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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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men wurden. Nachdem sie die beiden Ferkel zum Frühstück verzehrt, legten
sie ihren Ornat, eine mit Purpur gesäumte Toga, weiße Kopfbinde und Aeh-
renkranz wieder an, und nun folgten neue Opfer. Nach diesen stellten sie sich
vor dem Tempel auf, in den Händen ein Gefäß mit Wein und ein Gefäß
mit Weihrauch haltend, und ließen durch zwei Mitglieder, die von den ihnen
beigeordneten Staatssklaven begleitet wurden, die Feldfrüchte, welche das um¬
stehende Publicum herbeigebracht hatte, abnehmen, so daß der einsammelnde
Priester sie mit der rechten Hand an einen der in der Reihe aufgestellten gab,
dieser sie mit der linken Hand nahm und weiter reichte, bis endlich die Skla¬
ven sie wieder "n sich nahmen. Nach Vollziehung mehrer andrer Riten zogen
sie sich in den Tempel zurück, wo sie bei geschlossenen Thüren einen Tanz
tanzten und dazu den Text des Arvalenliedcs sangen, den sie von den Skla¬
ven schriftlich erhielten. Diese Litanei, das älteste bekannte Denkmal der
römischen Sprache, ist uns auf einer Stcintnsel aufbewahrte die ein Arvalen-
protokoll aus der Zeit Elogabals enthält; sie ist jetzt in der Wand eines Korri¬
dors eingemauert, der in Se. Peter aus der Kirche nach der Sacristei führt.
Nicht viel weniger als ein Jahrtausend mochte damals vergangen sein, seit
dies Gebet zum erstenmal am Fest der Göttin Dia von den Arvalbrüdern ge¬
sungen worden war. Die ungeheuersten Schicksale hatten in so viel Jahr¬
hunderten die, Gestalt der Erde immer von neuem umgewandelt. Die Tiber¬
stadt war aus einer unbedeutenden ladinischen Ansiedlung zum Mittelpunkt der
Welt geworden, nun war ihr Morgen und Mittag vergangen, ihr Abend
dämmerte heraus. Auf dem Thron, den der Sieger bei Antium errichtet hatte,
saß ein Sonnenpriester aus dem so oft gedemüthigten und so tief verachteten
Syrien. Und noch immer tönte das alte Lied, dessen Worten vielleicht schon die
Könige Roms mit Andacht gelauscht hatten, und das nun für die Sänger
sicher ebenso viel Räthsel enthielt als heute für die Gelehrten:


Uns Lasen (d. i. Laren) helfet! ,
Nicht die böse Seuche Mars, Mars, laß einstürmen auf mehre!
satt sei, grauser Mars!"

Wenn sich die Formen eines Cultus, der dem Volksbewußtsein längst
entrückt war, mit einer so zähen Lebenskraft behaupteten, so regenerirte' sich
auch die Volksreligion trotz aller zerstörenden Einflüsse immer wieder von
neuem , freilich nicht ohne immer von neuem ihre Gestalt zu wechseln. Neben
Indifferenz und Unglauben, neben Atheismus und Pantheismus erwies sich
der aus Mischung römischer und griechischer Religion entstandene Polytheis¬
mus als unzerstörbar, weil er mit tausend Wurzeln in dem geistigen Leben
von Millionen festgewachsen war, und verbreitete sich in alle Theile der Welt.



") Vgl. Mommsen ron, Gesch, 1, 147.

men wurden. Nachdem sie die beiden Ferkel zum Frühstück verzehrt, legten
sie ihren Ornat, eine mit Purpur gesäumte Toga, weiße Kopfbinde und Aeh-
renkranz wieder an, und nun folgten neue Opfer. Nach diesen stellten sie sich
vor dem Tempel auf, in den Händen ein Gefäß mit Wein und ein Gefäß
mit Weihrauch haltend, und ließen durch zwei Mitglieder, die von den ihnen
beigeordneten Staatssklaven begleitet wurden, die Feldfrüchte, welche das um¬
stehende Publicum herbeigebracht hatte, abnehmen, so daß der einsammelnde
Priester sie mit der rechten Hand an einen der in der Reihe aufgestellten gab,
dieser sie mit der linken Hand nahm und weiter reichte, bis endlich die Skla¬
ven sie wieder «n sich nahmen. Nach Vollziehung mehrer andrer Riten zogen
sie sich in den Tempel zurück, wo sie bei geschlossenen Thüren einen Tanz
tanzten und dazu den Text des Arvalenliedcs sangen, den sie von den Skla¬
ven schriftlich erhielten. Diese Litanei, das älteste bekannte Denkmal der
römischen Sprache, ist uns auf einer Stcintnsel aufbewahrte die ein Arvalen-
protokoll aus der Zeit Elogabals enthält; sie ist jetzt in der Wand eines Korri¬
dors eingemauert, der in Se. Peter aus der Kirche nach der Sacristei führt.
Nicht viel weniger als ein Jahrtausend mochte damals vergangen sein, seit
dies Gebet zum erstenmal am Fest der Göttin Dia von den Arvalbrüdern ge¬
sungen worden war. Die ungeheuersten Schicksale hatten in so viel Jahr¬
hunderten die, Gestalt der Erde immer von neuem umgewandelt. Die Tiber¬
stadt war aus einer unbedeutenden ladinischen Ansiedlung zum Mittelpunkt der
Welt geworden, nun war ihr Morgen und Mittag vergangen, ihr Abend
dämmerte heraus. Auf dem Thron, den der Sieger bei Antium errichtet hatte,
saß ein Sonnenpriester aus dem so oft gedemüthigten und so tief verachteten
Syrien. Und noch immer tönte das alte Lied, dessen Worten vielleicht schon die
Könige Roms mit Andacht gelauscht hatten, und das nun für die Sänger
sicher ebenso viel Räthsel enthielt als heute für die Gelehrten:


Uns Lasen (d. i. Laren) helfet! ,
Nicht die böse Seuche Mars, Mars, laß einstürmen auf mehre!
satt sei, grauser Mars!"

Wenn sich die Formen eines Cultus, der dem Volksbewußtsein längst
entrückt war, mit einer so zähen Lebenskraft behaupteten, so regenerirte' sich
auch die Volksreligion trotz aller zerstörenden Einflüsse immer wieder von
neuem , freilich nicht ohne immer von neuem ihre Gestalt zu wechseln. Neben
Indifferenz und Unglauben, neben Atheismus und Pantheismus erwies sich
der aus Mischung römischer und griechischer Religion entstandene Polytheis¬
mus als unzerstörbar, weil er mit tausend Wurzeln in dem geistigen Leben
von Millionen festgewachsen war, und verbreitete sich in alle Theile der Welt.



") Vgl. Mommsen ron, Gesch, 1, 147.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/173>, abgerufen am 26.07.2024.