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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Cultus beibehalten, trotz des unlösbaren Conflicts, in den sie dadurch mit
ihrenz eignen Glauben geriethen; erst Gratian legte sie im Jahr 382 nieder.
Bis zum entschiedenen Siege des Christenthums und noch langer bestand der
Staatscultus im Wesentlichen unvermindert fort. Jahr für Jahr wurden die
heiligen Feste mit Opfern. Processionen, Schmäusen und Schauspielen gefeiert.
An jedem dritten Januar wurden von allen Staatspriestern Gelübde und
Gebete für das Wohl des Staates und des Kaisers veranstaltet. An jedem
ersten März erneuerten die jungfräulichen Priesterinnen der Vesta das ihrer Obhut
anvertraute heilige Feuer, und nach wie vor wurde Verletzung ihrer Keusch¬
heit mit der schaudervollen Strafe des Lcbcndigbegrabens bestraft. Nach wie
vor sangen die salischen Priester'ihr uraltes mit der Zeit völlig unverständlich
gewordenes Lied, nur daß neben den Namen der Götter darin auch manche
kaiserliche aufgenommen waren, und hielten ihren berühmten Schmaus, der
wie alle Priestermahlzeiten in den Annalen der antiken Gastronomie eine aus¬
gezeichnete Stelle einnahm. Doch die interessantesten Belehrungen über die
unveränderte Fortdauer alter Cultusformen bis in die kleinsten Einzelnheiten
erhalten wir aus zahlreichen Resten von Steintafeln, auf welche die amt¬
lichen Protokolle der Arvalbrüdcr eingegraben sind und die bis in das dritte
Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung hinabreichen/) Diese Priesterschaft
hatte den Beruf, für das Gedeihen der Feldfrüchte öffentliche Opfer
zu veranstalten. Die meisten der erhaltenen Protokolle beziehen sich auf ein
dreitägiges Fest, das sie im Mai zu Ehren einer sonst nie genannten Göttin
Dia begingen, ein Name, unter welchem nach uraltem Brauch die mütterliche
Göttin der Erde, die Spenderin des Fruchtsegens angerufen wurde. Von der
Feier des ersten Tages sei hier nur erwähnt, daß an diesem ein Festmahl
stattfand, an welchem das Couvert 100 Denare (etwa 25 Thaler) kostete; fiel
, dasselbe aus, so wurde jedem Mitglied der Betrag in Geld ausgezahlt.
Von der Feier des zweiten Tages, die ebenfalls bis in die' kleinsten Einzeln¬
heiten in den Acten mit scrupulöser Genauigkeit verzeichnet ist, wollen wir
einige Hauptmomente mittheilen. Sie fand in einem Haine der Göttin Dia
statt, der fünf Miglien weit von Rom an der campanischen Straße lag und
mit verschiedenen Tempeln, Zelten und einer Rennbahn versehn war. Hier
begannen sie die Feierlichkeit mit einem Reinigungsopfer von zwei Ferkeln,
welches bestimmt war den Hain zu entsühnen. Denn jede Arbeit in dem
Haine, z. B. das Beschneiden oder Fällen der Bäume, das Hineintragen
eines Messers entweihte den Hain und machte ein Sühnopfer nöthig. Hierauf
folgte das Opfer einer weißen Kuh an einer andern Stelle, und andere Ge¬
bräuche, über deren vorschriftsmäßige Vollziehung sogleich Protokolle aufgenom-



-) Der Inhalt der Protokolle ist mitgetheilt a. a, O, S, 411-417, woraus das Obige
entnommen ist.

Cultus beibehalten, trotz des unlösbaren Conflicts, in den sie dadurch mit
ihrenz eignen Glauben geriethen; erst Gratian legte sie im Jahr 382 nieder.
Bis zum entschiedenen Siege des Christenthums und noch langer bestand der
Staatscultus im Wesentlichen unvermindert fort. Jahr für Jahr wurden die
heiligen Feste mit Opfern. Processionen, Schmäusen und Schauspielen gefeiert.
An jedem dritten Januar wurden von allen Staatspriestern Gelübde und
Gebete für das Wohl des Staates und des Kaisers veranstaltet. An jedem
ersten März erneuerten die jungfräulichen Priesterinnen der Vesta das ihrer Obhut
anvertraute heilige Feuer, und nach wie vor wurde Verletzung ihrer Keusch¬
heit mit der schaudervollen Strafe des Lcbcndigbegrabens bestraft. Nach wie
vor sangen die salischen Priester'ihr uraltes mit der Zeit völlig unverständlich
gewordenes Lied, nur daß neben den Namen der Götter darin auch manche
kaiserliche aufgenommen waren, und hielten ihren berühmten Schmaus, der
wie alle Priestermahlzeiten in den Annalen der antiken Gastronomie eine aus¬
gezeichnete Stelle einnahm. Doch die interessantesten Belehrungen über die
unveränderte Fortdauer alter Cultusformen bis in die kleinsten Einzelnheiten
erhalten wir aus zahlreichen Resten von Steintafeln, auf welche die amt¬
lichen Protokolle der Arvalbrüdcr eingegraben sind und die bis in das dritte
Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung hinabreichen/) Diese Priesterschaft
hatte den Beruf, für das Gedeihen der Feldfrüchte öffentliche Opfer
zu veranstalten. Die meisten der erhaltenen Protokolle beziehen sich auf ein
dreitägiges Fest, das sie im Mai zu Ehren einer sonst nie genannten Göttin
Dia begingen, ein Name, unter welchem nach uraltem Brauch die mütterliche
Göttin der Erde, die Spenderin des Fruchtsegens angerufen wurde. Von der
Feier des ersten Tages sei hier nur erwähnt, daß an diesem ein Festmahl
stattfand, an welchem das Couvert 100 Denare (etwa 25 Thaler) kostete; fiel
, dasselbe aus, so wurde jedem Mitglied der Betrag in Geld ausgezahlt.
Von der Feier des zweiten Tages, die ebenfalls bis in die' kleinsten Einzeln¬
heiten in den Acten mit scrupulöser Genauigkeit verzeichnet ist, wollen wir
einige Hauptmomente mittheilen. Sie fand in einem Haine der Göttin Dia
statt, der fünf Miglien weit von Rom an der campanischen Straße lag und
mit verschiedenen Tempeln, Zelten und einer Rennbahn versehn war. Hier
begannen sie die Feierlichkeit mit einem Reinigungsopfer von zwei Ferkeln,
welches bestimmt war den Hain zu entsühnen. Denn jede Arbeit in dem
Haine, z. B. das Beschneiden oder Fällen der Bäume, das Hineintragen
eines Messers entweihte den Hain und machte ein Sühnopfer nöthig. Hierauf
folgte das Opfer einer weißen Kuh an einer andern Stelle, und andere Ge¬
bräuche, über deren vorschriftsmäßige Vollziehung sogleich Protokolle aufgenom-



-) Der Inhalt der Protokolle ist mitgetheilt a. a, O, S, 411-417, woraus das Obige
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[0172] Cultus beibehalten, trotz des unlösbaren Conflicts, in den sie dadurch mit ihrenz eignen Glauben geriethen; erst Gratian legte sie im Jahr 382 nieder. Bis zum entschiedenen Siege des Christenthums und noch langer bestand der Staatscultus im Wesentlichen unvermindert fort. Jahr für Jahr wurden die heiligen Feste mit Opfern. Processionen, Schmäusen und Schauspielen gefeiert. An jedem dritten Januar wurden von allen Staatspriestern Gelübde und Gebete für das Wohl des Staates und des Kaisers veranstaltet. An jedem ersten März erneuerten die jungfräulichen Priesterinnen der Vesta das ihrer Obhut anvertraute heilige Feuer, und nach wie vor wurde Verletzung ihrer Keusch¬ heit mit der schaudervollen Strafe des Lcbcndigbegrabens bestraft. Nach wie vor sangen die salischen Priester'ihr uraltes mit der Zeit völlig unverständlich gewordenes Lied, nur daß neben den Namen der Götter darin auch manche kaiserliche aufgenommen waren, und hielten ihren berühmten Schmaus, der wie alle Priestermahlzeiten in den Annalen der antiken Gastronomie eine aus¬ gezeichnete Stelle einnahm. Doch die interessantesten Belehrungen über die unveränderte Fortdauer alter Cultusformen bis in die kleinsten Einzelnheiten erhalten wir aus zahlreichen Resten von Steintafeln, auf welche die amt¬ lichen Protokolle der Arvalbrüdcr eingegraben sind und die bis in das dritte Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung hinabreichen/) Diese Priesterschaft hatte den Beruf, für das Gedeihen der Feldfrüchte öffentliche Opfer zu veranstalten. Die meisten der erhaltenen Protokolle beziehen sich auf ein dreitägiges Fest, das sie im Mai zu Ehren einer sonst nie genannten Göttin Dia begingen, ein Name, unter welchem nach uraltem Brauch die mütterliche Göttin der Erde, die Spenderin des Fruchtsegens angerufen wurde. Von der Feier des ersten Tages sei hier nur erwähnt, daß an diesem ein Festmahl stattfand, an welchem das Couvert 100 Denare (etwa 25 Thaler) kostete; fiel , dasselbe aus, so wurde jedem Mitglied der Betrag in Geld ausgezahlt. Von der Feier des zweiten Tages, die ebenfalls bis in die' kleinsten Einzeln¬ heiten in den Acten mit scrupulöser Genauigkeit verzeichnet ist, wollen wir einige Hauptmomente mittheilen. Sie fand in einem Haine der Göttin Dia statt, der fünf Miglien weit von Rom an der campanischen Straße lag und mit verschiedenen Tempeln, Zelten und einer Rennbahn versehn war. Hier begannen sie die Feierlichkeit mit einem Reinigungsopfer von zwei Ferkeln, welches bestimmt war den Hain zu entsühnen. Denn jede Arbeit in dem Haine, z. B. das Beschneiden oder Fällen der Bäume, das Hineintragen eines Messers entweihte den Hain und machte ein Sühnopfer nöthig. Hierauf folgte das Opfer einer weißen Kuh an einer andern Stelle, und andere Ge¬ bräuche, über deren vorschriftsmäßige Vollziehung sogleich Protokolle aufgenom- -) Der Inhalt der Protokolle ist mitgetheilt a. a, O, S, 411-417, woraus das Obige entnommen ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/172>, abgerufen am 05.07.2024.