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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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dann aber wachte es mit eifersüchtiger Sorgfalt darüber, daß dem gefährlichen
Nebenbuhler keine Vortheile daraus zuflössen, die seine Macht bedenklich er¬
weiterten. Spielte auch im Krieg der jüngere Staat die Hauptrolle, so blieb
im Frieden der ältere doch der mächtigere, und er verschmähte es nicht, auch
Deutschlands Vortheil den öffentlichen Feinden Preis zu geben, wenn es zugleich
der Vortheil seines Nebenbuhlers war. Der große Kurfürst empfand diese
Lage mit bitterm Unmuth, aber er ließ sich dadurch nicht verleiten, von dem
geraden Weg der Politik abzugehn. So wohl er es verstand, seinen eigenen
Vortheil wahrzunehmen, blieb er doch deutscher Reichsfürst und hielt zu Oest¬
reich, auch wo dieses ihn schwer kränkte, in der festen und vollkommen begrün¬
deten Ueberzeugung, dieser gerade Weg werde ihn trotz aller Eifersucht Oest¬
reichs am sichersten dem Ziel zuführen, dem der Ehrgeiz seines Hauses ent-
gegenstrebte.

Was der Gründer des preußischen Staats mit Plan und Einsicht durch¬
führte, weil er die Verhältnisse groß auffaßte, setzten seine beiden Nachfol¬
ger aus Schwäche sort. Allein diese Schwäche hat die Entwickelung des
Staats nicht beeinträchtigt, weil die Politik in der geraden Linie blieb. Preu¬
ßen war innerlich gekräftigt und fiel schwer in die Wagschale der Entscheidung,
als Friedrich der Große bei seiner Thronbesteigung plötzlich die angestammte
Politik seines Hauses aufgab und seine Macht mit raschem Entschluß gegen
Oestreich wandte. Dies ist nun eine von jenen kritischen Zeiten, in denen
man das Urtheil über eine That nicht nach der Idee abmessen darf, die der¬
selben zu Grunde lag, sondern nach der Kraft, die dabei verwandt wurde.
Die Politik der Jahre 1740' bis 1745 wäre die Politik eines vermessenen
Abenteurers gewesen, wenn sie nicht die Politik eines der größten Männer
war, die die Weltgeschichte kennt. Uebermächtigen Intriganten gegenüber,
denen jedes Mittel recht war, hatten bis dahin die schwächeren preußischen
Fürsten langsam Erfolge erreicht, indem sie ehrlich den Weg der Pflicht vor
sich hingingen; Friedrich erreichte einen schwindelnden Erfolg, indem er sie an
Rücksichtslosigkeit überbot. Er hat durch die Größe seiner Thaten, durch den
Segen, den sein Vaterland, durch den Ruhm, den das ganze deutsche Volk
ihm verdankt, das Frevelhafte seines Unternehmens längst in Vergessenheit
gebracht. Aber nur er, der gewaltige eiserne Mann, der immer nur eins
wollte, und der an Charakterstärke ebenso über seinen Zeitgenossen stand, wie
ein Einsicht, Genie und Reichthum des Geistes, konnte es in Vergessenheit
bringen; dieselben Maximen würden einen Charakter, der nicht ganz von Ei-
scn ist, schmählich zu Grunde richten. Man sollte neuerdings in der Empfeh¬
lung der altenfritzeschen Politik vorsichtiger sein; denn sie war eben nur für
den alten Fritz gemacht.

Nun wollte das Unglück, daß unter seinem schwachen Nachfolger bald


dann aber wachte es mit eifersüchtiger Sorgfalt darüber, daß dem gefährlichen
Nebenbuhler keine Vortheile daraus zuflössen, die seine Macht bedenklich er¬
weiterten. Spielte auch im Krieg der jüngere Staat die Hauptrolle, so blieb
im Frieden der ältere doch der mächtigere, und er verschmähte es nicht, auch
Deutschlands Vortheil den öffentlichen Feinden Preis zu geben, wenn es zugleich
der Vortheil seines Nebenbuhlers war. Der große Kurfürst empfand diese
Lage mit bitterm Unmuth, aber er ließ sich dadurch nicht verleiten, von dem
geraden Weg der Politik abzugehn. So wohl er es verstand, seinen eigenen
Vortheil wahrzunehmen, blieb er doch deutscher Reichsfürst und hielt zu Oest¬
reich, auch wo dieses ihn schwer kränkte, in der festen und vollkommen begrün¬
deten Ueberzeugung, dieser gerade Weg werde ihn trotz aller Eifersucht Oest¬
reichs am sichersten dem Ziel zuführen, dem der Ehrgeiz seines Hauses ent-
gegenstrebte.

Was der Gründer des preußischen Staats mit Plan und Einsicht durch¬
führte, weil er die Verhältnisse groß auffaßte, setzten seine beiden Nachfol¬
ger aus Schwäche sort. Allein diese Schwäche hat die Entwickelung des
Staats nicht beeinträchtigt, weil die Politik in der geraden Linie blieb. Preu¬
ßen war innerlich gekräftigt und fiel schwer in die Wagschale der Entscheidung,
als Friedrich der Große bei seiner Thronbesteigung plötzlich die angestammte
Politik seines Hauses aufgab und seine Macht mit raschem Entschluß gegen
Oestreich wandte. Dies ist nun eine von jenen kritischen Zeiten, in denen
man das Urtheil über eine That nicht nach der Idee abmessen darf, die der¬
selben zu Grunde lag, sondern nach der Kraft, die dabei verwandt wurde.
Die Politik der Jahre 1740' bis 1745 wäre die Politik eines vermessenen
Abenteurers gewesen, wenn sie nicht die Politik eines der größten Männer
war, die die Weltgeschichte kennt. Uebermächtigen Intriganten gegenüber,
denen jedes Mittel recht war, hatten bis dahin die schwächeren preußischen
Fürsten langsam Erfolge erreicht, indem sie ehrlich den Weg der Pflicht vor
sich hingingen; Friedrich erreichte einen schwindelnden Erfolg, indem er sie an
Rücksichtslosigkeit überbot. Er hat durch die Größe seiner Thaten, durch den
Segen, den sein Vaterland, durch den Ruhm, den das ganze deutsche Volk
ihm verdankt, das Frevelhafte seines Unternehmens längst in Vergessenheit
gebracht. Aber nur er, der gewaltige eiserne Mann, der immer nur eins
wollte, und der an Charakterstärke ebenso über seinen Zeitgenossen stand, wie
ein Einsicht, Genie und Reichthum des Geistes, konnte es in Vergessenheit
bringen; dieselben Maximen würden einen Charakter, der nicht ganz von Ei-
scn ist, schmählich zu Grunde richten. Man sollte neuerdings in der Empfeh¬
lung der altenfritzeschen Politik vorsichtiger sein; denn sie war eben nur für
den alten Fritz gemacht.

Nun wollte das Unglück, daß unter seinem schwachen Nachfolger bald


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/141>, abgerufen am 05.07.2024.