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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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die eine, bald die andere Richtung der altpreußischen Politik in den Vorder¬
grund trat. Friedrich Wilhelm II. war intellectuell keineswegs so unbedeutend,
als man gewöhnlich annimmt. Bei seiner lebhaften allseitigen Empfänglich¬
keit, bei seinem schnellen Verständniß, bei seinem Sinn für das Höhere, konnte
man ihm selbst das Prädiccit eines geistvollen Mannes nicht versagen. Frei¬
lich ließ er sich durch die Sitten des Hofes von Versailles mehr bestimmen,
als sich mit der preußischen Ueberlieferung vertrug, freilich verkehrte er zu viel
mit Geisterbannern und andern Individuen jener Classe, die man später als
Romantiker bezeichnete, aber er dachte auch viel über Staatsangelegenheiten
nach, er beschämte augenblicklich manche seiner Diener durch eine seine Auf¬
fassung der Verhältnisse, er hatte einen Willen, der sich unter Umständen sehr
energisch durchzusetzen wußte, er besaß Ehrgeiz und Ehrgefühl. Er dachte
wie seine Vorfahren an seine Pflichten als Reichsfürst und bemühte sich im
Interesse Deutschlands mit Oestreich Hand in Hand zu gehn. Er fühlte ritter¬
lich 'für die französische Königsfamilie und verabscheute die Jakobiner aus
moralischen Gründen. Er hatte Sinn sür die Entwickelung eines freien Volks-
wcsens, wie sie sich in der polnischen Cqnstitution von 1791 vorzubereiten
schien. Er fühlte lebhaft den Beruf, den die Großthaten seines Oheims ihm
hinterlassen hatten, und er war nicht schwach genug, die Intriguen Oestreichs
gleichmüthig hinzunehmen. Das alles waren wesentliche Gesichtspunkte, nur
leider widersprachen sie einander, und da bald der eine, bald der andere in
seinem Gemüth in den Vordergrund trat, so kam dadurch in seine Politik
ein Schwanken, das leicht hätte verhängnißvoll werden-können und das un¬
ter seinem Nachfolger auch verhängnißvoll wurde. Diesem unsteten Willen
gegenüber spielt Oestreich die alte Rolle fort, nur daß die frühere Besorgniß
gegen den rivalisirenden Staat noch durch einen Haß gefärbt wurde, der sich
aus dem Andenken an den siebenjährigen Krieg leicht erklärt. Hütten die öst¬
reichischen Staatsmänner einen großen Blick gehabt, so hätten-sie schon da¬
mals eingesehn, daß nur eine feste Allianz mit Preußen ihre Bahn ebnen
konnte, und daß sie weit entfernt, die Vergrößerung Preußens durch Intriguen
zu hintertreiben, um dieser Allianz willen alles daransetzen mußten, den jun¬
gem Staat zu kräftigen. Aber Thugut. der in der Periode von 94 den Aus¬
schlag gab, verband mit einer scharfen Einsicht und einem zähen rücksichtslosen
Willen eine kleine Seele und fachte die alte Eifersucht in einer Weise an, die
auch das ruhigste Gemüth erbittern und endlich zur ausgesprochenen Zwie¬
tracht führen mußte.

Noch hatte Friedrich seinem Staat ein verhängnißvolles Erbtheil hinter¬
lassen, das russische Bündniß. Für seine unmittelbare Lage war es freilich
ein Meisterstück, daß er die russisch-östreichische Allianz löste, die ihn hätte er¬
drücken müssen. Man spricht häufig von der Unmöglichkeit, daß Oestreich und


die eine, bald die andere Richtung der altpreußischen Politik in den Vorder¬
grund trat. Friedrich Wilhelm II. war intellectuell keineswegs so unbedeutend,
als man gewöhnlich annimmt. Bei seiner lebhaften allseitigen Empfänglich¬
keit, bei seinem schnellen Verständniß, bei seinem Sinn für das Höhere, konnte
man ihm selbst das Prädiccit eines geistvollen Mannes nicht versagen. Frei¬
lich ließ er sich durch die Sitten des Hofes von Versailles mehr bestimmen,
als sich mit der preußischen Ueberlieferung vertrug, freilich verkehrte er zu viel
mit Geisterbannern und andern Individuen jener Classe, die man später als
Romantiker bezeichnete, aber er dachte auch viel über Staatsangelegenheiten
nach, er beschämte augenblicklich manche seiner Diener durch eine seine Auf¬
fassung der Verhältnisse, er hatte einen Willen, der sich unter Umständen sehr
energisch durchzusetzen wußte, er besaß Ehrgeiz und Ehrgefühl. Er dachte
wie seine Vorfahren an seine Pflichten als Reichsfürst und bemühte sich im
Interesse Deutschlands mit Oestreich Hand in Hand zu gehn. Er fühlte ritter¬
lich 'für die französische Königsfamilie und verabscheute die Jakobiner aus
moralischen Gründen. Er hatte Sinn sür die Entwickelung eines freien Volks-
wcsens, wie sie sich in der polnischen Cqnstitution von 1791 vorzubereiten
schien. Er fühlte lebhaft den Beruf, den die Großthaten seines Oheims ihm
hinterlassen hatten, und er war nicht schwach genug, die Intriguen Oestreichs
gleichmüthig hinzunehmen. Das alles waren wesentliche Gesichtspunkte, nur
leider widersprachen sie einander, und da bald der eine, bald der andere in
seinem Gemüth in den Vordergrund trat, so kam dadurch in seine Politik
ein Schwanken, das leicht hätte verhängnißvoll werden-können und das un¬
ter seinem Nachfolger auch verhängnißvoll wurde. Diesem unsteten Willen
gegenüber spielt Oestreich die alte Rolle fort, nur daß die frühere Besorgniß
gegen den rivalisirenden Staat noch durch einen Haß gefärbt wurde, der sich
aus dem Andenken an den siebenjährigen Krieg leicht erklärt. Hütten die öst¬
reichischen Staatsmänner einen großen Blick gehabt, so hätten-sie schon da¬
mals eingesehn, daß nur eine feste Allianz mit Preußen ihre Bahn ebnen
konnte, und daß sie weit entfernt, die Vergrößerung Preußens durch Intriguen
zu hintertreiben, um dieser Allianz willen alles daransetzen mußten, den jun¬
gem Staat zu kräftigen. Aber Thugut. der in der Periode von 94 den Aus¬
schlag gab, verband mit einer scharfen Einsicht und einem zähen rücksichtslosen
Willen eine kleine Seele und fachte die alte Eifersucht in einer Weise an, die
auch das ruhigste Gemüth erbittern und endlich zur ausgesprochenen Zwie¬
tracht führen mußte.

Noch hatte Friedrich seinem Staat ein verhängnißvolles Erbtheil hinter¬
lassen, das russische Bündniß. Für seine unmittelbare Lage war es freilich
ein Meisterstück, daß er die russisch-östreichische Allianz löste, die ihn hätte er¬
drücken müssen. Man spricht häufig von der Unmöglichkeit, daß Oestreich und


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[0142] die eine, bald die andere Richtung der altpreußischen Politik in den Vorder¬ grund trat. Friedrich Wilhelm II. war intellectuell keineswegs so unbedeutend, als man gewöhnlich annimmt. Bei seiner lebhaften allseitigen Empfänglich¬ keit, bei seinem schnellen Verständniß, bei seinem Sinn für das Höhere, konnte man ihm selbst das Prädiccit eines geistvollen Mannes nicht versagen. Frei¬ lich ließ er sich durch die Sitten des Hofes von Versailles mehr bestimmen, als sich mit der preußischen Ueberlieferung vertrug, freilich verkehrte er zu viel mit Geisterbannern und andern Individuen jener Classe, die man später als Romantiker bezeichnete, aber er dachte auch viel über Staatsangelegenheiten nach, er beschämte augenblicklich manche seiner Diener durch eine seine Auf¬ fassung der Verhältnisse, er hatte einen Willen, der sich unter Umständen sehr energisch durchzusetzen wußte, er besaß Ehrgeiz und Ehrgefühl. Er dachte wie seine Vorfahren an seine Pflichten als Reichsfürst und bemühte sich im Interesse Deutschlands mit Oestreich Hand in Hand zu gehn. Er fühlte ritter¬ lich 'für die französische Königsfamilie und verabscheute die Jakobiner aus moralischen Gründen. Er hatte Sinn sür die Entwickelung eines freien Volks- wcsens, wie sie sich in der polnischen Cqnstitution von 1791 vorzubereiten schien. Er fühlte lebhaft den Beruf, den die Großthaten seines Oheims ihm hinterlassen hatten, und er war nicht schwach genug, die Intriguen Oestreichs gleichmüthig hinzunehmen. Das alles waren wesentliche Gesichtspunkte, nur leider widersprachen sie einander, und da bald der eine, bald der andere in seinem Gemüth in den Vordergrund trat, so kam dadurch in seine Politik ein Schwanken, das leicht hätte verhängnißvoll werden-können und das un¬ ter seinem Nachfolger auch verhängnißvoll wurde. Diesem unsteten Willen gegenüber spielt Oestreich die alte Rolle fort, nur daß die frühere Besorgniß gegen den rivalisirenden Staat noch durch einen Haß gefärbt wurde, der sich aus dem Andenken an den siebenjährigen Krieg leicht erklärt. Hütten die öst¬ reichischen Staatsmänner einen großen Blick gehabt, so hätten-sie schon da¬ mals eingesehn, daß nur eine feste Allianz mit Preußen ihre Bahn ebnen konnte, und daß sie weit entfernt, die Vergrößerung Preußens durch Intriguen zu hintertreiben, um dieser Allianz willen alles daransetzen mußten, den jun¬ gem Staat zu kräftigen. Aber Thugut. der in der Periode von 94 den Aus¬ schlag gab, verband mit einer scharfen Einsicht und einem zähen rücksichtslosen Willen eine kleine Seele und fachte die alte Eifersucht in einer Weise an, die auch das ruhigste Gemüth erbittern und endlich zur ausgesprochenen Zwie¬ tracht führen mußte. Noch hatte Friedrich seinem Staat ein verhängnißvolles Erbtheil hinter¬ lassen, das russische Bündniß. Für seine unmittelbare Lage war es freilich ein Meisterstück, daß er die russisch-östreichische Allianz löste, die ihn hätte er¬ drücken müssen. Man spricht häufig von der Unmöglichkeit, daß Oestreich und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/142>, abgerufen am 05.07.2024.