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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Ansichten sich bekennend, in einem Separatvertrag mit dieser Großmacht zu^
gemeinschaftlichem Vorwärtsgehen gegen Oestreich sich verpflichtet habe."

Diese officielle Berichtigung einer "nach allen Anzeichen vielfach verbrei¬
teten Meinung" bezeugt lauter, als wenn wir die anklagenden Stimmen sprechen
lassen würden, die Hohe des Mißtrauens im Publicum gegen die Tendenzen
und Neigungen der gouvernementalen Politik. Man war sich dessen in den
leitenden Kreisen auch recht wohl bewußt und hegte deshalb über die Anordnung
von Neuwahlen für die Kammer vorläufig lebhafte Besorgnisse. Um nähere
Einsicht in die Stimmungen der einzelnen Provinzen zu gewinnen, griff man
zu dem auffälligen Mittel, sämmtliche Regierungspräsidenten des Königreichs
in München zu versammeln (April 1855). Die N. Münchner Ztg. berichtete
darüber in einer officiellen Notiz: "Dieselben (Regierungspräsidenten) hatten
Gelegenheit, über die wichtigsten Fragen der innern Verwaltung die Regierungs¬
grundsätze zu vernehmen und zugleich ihre Erfahrungen und Ansichten hierüber
darzulegen. Zu diesem Behuf haben mehrfache Conferenzen derselben mit
den Staatsministern, von denen eine unter der persönlichen Leitung Sr. Maj.
des Königs stattgefunden. Jnskünstige sollen sich diese Zusammentritte all¬
jährlich wiederholen. Der dadurch gewonnene mündliche Ideenaustausch
unter den obersten Beamten der innern Verwaltung kann das lebensthütige
Eingreifen der Negierung zur Förderung der Interessen des Landes und seiner
Bewohner nur in wohlthätigster und erfreulichster' Weise fördern.

Dieses "lebensthütige Eingreifen" sollte sich sofort bewähren. Verordnungen
und Circularschreiben der Regierungspräsidenten, worin die Beamten und selbst
die untersten Schichten der Amts- und Kanzleibediensteten wiederholt, unter
drohenden Mahnungen aufgefordert wurden, amtlich wie außeramtlich darauf
hinzuwirken, daß nur conservative Männer gewählt würden, erfüllten die
nächsten Wochen. In Erlassen gleichen Sinnes scharfem sämmtliche Bischöfe
und evangelische Kirchenbehörden der Weltgeistlichkcit und den Pfarrern ein,
daß ein wesentlicher Theil ihres Seclenhirtenamtes in der Sorge für die Wahl
gouvernemental gesinnter Abgeordneten bestehe. Den Offizieren ward durch
ein Kricgsministerialrescript die Theilnahme an den Wahlen kurzweg untersagt,
weil sie von dem 1348 geleisteten Vcrfassungseid entbunden worden seien,
jeder Wähler aber auf diesen Eid verpflichtet sei. Da die Zeitungen diese
und ähnliche Thatsachen blos unter äußerst vorsichtigen Formen an die Oeffent-
lichkeit stellten, und ihre Zweifel, ob auf diese Weise das Staatsgrundgesetz
eingehalten werde, welches jede amtliche Einwirkung auf die Abgeordneten¬
wahlen ausdrücklich untersagt, nicht einmal äußern durften, so bekam das
"deutsche Ausland" natürlich keinen Begriff davon, in welcher Weise ein sol¬
ches "lebensthätiges Eingreifen der Regierung" die "Interessen des Landes
und 'seiner Bewohner nur in wohlthätigster und erfreulichster Weise fördern"


GrcnzbiNen IV. 1853. 17

Ansichten sich bekennend, in einem Separatvertrag mit dieser Großmacht zu^
gemeinschaftlichem Vorwärtsgehen gegen Oestreich sich verpflichtet habe."

Diese officielle Berichtigung einer „nach allen Anzeichen vielfach verbrei¬
teten Meinung" bezeugt lauter, als wenn wir die anklagenden Stimmen sprechen
lassen würden, die Hohe des Mißtrauens im Publicum gegen die Tendenzen
und Neigungen der gouvernementalen Politik. Man war sich dessen in den
leitenden Kreisen auch recht wohl bewußt und hegte deshalb über die Anordnung
von Neuwahlen für die Kammer vorläufig lebhafte Besorgnisse. Um nähere
Einsicht in die Stimmungen der einzelnen Provinzen zu gewinnen, griff man
zu dem auffälligen Mittel, sämmtliche Regierungspräsidenten des Königreichs
in München zu versammeln (April 1855). Die N. Münchner Ztg. berichtete
darüber in einer officiellen Notiz: „Dieselben (Regierungspräsidenten) hatten
Gelegenheit, über die wichtigsten Fragen der innern Verwaltung die Regierungs¬
grundsätze zu vernehmen und zugleich ihre Erfahrungen und Ansichten hierüber
darzulegen. Zu diesem Behuf haben mehrfache Conferenzen derselben mit
den Staatsministern, von denen eine unter der persönlichen Leitung Sr. Maj.
des Königs stattgefunden. Jnskünstige sollen sich diese Zusammentritte all¬
jährlich wiederholen. Der dadurch gewonnene mündliche Ideenaustausch
unter den obersten Beamten der innern Verwaltung kann das lebensthütige
Eingreifen der Negierung zur Förderung der Interessen des Landes und seiner
Bewohner nur in wohlthätigster und erfreulichster' Weise fördern.

Dieses „lebensthütige Eingreifen" sollte sich sofort bewähren. Verordnungen
und Circularschreiben der Regierungspräsidenten, worin die Beamten und selbst
die untersten Schichten der Amts- und Kanzleibediensteten wiederholt, unter
drohenden Mahnungen aufgefordert wurden, amtlich wie außeramtlich darauf
hinzuwirken, daß nur conservative Männer gewählt würden, erfüllten die
nächsten Wochen. In Erlassen gleichen Sinnes scharfem sämmtliche Bischöfe
und evangelische Kirchenbehörden der Weltgeistlichkcit und den Pfarrern ein,
daß ein wesentlicher Theil ihres Seclenhirtenamtes in der Sorge für die Wahl
gouvernemental gesinnter Abgeordneten bestehe. Den Offizieren ward durch
ein Kricgsministerialrescript die Theilnahme an den Wahlen kurzweg untersagt,
weil sie von dem 1348 geleisteten Vcrfassungseid entbunden worden seien,
jeder Wähler aber auf diesen Eid verpflichtet sei. Da die Zeitungen diese
und ähnliche Thatsachen blos unter äußerst vorsichtigen Formen an die Oeffent-
lichkeit stellten, und ihre Zweifel, ob auf diese Weise das Staatsgrundgesetz
eingehalten werde, welches jede amtliche Einwirkung auf die Abgeordneten¬
wahlen ausdrücklich untersagt, nicht einmal äußern durften, so bekam das
»deutsche Ausland" natürlich keinen Begriff davon, in welcher Weise ein sol¬
ches „lebensthätiges Eingreifen der Regierung" die „Interessen des Landes
und 'seiner Bewohner nur in wohlthätigster und erfreulichster Weise fördern"


GrcnzbiNen IV. 1853. 17
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/137>, abgerufen am 05.07.2024.