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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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nommer, welcher Gesetzes- und Rechtsschutz forderte gegen die administrative
Willkür, womit die rheinpfälzische Kreisregierung über tausend unbescholtene
Männer, welche "eine Stütze' der Ordnung gewesen, als alles erschüttert war",
von den Gemeinderäthen ausgeschlossen hatte. Weiter hatte die Negierung
ihre Nachforderungen für die außerordentlichen Militärkosten der kurhessischen
Expedition zurückziehn müssen, um'selbst nur mit einiger Hoffnung auf Ge¬
währung der Creditfordcruug von 15 Millionen Thalern hervortreten zu können,
womit "die Vorbereitungen für die Bcrcithaltung der Armee zur Movilisirung"
getroffen werden sollten. Denn unter deu damaligen orientalischen Kriegs¬
verhältnissen erachtete es Herr v. d. Pfordten für eine "Pflicht Baierns und
Deutschlands, diejenigen Vorbereitungen zu treffen, ohne welche den Ereig¬
nissen nicht beruhigt entgegengesehen werden könne." Man möge sich dabei
erinnern, daß Baiern damals mit an der Spitze der bcunberger Politik und
Coalition stand.

Daß bei solchen Ruck-, An- und Aussichten dem Ministerium v. d. Pfordten
die Annahme des oben erwähnten Wahlgesetzes sehr erwünscht gewesen
wäre, kann gewiß nicht bezweifelt werden. Dagegen meinte die Kammer,
welche sich auf ihre sechsjährige treue, folgsame und ehrliche Dienstleistung be¬
rief, der neue Wahlgesetzentwurf sei wie ein schlechtes Leumundszeugniß sür
sie, dessen Mitunterzeichnung ihr doch nicht zugemuthet werden könne. Neben¬
bei bemerkte sie, die Negierung verfahre sich damit in allerlei Inconsequenzen
ihrer früheren "unumstößlichen Principe" und "heiligsten Ueberzeugungen",
weil sie ihrem eignen Gesetz über Judenemancipation durch die Wahlbestim¬
mungen ins Gesicht schlagen und nur in privilegirten Ständen die moralisch,
politisch und intellectuell fähigen Vertreter des Landes erblicken wolle. Man
bemerkte gehorsamst, wolle die Negierung die Constitution umstoßen, so möge
sie die Kammer auflösen und ein neues Wahlgesetz octroyiren, allein der
jetzigen Landesvertretung. die sich auf ihr gutes Gewisse" berufe, möge sie
nicht zumuthen, den Ursprung ihres eignen Maubads zu verleugnen. Der
Gesetzentwurf ward verworfen/

Diese Aeußerung der loyalitätsbewußten Landesvertrcter wurde von der
Negierung in gutem Gedächtniß bewahrt. Noch bevor daraus die Konsequenz
der Verwerfung der Wahlgesetzvorlage erwuchs, erhielt die Kammer eine Be¬
lehrung über ihre Hinweisungen auf angebliche Inconsequenzen der Regie¬
rung, eine Art von Programm der innern Politik des Herrn v. d. Pfordten.
M^n könne -- sagte der beredte Staatsmann -- bequem auf Consequenz
pichen, so lange man in der Minorität sei. Damit schien er eigentlich blos
auf die Minorität der Macht hindeuten zu wollen, denn diesmal war die
Negierung in der Minorität der Meinungen, und er fuhr dennoch fort: Die
Regierung, im Sturm der Revolution ans Ruder gekommen, habe nur ihr


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nommer, welcher Gesetzes- und Rechtsschutz forderte gegen die administrative
Willkür, womit die rheinpfälzische Kreisregierung über tausend unbescholtene
Männer, welche „eine Stütze' der Ordnung gewesen, als alles erschüttert war",
von den Gemeinderäthen ausgeschlossen hatte. Weiter hatte die Negierung
ihre Nachforderungen für die außerordentlichen Militärkosten der kurhessischen
Expedition zurückziehn müssen, um'selbst nur mit einiger Hoffnung auf Ge¬
währung der Creditfordcruug von 15 Millionen Thalern hervortreten zu können,
womit „die Vorbereitungen für die Bcrcithaltung der Armee zur Movilisirung"
getroffen werden sollten. Denn unter deu damaligen orientalischen Kriegs¬
verhältnissen erachtete es Herr v. d. Pfordten für eine „Pflicht Baierns und
Deutschlands, diejenigen Vorbereitungen zu treffen, ohne welche den Ereig¬
nissen nicht beruhigt entgegengesehen werden könne." Man möge sich dabei
erinnern, daß Baiern damals mit an der Spitze der bcunberger Politik und
Coalition stand.

Daß bei solchen Ruck-, An- und Aussichten dem Ministerium v. d. Pfordten
die Annahme des oben erwähnten Wahlgesetzes sehr erwünscht gewesen
wäre, kann gewiß nicht bezweifelt werden. Dagegen meinte die Kammer,
welche sich auf ihre sechsjährige treue, folgsame und ehrliche Dienstleistung be¬
rief, der neue Wahlgesetzentwurf sei wie ein schlechtes Leumundszeugniß sür
sie, dessen Mitunterzeichnung ihr doch nicht zugemuthet werden könne. Neben¬
bei bemerkte sie, die Negierung verfahre sich damit in allerlei Inconsequenzen
ihrer früheren „unumstößlichen Principe" und „heiligsten Ueberzeugungen",
weil sie ihrem eignen Gesetz über Judenemancipation durch die Wahlbestim¬
mungen ins Gesicht schlagen und nur in privilegirten Ständen die moralisch,
politisch und intellectuell fähigen Vertreter des Landes erblicken wolle. Man
bemerkte gehorsamst, wolle die Negierung die Constitution umstoßen, so möge
sie die Kammer auflösen und ein neues Wahlgesetz octroyiren, allein der
jetzigen Landesvertretung. die sich auf ihr gutes Gewisse» berufe, möge sie
nicht zumuthen, den Ursprung ihres eignen Maubads zu verleugnen. Der
Gesetzentwurf ward verworfen/

Diese Aeußerung der loyalitätsbewußten Landesvertrcter wurde von der
Negierung in gutem Gedächtniß bewahrt. Noch bevor daraus die Konsequenz
der Verwerfung der Wahlgesetzvorlage erwuchs, erhielt die Kammer eine Be¬
lehrung über ihre Hinweisungen auf angebliche Inconsequenzen der Regie¬
rung, eine Art von Programm der innern Politik des Herrn v. d. Pfordten.
M^n könne — sagte der beredte Staatsmann — bequem auf Consequenz
pichen, so lange man in der Minorität sei. Damit schien er eigentlich blos
auf die Minorität der Macht hindeuten zu wollen, denn diesmal war die
Negierung in der Minorität der Meinungen, und er fuhr dennoch fort: Die
Regierung, im Sturm der Revolution ans Ruder gekommen, habe nur ihr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/131>, abgerufen am 02.07.2024.