gegen¬ über den fremden zu behaupten (wie denn die griechischen Götter die römi¬ schen in den Hintergrund drängten); theils erfolgte die Aufnahme der fremden Elemente ganz äußerlich, so daß der Polytheismus der'spätern römischen Zeit kein in sich zusammenhängender Organismus, sondern ein chaotisches Aggre¬ gat aus den verschiedenartigsten Bestandtheilen geworden ist. Schon am Ende des zweiten panischen Krieges war der orgiastische Cul¬ tus der großen Göttin, die in Phrygien und den angrenzenden Ländern von entmannten Priestern verehrt wurde, auf den Rath der sibyllinischen Bücher feierlich in Rom eingeführt worden: aber ihr Dienst blieb den Fremden über¬ lassen, den Bürgern war er durch Senatsbeschluß ausdrücklich verboten. Ein Phrygier und eine Phrygerin versahen diesen Dienst. Die Priester zogen mit dem Bilde der Göttin in Prozession in einem besonders bunten Ornat um-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/175
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/175>, abgerufen am 05.07.2024.