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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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die dilettantische Bearbeitung des römischen Festkalenders von Ovid, die man
mit Recht eine Caricatur des Heiligen nennen könnte. Gleich am Anfang
weiß der Dichter nicht, wer Janus ist, weil er kein Analogon in der griechi¬
schen Mythologie hat. Was für ein Gott, soll ich sagen, daß du seist, zwei-
gestaltiger Janus, fragt der Dichter; denn Griechenland hat keine Gottheit,
die dir gleich ist. Darauf erscheint Janus selbst, um zwei verschiedene Ver¬
muthungen über sein eignes Wesen aufzustellen und seine ihm selbst lächer¬
lichen Beinamen zu erklären." Auf Summanus, einst einen der prächtigsten
Götter, der aber' ganz aus dem Cultus verschwunden war, läßt sich der
Dichter gar nicht ein, sondern fertigt ihn mit einem: wer er auch sein
mag -- ab, u. s. w."

Mehr als der positive Inhalt der griechischen Religion zur Verdrängung,
wirkten die negativen Tendenzen griechischer Philosophie und Theologie zur
Zersetzung des römischen Glaubens. Schon Ennius, der Zeitgenosse des Sie¬
gers von Zama und des alten Cato übersetzte das Werk des Messeniers
Eucineros (aus der Diadochenzeit), worin alle Götter für Menschen, die sich
durch Weisheit, Macht, Tapferkeit und andere Vorzüge die Anbetung der
Nachwelt erworben, erklärt, und ihre Gräber beschrieben wurden. In andern
seiner Werke vertrat Ennius die Auffassung, welche die Personen der Götter
in abstracte Naturpotenzen verwandelte. Auch die epikurische Philosophie, die
wenigstens den Zusammenhang der Götter mit der irdischen Welt durchaus
in Abrede stellte, untergrub den positiven Glauben, und der Versuch, die Staats¬
religion durch die stoische Theologie mit den Forderungen des gebildeten Be¬
wußtseins in Einklang zu setzen, konnte nur beschränkte Wirkungen üben.

Während diese und ähnliche Einflüsse den Unglauben verbreiteten, wurde
der Verfall der Staatsreligion auch äußerlich dadurch beschleunigt, daß das
Priesterthum seinen -kirchlichen Charakter und der Cultus sein Ansehn verlor.
Namentlich seit die Priesterthümer'durch Volkswahl besetzt wurden, standen
sie den übrigen Staatsämtern völlig gleich. "Hiermit siel die letzte Stütze,
die dem Cultus noch übrig war. Die positiv und äußerlich gegebene Religion
der Römer hatte ihren Halt an dem Priesterthum, eine umfangreiche schrift¬
liche Ueberlieferung sicherte den Ritus, und eine mündliche Tradition erhielt in
den Priestercollegien, so lange diese sich zum Theil aus denselben Familien
durch Wahl der Mitglieder ergänzten, ein sicheres Bewußtsein von der Bedeu¬
tung und den Erfordernissen des Gottesdienstes, an- welchem, wenn es leben¬
dig und frisch geblieben wäre, das Volk wie in alter Zeit eine Quelle der
Anregung und Belehrung gehabt haben würde. Aber diese Wissenschaft, an¬
statt ein Gegengewicht gegen die eindringenden poetischen und philosophischen
Aufklärungen zu gewähren, erlag dem Interesse der Priester; die Gesetze des
Cultus, noch mehr aber die alten Vorstellungen von den Göttern wurden den


die dilettantische Bearbeitung des römischen Festkalenders von Ovid, die man
mit Recht eine Caricatur des Heiligen nennen könnte. Gleich am Anfang
weiß der Dichter nicht, wer Janus ist, weil er kein Analogon in der griechi¬
schen Mythologie hat. Was für ein Gott, soll ich sagen, daß du seist, zwei-
gestaltiger Janus, fragt der Dichter; denn Griechenland hat keine Gottheit,
die dir gleich ist. Darauf erscheint Janus selbst, um zwei verschiedene Ver¬
muthungen über sein eignes Wesen aufzustellen und seine ihm selbst lächer¬
lichen Beinamen zu erklären." Auf Summanus, einst einen der prächtigsten
Götter, der aber' ganz aus dem Cultus verschwunden war, läßt sich der
Dichter gar nicht ein, sondern fertigt ihn mit einem: wer er auch sein
mag — ab, u. s. w."

Mehr als der positive Inhalt der griechischen Religion zur Verdrängung,
wirkten die negativen Tendenzen griechischer Philosophie und Theologie zur
Zersetzung des römischen Glaubens. Schon Ennius, der Zeitgenosse des Sie¬
gers von Zama und des alten Cato übersetzte das Werk des Messeniers
Eucineros (aus der Diadochenzeit), worin alle Götter für Menschen, die sich
durch Weisheit, Macht, Tapferkeit und andere Vorzüge die Anbetung der
Nachwelt erworben, erklärt, und ihre Gräber beschrieben wurden. In andern
seiner Werke vertrat Ennius die Auffassung, welche die Personen der Götter
in abstracte Naturpotenzen verwandelte. Auch die epikurische Philosophie, die
wenigstens den Zusammenhang der Götter mit der irdischen Welt durchaus
in Abrede stellte, untergrub den positiven Glauben, und der Versuch, die Staats¬
religion durch die stoische Theologie mit den Forderungen des gebildeten Be¬
wußtseins in Einklang zu setzen, konnte nur beschränkte Wirkungen üben.

Während diese und ähnliche Einflüsse den Unglauben verbreiteten, wurde
der Verfall der Staatsreligion auch äußerlich dadurch beschleunigt, daß das
Priesterthum seinen -kirchlichen Charakter und der Cultus sein Ansehn verlor.
Namentlich seit die Priesterthümer'durch Volkswahl besetzt wurden, standen
sie den übrigen Staatsämtern völlig gleich. „Hiermit siel die letzte Stütze,
die dem Cultus noch übrig war. Die positiv und äußerlich gegebene Religion
der Römer hatte ihren Halt an dem Priesterthum, eine umfangreiche schrift¬
liche Ueberlieferung sicherte den Ritus, und eine mündliche Tradition erhielt in
den Priestercollegien, so lange diese sich zum Theil aus denselben Familien
durch Wahl der Mitglieder ergänzten, ein sicheres Bewußtsein von der Bedeu¬
tung und den Erfordernissen des Gottesdienstes, an- welchem, wenn es leben¬
dig und frisch geblieben wäre, das Volk wie in alter Zeit eine Quelle der
Anregung und Belehrung gehabt haben würde. Aber diese Wissenschaft, an¬
statt ein Gegengewicht gegen die eindringenden poetischen und philosophischen
Aufklärungen zu gewähren, erlag dem Interesse der Priester; die Gesetze des
Cultus, noch mehr aber die alten Vorstellungen von den Göttern wurden den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/170>, abgerufen am 05.07.2024.