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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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Schulung, In der Gegenwart, wo die Maler gewöhnlich nur eine dilcttan-
tcnhafte Erziehung genießen, ist die letztere blos ausnahmsweise noch anzu¬
treffen. Unausstehlich erscheint uns an den Werken des vorigen Jahrhunderts
der Mangel an ernster Auffassung, das frivole Spiel mit den Motiven, deren
wahre Natur ohne subjectiven Beigeschmack zu verkörpern keinem in den
Sinn kam, widerlich wirkt die gezierte, verzwickte Formengebung, die weder
naiv an die Wirklichkeit sich anschließt, noch von reinem idealen Sinn ge-
ragen auf die ewigen Grundformen menschlicher Erscheinungsweise zurückgeht,
sondern mit der Wiedergabe abgegriffener conventioneller Typen sich begnügt.
Die Reaction dagegen war in einer Zeit, wo Gluck auf musikalischen, Winckel-
mann, Lessing, Diderot auf literarischen Gebiete den Kampf gegen das Con-
ventionelle im Interesse der charakteristischen Wahrheit und einfachen Schön¬
heit schon siegreich eingeleitet hatten, unausbleiblich. Sie konnte so bewirkt
werden, daß man den Gedankengehalt in den Kunstwerken änderte, das stoff¬
liche Interesse an den Motiven hervorsuchte, das Nationale und Volksthüm-
liche betonte. Es wäre dadurch Ernst und Kraft in die künstlerischen Gedanken,
strengere Wahrheit in die Formen gekommen. Oder man beseitigte blos das
Symptom der Krankheit und setzte an die Stelle der conventionellen, gemach¬
ten Typen wahrhaft ideale, wobei man zwar auf die innigere Theilnahme
des Volkes verzichten mußte, aber in das Formelle der Kunst ein mächtiges
Element der Bewegung und Entwicklung hineinwarf. Eine Zeichnung des älteren
Tischbein: Götz von Berlichingen -- vielleicht die älteste künstlerische Illustra¬
tion, die Goethes Werke erfuhren -- deutet an, daß man auch den ersten
Weg versuchte und einen nationalen Gehalt, ein unmittelbar stoffliches Inter¬
esse der Malerei einverleiben wollte. Es blieb jedoch bei dem bloßen Ver¬
such. Weltbekannte Verhältnisse empfahlen in der Poesie wie in der bilden¬
den Kunst die Flucht aus der Wirklichkeit und ließen für die Correctur des
Zopfgeschmackes blos den zweiten Weg offen.

Carstens Verdienst besteht übrigens nicht blos in dem ernsten und tieferen
Rückgange auf das antike Formengerüst. Die Antike ist für ihn nichts Aeußer-
liches, kein fremdes Gewand, in welches er erst nachträglich seine Phantasie-
gebilde einhüllt. Seine ganze Natur ist plastisch angelegt, auch durch seine
leisesten Empfindungen klingt jener unendliche Wohllaut, für welchem nur die
Antike den entsprechenden Ausdruck besitzt. Goethes Liebe zu Carstens, der
wir die Erhaltung der Werke des letzteren vorzugsweise zu danken haben, und
welche auch die Bestrebungen der Weimarer Kunstfreunde grundsätzlich bestimmte
-- die Spuren derselben sind leider auf der Münchner Ausstellung nicht zu
'erblicken -- ruht auf innerer Wahlverwandtschaft, die Verhältnisse, welche die
Wandlungen des Dichters erklären, sind auch für Carstens Entwicklung ma߬
gebend geworden.


Schulung, In der Gegenwart, wo die Maler gewöhnlich nur eine dilcttan-
tcnhafte Erziehung genießen, ist die letztere blos ausnahmsweise noch anzu¬
treffen. Unausstehlich erscheint uns an den Werken des vorigen Jahrhunderts
der Mangel an ernster Auffassung, das frivole Spiel mit den Motiven, deren
wahre Natur ohne subjectiven Beigeschmack zu verkörpern keinem in den
Sinn kam, widerlich wirkt die gezierte, verzwickte Formengebung, die weder
naiv an die Wirklichkeit sich anschließt, noch von reinem idealen Sinn ge-
ragen auf die ewigen Grundformen menschlicher Erscheinungsweise zurückgeht,
sondern mit der Wiedergabe abgegriffener conventioneller Typen sich begnügt.
Die Reaction dagegen war in einer Zeit, wo Gluck auf musikalischen, Winckel-
mann, Lessing, Diderot auf literarischen Gebiete den Kampf gegen das Con-
ventionelle im Interesse der charakteristischen Wahrheit und einfachen Schön¬
heit schon siegreich eingeleitet hatten, unausbleiblich. Sie konnte so bewirkt
werden, daß man den Gedankengehalt in den Kunstwerken änderte, das stoff¬
liche Interesse an den Motiven hervorsuchte, das Nationale und Volksthüm-
liche betonte. Es wäre dadurch Ernst und Kraft in die künstlerischen Gedanken,
strengere Wahrheit in die Formen gekommen. Oder man beseitigte blos das
Symptom der Krankheit und setzte an die Stelle der conventionellen, gemach¬
ten Typen wahrhaft ideale, wobei man zwar auf die innigere Theilnahme
des Volkes verzichten mußte, aber in das Formelle der Kunst ein mächtiges
Element der Bewegung und Entwicklung hineinwarf. Eine Zeichnung des älteren
Tischbein: Götz von Berlichingen — vielleicht die älteste künstlerische Illustra¬
tion, die Goethes Werke erfuhren — deutet an, daß man auch den ersten
Weg versuchte und einen nationalen Gehalt, ein unmittelbar stoffliches Inter¬
esse der Malerei einverleiben wollte. Es blieb jedoch bei dem bloßen Ver¬
such. Weltbekannte Verhältnisse empfahlen in der Poesie wie in der bilden¬
den Kunst die Flucht aus der Wirklichkeit und ließen für die Correctur des
Zopfgeschmackes blos den zweiten Weg offen.

Carstens Verdienst besteht übrigens nicht blos in dem ernsten und tieferen
Rückgange auf das antike Formengerüst. Die Antike ist für ihn nichts Aeußer-
liches, kein fremdes Gewand, in welches er erst nachträglich seine Phantasie-
gebilde einhüllt. Seine ganze Natur ist plastisch angelegt, auch durch seine
leisesten Empfindungen klingt jener unendliche Wohllaut, für welchem nur die
Antike den entsprechenden Ausdruck besitzt. Goethes Liebe zu Carstens, der
wir die Erhaltung der Werke des letzteren vorzugsweise zu danken haben, und
welche auch die Bestrebungen der Weimarer Kunstfreunde grundsätzlich bestimmte
— die Spuren derselben sind leider auf der Münchner Ausstellung nicht zu
'erblicken — ruht auf innerer Wahlverwandtschaft, die Verhältnisse, welche die
Wandlungen des Dichters erklären, sind auch für Carstens Entwicklung ma߬
gebend geworden.


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[0013] Schulung, In der Gegenwart, wo die Maler gewöhnlich nur eine dilcttan- tcnhafte Erziehung genießen, ist die letztere blos ausnahmsweise noch anzu¬ treffen. Unausstehlich erscheint uns an den Werken des vorigen Jahrhunderts der Mangel an ernster Auffassung, das frivole Spiel mit den Motiven, deren wahre Natur ohne subjectiven Beigeschmack zu verkörpern keinem in den Sinn kam, widerlich wirkt die gezierte, verzwickte Formengebung, die weder naiv an die Wirklichkeit sich anschließt, noch von reinem idealen Sinn ge- ragen auf die ewigen Grundformen menschlicher Erscheinungsweise zurückgeht, sondern mit der Wiedergabe abgegriffener conventioneller Typen sich begnügt. Die Reaction dagegen war in einer Zeit, wo Gluck auf musikalischen, Winckel- mann, Lessing, Diderot auf literarischen Gebiete den Kampf gegen das Con- ventionelle im Interesse der charakteristischen Wahrheit und einfachen Schön¬ heit schon siegreich eingeleitet hatten, unausbleiblich. Sie konnte so bewirkt werden, daß man den Gedankengehalt in den Kunstwerken änderte, das stoff¬ liche Interesse an den Motiven hervorsuchte, das Nationale und Volksthüm- liche betonte. Es wäre dadurch Ernst und Kraft in die künstlerischen Gedanken, strengere Wahrheit in die Formen gekommen. Oder man beseitigte blos das Symptom der Krankheit und setzte an die Stelle der conventionellen, gemach¬ ten Typen wahrhaft ideale, wobei man zwar auf die innigere Theilnahme des Volkes verzichten mußte, aber in das Formelle der Kunst ein mächtiges Element der Bewegung und Entwicklung hineinwarf. Eine Zeichnung des älteren Tischbein: Götz von Berlichingen — vielleicht die älteste künstlerische Illustra¬ tion, die Goethes Werke erfuhren — deutet an, daß man auch den ersten Weg versuchte und einen nationalen Gehalt, ein unmittelbar stoffliches Inter¬ esse der Malerei einverleiben wollte. Es blieb jedoch bei dem bloßen Ver¬ such. Weltbekannte Verhältnisse empfahlen in der Poesie wie in der bilden¬ den Kunst die Flucht aus der Wirklichkeit und ließen für die Correctur des Zopfgeschmackes blos den zweiten Weg offen. Carstens Verdienst besteht übrigens nicht blos in dem ernsten und tieferen Rückgange auf das antike Formengerüst. Die Antike ist für ihn nichts Aeußer- liches, kein fremdes Gewand, in welches er erst nachträglich seine Phantasie- gebilde einhüllt. Seine ganze Natur ist plastisch angelegt, auch durch seine leisesten Empfindungen klingt jener unendliche Wohllaut, für welchem nur die Antike den entsprechenden Ausdruck besitzt. Goethes Liebe zu Carstens, der wir die Erhaltung der Werke des letzteren vorzugsweise zu danken haben, und welche auch die Bestrebungen der Weimarer Kunstfreunde grundsätzlich bestimmte — die Spuren derselben sind leider auf der Münchner Ausstellung nicht zu 'erblicken — ruht auf innerer Wahlverwandtschaft, die Verhältnisse, welche die Wandlungen des Dichters erklären, sind auch für Carstens Entwicklung ma߬ gebend geworden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/13>, abgerufen am 01.10.2024.