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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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den Idealisten beizählen, von den ältern Anhängern dieser Nichmng wahr¬
scheinlich mit demselben Spottnamen beschenkt werden, den David für den
"Gemüsehändler" Ruysdael bereithiclt. Hat sich ihre poetische Kraft ab¬
geschwächt, weil sie nicht wie die Landschaftsmaler der ältern Generation harte
Umrisse stehen lassen, nicht jede Form.scharf abgrenzen und mit trockener Deut--
lichkeit die Structur der Landschaft schildern? Daß dort die einzelnen Motive
die Spuren der Erfindung kräftiger offenbaren, kann nicht füglich als größeres
Verdienst hervorgehoben werden, da ja dieselbe im Wesentlichen auch nur
eine Reproduction früher geschauter Naturformen ist und das Hineintragen
von charakteristischen Empfindungen und symbolischen Beziehungen in die letz¬
teren bei sogenannten Stimmungsbildern gleichfalls vorkommt. Nur bleibt
hier dieses Geschäft dem Beschauer überlassen, während in den stilisirten Land¬
schaften der Künstler selbst dies thut.

Schlimm wäre es um die poetische Bedeutung eiuer Landschaft bestellt,
wenn erst die Staffage über ihren Charakter Aufschluß gäbe und jedenfalls
gereicht es z. B. den vier biblischen Landschaften Schirmers, welche die Ge¬
schichte des barmherzigen Samariters erzählen-, nicht zum Schaden, daß sie
auch an und für sich eine große Wirkungskraft üben und das Gemüth des
Beschauers sich angezogen fühlt von der charakteristischen Schilderung des fri¬
schen, zur Wanderung in die Ferne reizenden Morgens, der schwülen Mittags¬
luft und des friedlichen/zur Ruhe einladenden Abends, der dem Ermüdeten
Erquickung gewährt, ähnlich wie der Samaritaner durch seinen Balsam dem
Verwundeten Labsal spendet. Daß es nicht unumgänglich symbolischer Be¬
ziehungen bedarf, um eine Landschaft poetisch zu gestalten, beweist Schirmer
selbst, dessen Bilder: Ein Sonnenblick vor dem Regen und Überschwemmung
nicht blos durch die Wahrheit der Darstellung auffallen, sondern auch durch
die tiefe Empfindung entzücken, und von vielen über seine biblischen (in Oel
gemalten) Landschaften, von allen diesen gleichgestellt werden dürsten. Ob
Schirmer seine großen Erfolge den von ihm befolgten allgemeinen Grund¬
sätzen oder der durch einen reichen Studienkreis erworbenen Formen- und
Farbenkenntniß verdanke, wird von verschiedenen Seiten verschieden beantwortet
werden, an der Thatsache selbst wird niemand zweifeln.

Wären alle bedeutenderen Landschaftsmaler nur annähernd so vollständig
in München vertreten, wie Schirmer, so würde nicht allein die Erkenntniß
der mannigfachen Wandlungen unserer Kunst an Tiefe gewonnen, sondern
"und mancher Streitpunkt seine Erledigung gefunden haben. Leider sind grade
"uf diesem Gebiet die größten Lücken bemerkbar. Am meisten zu beklagen
ist die gänzliche Abwesenheit Lessingscher Landschaften, die einen so großen
Einfluß auf die Richtung der düsseldorfer Schule gewonnen haben, wenn sie
auch gegenwärtig mehr als den Reiz der Neuheit einbüßten. Auch die andern


den Idealisten beizählen, von den ältern Anhängern dieser Nichmng wahr¬
scheinlich mit demselben Spottnamen beschenkt werden, den David für den
„Gemüsehändler" Ruysdael bereithiclt. Hat sich ihre poetische Kraft ab¬
geschwächt, weil sie nicht wie die Landschaftsmaler der ältern Generation harte
Umrisse stehen lassen, nicht jede Form.scharf abgrenzen und mit trockener Deut--
lichkeit die Structur der Landschaft schildern? Daß dort die einzelnen Motive
die Spuren der Erfindung kräftiger offenbaren, kann nicht füglich als größeres
Verdienst hervorgehoben werden, da ja dieselbe im Wesentlichen auch nur
eine Reproduction früher geschauter Naturformen ist und das Hineintragen
von charakteristischen Empfindungen und symbolischen Beziehungen in die letz¬
teren bei sogenannten Stimmungsbildern gleichfalls vorkommt. Nur bleibt
hier dieses Geschäft dem Beschauer überlassen, während in den stilisirten Land¬
schaften der Künstler selbst dies thut.

Schlimm wäre es um die poetische Bedeutung eiuer Landschaft bestellt,
wenn erst die Staffage über ihren Charakter Aufschluß gäbe und jedenfalls
gereicht es z. B. den vier biblischen Landschaften Schirmers, welche die Ge¬
schichte des barmherzigen Samariters erzählen-, nicht zum Schaden, daß sie
auch an und für sich eine große Wirkungskraft üben und das Gemüth des
Beschauers sich angezogen fühlt von der charakteristischen Schilderung des fri¬
schen, zur Wanderung in die Ferne reizenden Morgens, der schwülen Mittags¬
luft und des friedlichen/zur Ruhe einladenden Abends, der dem Ermüdeten
Erquickung gewährt, ähnlich wie der Samaritaner durch seinen Balsam dem
Verwundeten Labsal spendet. Daß es nicht unumgänglich symbolischer Be¬
ziehungen bedarf, um eine Landschaft poetisch zu gestalten, beweist Schirmer
selbst, dessen Bilder: Ein Sonnenblick vor dem Regen und Überschwemmung
nicht blos durch die Wahrheit der Darstellung auffallen, sondern auch durch
die tiefe Empfindung entzücken, und von vielen über seine biblischen (in Oel
gemalten) Landschaften, von allen diesen gleichgestellt werden dürsten. Ob
Schirmer seine großen Erfolge den von ihm befolgten allgemeinen Grund¬
sätzen oder der durch einen reichen Studienkreis erworbenen Formen- und
Farbenkenntniß verdanke, wird von verschiedenen Seiten verschieden beantwortet
werden, an der Thatsache selbst wird niemand zweifeln.

Wären alle bedeutenderen Landschaftsmaler nur annähernd so vollständig
in München vertreten, wie Schirmer, so würde nicht allein die Erkenntniß
der mannigfachen Wandlungen unserer Kunst an Tiefe gewonnen, sondern
"und mancher Streitpunkt seine Erledigung gefunden haben. Leider sind grade
"uf diesem Gebiet die größten Lücken bemerkbar. Am meisten zu beklagen
ist die gänzliche Abwesenheit Lessingscher Landschaften, die einen so großen
Einfluß auf die Richtung der düsseldorfer Schule gewonnen haben, wenn sie
auch gegenwärtig mehr als den Reiz der Neuheit einbüßten. Auch die andern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/125>, abgerufen am 06.02.2025.