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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Nußland sich miteinander verständigen könnten; für den Augenblick ist frei¬
lich durch menschliche Motive zwischen beiden Staaten eine Entfremdung ein¬
getreten, die nicht leicht zu beseitigen sein wird, aber van einer Unmöglich¬
keit ist nicht die Rede. Freilich strebte Nußland seit langer Zeit nach dem
Besitz Polens und der Türkei, und Oestreich hatte gerechten Grund, sich die¬
sem Streben zu widersetzen; allein die Habgier konnte es leicht bestimmen,
sich durch einen Antheil an der Beute beschwichtigen zu lassen. So geschah
es bei der ersten Theilung Polens, und diese Politik erneuerte sich 1790. als
beide Mächte sich einigten, die Türkei zu theilen. Der Erwerb der Türkei war
der leitende Gedanke der russischen Politik. Für ihn benutzte man bald Preu¬
ßen, bald Oestreich. Um hier freie Hand zu haben, trieb Katharina II. die
beiden deutschen Mächte in, den Ritterkrieg gegen die französische Republik, der
ihr allein zu Gute kam und sie doch keine Opfer kostete. Das Verhältniß Ru߬
lands zu Preußen war ein ganz anderes als das Oestreichs. Von Eifersucht
und Haß war keine Rede, es war nur die Geringschätzung, welche aus dem
Gefühl brutaler Uebermacht und größerer Verschmitztheit hervorging. Wie ge¬
ringschätzig man bei der zweiten Theilung Polens mit Preußen umging, ha¬
ben am deutlichsten die Memoiren des Grasen Siepers gezeigt; zuletzt hatte
man sich doch verständigt. Aber die neue Jnsurrection der Polen gab zu
neuen Reibungen Veranlassung.

Friedrich Wilhelm hatte den Krieg gegen Frankreich aus Rittcrpflicht über¬
nommen, gegen die Ueberzeugung der meisten seiner Rathgeber. An diese
Rittcrpflicht wurde er fortwährend von den Russen höhnisch erinnert, wenn
man einen Augenblick zu bemerken glaubte, daß er im Interesse seines Lan¬
des bereit war, ihn aufzugeben. In diesem Krieg lag der ganze Idealismus
seiner Politik: freilich gehörte er zu sehr dem achtzehnten Jahrhundert an, um
nicht auch einen Vortheil daraus ziehn zu wollen. Er ließ sich von den Eng¬
ländern für die Truppen, die er ihnen am Rhein zur Verfügung stellte, be¬
zahlen, und verlangte von den Russen, da er in Frankreich selbst nichts er¬
obern wollte, eine Entschädigung an der Weichsel. Oestreich hatte seinen Krieg
von vornherein positiver aufgefaßt, und Thugut nahm keinen Anstand, seiner¬
seits mit den Franzosen jene Unterhandlung einzuleiten, die später seine Publi-
cisten. als sie von Preußen durchgeführt wurde, als einen Verrath an der
deutschen Sache bezeichneten. Diese Wendung der Politik wurde dadurch her¬
beigeführt, daß die Entscheidung in Polen in demselben Augenblick eintrat,
am Rhein und in Belgien die Franzosen überraschende Erfolge davon trugen.
Ganz getrennt von der Entwickelung des Innern hatte sich in den Kriegen eine
Soldateska gebildet, die von kriegslustigem Eifer erfüllt, für die Republik
schwärmte, die ihr reiche Lorbeern und ausgelassenes Leben verhieß, und bald
der Schrecken aller Gegner wurde. Kein Gefühl der Pflicht, erzählt Sybel,


Nußland sich miteinander verständigen könnten; für den Augenblick ist frei¬
lich durch menschliche Motive zwischen beiden Staaten eine Entfremdung ein¬
getreten, die nicht leicht zu beseitigen sein wird, aber van einer Unmöglich¬
keit ist nicht die Rede. Freilich strebte Nußland seit langer Zeit nach dem
Besitz Polens und der Türkei, und Oestreich hatte gerechten Grund, sich die¬
sem Streben zu widersetzen; allein die Habgier konnte es leicht bestimmen,
sich durch einen Antheil an der Beute beschwichtigen zu lassen. So geschah
es bei der ersten Theilung Polens, und diese Politik erneuerte sich 1790. als
beide Mächte sich einigten, die Türkei zu theilen. Der Erwerb der Türkei war
der leitende Gedanke der russischen Politik. Für ihn benutzte man bald Preu¬
ßen, bald Oestreich. Um hier freie Hand zu haben, trieb Katharina II. die
beiden deutschen Mächte in, den Ritterkrieg gegen die französische Republik, der
ihr allein zu Gute kam und sie doch keine Opfer kostete. Das Verhältniß Ru߬
lands zu Preußen war ein ganz anderes als das Oestreichs. Von Eifersucht
und Haß war keine Rede, es war nur die Geringschätzung, welche aus dem
Gefühl brutaler Uebermacht und größerer Verschmitztheit hervorging. Wie ge¬
ringschätzig man bei der zweiten Theilung Polens mit Preußen umging, ha¬
ben am deutlichsten die Memoiren des Grasen Siepers gezeigt; zuletzt hatte
man sich doch verständigt. Aber die neue Jnsurrection der Polen gab zu
neuen Reibungen Veranlassung.

Friedrich Wilhelm hatte den Krieg gegen Frankreich aus Rittcrpflicht über¬
nommen, gegen die Ueberzeugung der meisten seiner Rathgeber. An diese
Rittcrpflicht wurde er fortwährend von den Russen höhnisch erinnert, wenn
man einen Augenblick zu bemerken glaubte, daß er im Interesse seines Lan¬
des bereit war, ihn aufzugeben. In diesem Krieg lag der ganze Idealismus
seiner Politik: freilich gehörte er zu sehr dem achtzehnten Jahrhundert an, um
nicht auch einen Vortheil daraus ziehn zu wollen. Er ließ sich von den Eng¬
ländern für die Truppen, die er ihnen am Rhein zur Verfügung stellte, be¬
zahlen, und verlangte von den Russen, da er in Frankreich selbst nichts er¬
obern wollte, eine Entschädigung an der Weichsel. Oestreich hatte seinen Krieg
von vornherein positiver aufgefaßt, und Thugut nahm keinen Anstand, seiner¬
seits mit den Franzosen jene Unterhandlung einzuleiten, die später seine Publi-
cisten. als sie von Preußen durchgeführt wurde, als einen Verrath an der
deutschen Sache bezeichneten. Diese Wendung der Politik wurde dadurch her¬
beigeführt, daß die Entscheidung in Polen in demselben Augenblick eintrat,
am Rhein und in Belgien die Franzosen überraschende Erfolge davon trugen.
Ganz getrennt von der Entwickelung des Innern hatte sich in den Kriegen eine
Soldateska gebildet, die von kriegslustigem Eifer erfüllt, für die Republik
schwärmte, die ihr reiche Lorbeern und ausgelassenes Leben verhieß, und bald
der Schrecken aller Gegner wurde. Kein Gefühl der Pflicht, erzählt Sybel,


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[0143] Nußland sich miteinander verständigen könnten; für den Augenblick ist frei¬ lich durch menschliche Motive zwischen beiden Staaten eine Entfremdung ein¬ getreten, die nicht leicht zu beseitigen sein wird, aber van einer Unmöglich¬ keit ist nicht die Rede. Freilich strebte Nußland seit langer Zeit nach dem Besitz Polens und der Türkei, und Oestreich hatte gerechten Grund, sich die¬ sem Streben zu widersetzen; allein die Habgier konnte es leicht bestimmen, sich durch einen Antheil an der Beute beschwichtigen zu lassen. So geschah es bei der ersten Theilung Polens, und diese Politik erneuerte sich 1790. als beide Mächte sich einigten, die Türkei zu theilen. Der Erwerb der Türkei war der leitende Gedanke der russischen Politik. Für ihn benutzte man bald Preu¬ ßen, bald Oestreich. Um hier freie Hand zu haben, trieb Katharina II. die beiden deutschen Mächte in, den Ritterkrieg gegen die französische Republik, der ihr allein zu Gute kam und sie doch keine Opfer kostete. Das Verhältniß Ru߬ lands zu Preußen war ein ganz anderes als das Oestreichs. Von Eifersucht und Haß war keine Rede, es war nur die Geringschätzung, welche aus dem Gefühl brutaler Uebermacht und größerer Verschmitztheit hervorging. Wie ge¬ ringschätzig man bei der zweiten Theilung Polens mit Preußen umging, ha¬ ben am deutlichsten die Memoiren des Grasen Siepers gezeigt; zuletzt hatte man sich doch verständigt. Aber die neue Jnsurrection der Polen gab zu neuen Reibungen Veranlassung. Friedrich Wilhelm hatte den Krieg gegen Frankreich aus Rittcrpflicht über¬ nommen, gegen die Ueberzeugung der meisten seiner Rathgeber. An diese Rittcrpflicht wurde er fortwährend von den Russen höhnisch erinnert, wenn man einen Augenblick zu bemerken glaubte, daß er im Interesse seines Lan¬ des bereit war, ihn aufzugeben. In diesem Krieg lag der ganze Idealismus seiner Politik: freilich gehörte er zu sehr dem achtzehnten Jahrhundert an, um nicht auch einen Vortheil daraus ziehn zu wollen. Er ließ sich von den Eng¬ ländern für die Truppen, die er ihnen am Rhein zur Verfügung stellte, be¬ zahlen, und verlangte von den Russen, da er in Frankreich selbst nichts er¬ obern wollte, eine Entschädigung an der Weichsel. Oestreich hatte seinen Krieg von vornherein positiver aufgefaßt, und Thugut nahm keinen Anstand, seiner¬ seits mit den Franzosen jene Unterhandlung einzuleiten, die später seine Publi- cisten. als sie von Preußen durchgeführt wurde, als einen Verrath an der deutschen Sache bezeichneten. Diese Wendung der Politik wurde dadurch her¬ beigeführt, daß die Entscheidung in Polen in demselben Augenblick eintrat, am Rhein und in Belgien die Franzosen überraschende Erfolge davon trugen. Ganz getrennt von der Entwickelung des Innern hatte sich in den Kriegen eine Soldateska gebildet, die von kriegslustigem Eifer erfüllt, für die Republik schwärmte, die ihr reiche Lorbeern und ausgelassenes Leben verhieß, und bald der Schrecken aller Gegner wurde. Kein Gefühl der Pflicht, erzählt Sybel,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/143>, abgerufen am 05.07.2024.