Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eine kalte Sauberkeit der Durchführung, für welche holländische Hausfrauen,
nicht aber die alten holländischen Maler das Vorbild geliefert haben mögen,
und was das Aergste ist, eine falsche Koketterie der Charakteristik, die alle'
naive Wahrheit zerstört.

Wir werfen Riedel, Pollack, Amerling und andern das Gleißnensche in
ihren Charakterfiguren vor. Riedels Fischersamilie. Amerlings schlafende Kinder
sind vom Kopf bis zur Zehe erlogen, und werden darin höchstens von Pollacks
berühmten Hirtenknaben in der Campagna. bei Porzcllanmalcrn ebenso beliebt,
wie ohne Rubens Ave Maria lebende Bilder gar nicht gestellt werden können,
übertroffen. Schade, daß dieser Hirtenknabe uns in der Münchner Ausstellung
nicht vorgeführt wird. Zur Beurtheilung der Kunstzustände der dreißiger Jahre
bietet er einen wichtigen Anhaltepunkt. Nur die große Vernachlässigung der
malerischen Form in jenen Tagen erklärt es, daß man sich von jenem ober¬
flächlichen Schein blenden ließ, seelenlose Glätte und triviale Farbeneffecte
für Anmuth und Fnrbenpvcsie nahm. Es wäre gar nicht wunderbar, wenn
in Kunstbcrichten aus jener Zeit von einem wiedergeborenen Murillo gesprochen,
ja Pollack und Riedel vielleicht der Vorzug vor dem spanischen Meister ein¬
geräumt worden wäre. Heutzutage übt man eine lobenswerthe Vorsicht in
der Crthcilung solcher Complimente. Man sollte aber auch Billigkeit üben,
und wenn man gegen jene Maler den Vorwurf erhebt, daß sie das Sybantcn-
thum fördern, die auch sonst weit verbreitete Unart nicht unerwähnt lassen,
durch eine glatte Eleganz den Mangel an individueller Charakteristik und nai¬
ver Wahrheit ersetzen zu wollen. Schöns Alpcnmädchen, Meyerheims Mutter
und Kinder, Waldmüllers Bauern, sind gleichfalls nur zierlich geputzte Puppen,
die allem andern eher entsprechen, als dem Titel, den sie führen: Lebens- und
Volksbild. Und diesen Mustern eifern gar viele Künstler nach, dieser Richtung
wird noch in gebildeten Kreisen, als wäre sie die Vollendung des Malnischen,
gehuldigt!

Gar wohlthuend wirkt auf diese gemalten Gassenhauer die Anschauung
einiger harmloser Genrezeichnungcn. die aber das Verdienst individuellen Aus¬
drucks, voller Charakterwahrhcit und lebendiger Schönheit besitzen. Die eine
hat nach dem Katalog einen sonst unbekannten August Richter in Dresden
zum Schöpfer, die andere rührt von Grünewald in München (wenn mir
nicht irren, einem Würtenberger) her. Von Richters Composition gibt viel¬
leicht die Bezeichnung, sie bilde das nordische Gegenstück zu Leopold Roberts
Schnittern, den besten Begriff. Richters Erntczug entwickelt natürlich die
Züge bacchischer Freude in geringerem Grade. Die einzelnen Gestalten fesseln
nicht durch die plastische Formenschönheit. Ueber die ganze Gruppe, voran
die Schnitter, auf dem hohen von Ochsen gezogenen Fruchtwagen der Haus¬
vater mit seiner Familie, Hintennach-das jubelnde Gesinde, lagert sich aber


15"

eine kalte Sauberkeit der Durchführung, für welche holländische Hausfrauen,
nicht aber die alten holländischen Maler das Vorbild geliefert haben mögen,
und was das Aergste ist, eine falsche Koketterie der Charakteristik, die alle'
naive Wahrheit zerstört.

Wir werfen Riedel, Pollack, Amerling und andern das Gleißnensche in
ihren Charakterfiguren vor. Riedels Fischersamilie. Amerlings schlafende Kinder
sind vom Kopf bis zur Zehe erlogen, und werden darin höchstens von Pollacks
berühmten Hirtenknaben in der Campagna. bei Porzcllanmalcrn ebenso beliebt,
wie ohne Rubens Ave Maria lebende Bilder gar nicht gestellt werden können,
übertroffen. Schade, daß dieser Hirtenknabe uns in der Münchner Ausstellung
nicht vorgeführt wird. Zur Beurtheilung der Kunstzustände der dreißiger Jahre
bietet er einen wichtigen Anhaltepunkt. Nur die große Vernachlässigung der
malerischen Form in jenen Tagen erklärt es, daß man sich von jenem ober¬
flächlichen Schein blenden ließ, seelenlose Glätte und triviale Farbeneffecte
für Anmuth und Fnrbenpvcsie nahm. Es wäre gar nicht wunderbar, wenn
in Kunstbcrichten aus jener Zeit von einem wiedergeborenen Murillo gesprochen,
ja Pollack und Riedel vielleicht der Vorzug vor dem spanischen Meister ein¬
geräumt worden wäre. Heutzutage übt man eine lobenswerthe Vorsicht in
der Crthcilung solcher Complimente. Man sollte aber auch Billigkeit üben,
und wenn man gegen jene Maler den Vorwurf erhebt, daß sie das Sybantcn-
thum fördern, die auch sonst weit verbreitete Unart nicht unerwähnt lassen,
durch eine glatte Eleganz den Mangel an individueller Charakteristik und nai¬
ver Wahrheit ersetzen zu wollen. Schöns Alpcnmädchen, Meyerheims Mutter
und Kinder, Waldmüllers Bauern, sind gleichfalls nur zierlich geputzte Puppen,
die allem andern eher entsprechen, als dem Titel, den sie führen: Lebens- und
Volksbild. Und diesen Mustern eifern gar viele Künstler nach, dieser Richtung
wird noch in gebildeten Kreisen, als wäre sie die Vollendung des Malnischen,
gehuldigt!

Gar wohlthuend wirkt auf diese gemalten Gassenhauer die Anschauung
einiger harmloser Genrezeichnungcn. die aber das Verdienst individuellen Aus¬
drucks, voller Charakterwahrhcit und lebendiger Schönheit besitzen. Die eine
hat nach dem Katalog einen sonst unbekannten August Richter in Dresden
zum Schöpfer, die andere rührt von Grünewald in München (wenn mir
nicht irren, einem Würtenberger) her. Von Richters Composition gibt viel¬
leicht die Bezeichnung, sie bilde das nordische Gegenstück zu Leopold Roberts
Schnittern, den besten Begriff. Richters Erntczug entwickelt natürlich die
Züge bacchischer Freude in geringerem Grade. Die einzelnen Gestalten fesseln
nicht durch die plastische Formenschönheit. Ueber die ganze Gruppe, voran
die Schnitter, auf dem hohen von Ochsen gezogenen Fruchtwagen der Haus¬
vater mit seiner Familie, Hintennach-das jubelnde Gesinde, lagert sich aber


15"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0123" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/265932"/>
            <p xml:id="ID_293" prev="#ID_292"> eine kalte Sauberkeit der Durchführung, für welche holländische Hausfrauen,<lb/>
nicht aber die alten holländischen Maler das Vorbild geliefert haben mögen,<lb/>
und was das Aergste ist, eine falsche Koketterie der Charakteristik, die alle'<lb/>
naive Wahrheit zerstört.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_294"> Wir werfen Riedel, Pollack, Amerling und andern das Gleißnensche in<lb/>
ihren Charakterfiguren vor. Riedels Fischersamilie. Amerlings schlafende Kinder<lb/>
sind vom Kopf bis zur Zehe erlogen, und werden darin höchstens von Pollacks<lb/>
berühmten Hirtenknaben in der Campagna. bei Porzcllanmalcrn ebenso beliebt,<lb/>
wie ohne Rubens Ave Maria lebende Bilder gar nicht gestellt werden können,<lb/>
übertroffen. Schade, daß dieser Hirtenknabe uns in der Münchner Ausstellung<lb/>
nicht vorgeführt wird. Zur Beurtheilung der Kunstzustände der dreißiger Jahre<lb/>
bietet er einen wichtigen Anhaltepunkt. Nur die große Vernachlässigung der<lb/>
malerischen Form in jenen Tagen erklärt es, daß man sich von jenem ober¬<lb/>
flächlichen Schein blenden ließ, seelenlose Glätte und triviale Farbeneffecte<lb/>
für Anmuth und Fnrbenpvcsie nahm. Es wäre gar nicht wunderbar, wenn<lb/>
in Kunstbcrichten aus jener Zeit von einem wiedergeborenen Murillo gesprochen,<lb/>
ja Pollack und Riedel vielleicht der Vorzug vor dem spanischen Meister ein¬<lb/>
geräumt worden wäre. Heutzutage übt man eine lobenswerthe Vorsicht in<lb/>
der Crthcilung solcher Complimente. Man sollte aber auch Billigkeit üben,<lb/>
und wenn man gegen jene Maler den Vorwurf erhebt, daß sie das Sybantcn-<lb/>
thum fördern, die auch sonst weit verbreitete Unart nicht unerwähnt lassen,<lb/>
durch eine glatte Eleganz den Mangel an individueller Charakteristik und nai¬<lb/>
ver Wahrheit ersetzen zu wollen. Schöns Alpcnmädchen, Meyerheims Mutter<lb/>
und Kinder, Waldmüllers Bauern, sind gleichfalls nur zierlich geputzte Puppen,<lb/>
die allem andern eher entsprechen, als dem Titel, den sie führen: Lebens- und<lb/>
Volksbild. Und diesen Mustern eifern gar viele Künstler nach, dieser Richtung<lb/>
wird noch in gebildeten Kreisen, als wäre sie die Vollendung des Malnischen,<lb/>
gehuldigt!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_295" next="#ID_296"> Gar wohlthuend wirkt auf diese gemalten Gassenhauer die Anschauung<lb/>
einiger harmloser Genrezeichnungcn. die aber das Verdienst individuellen Aus¬<lb/>
drucks, voller Charakterwahrhcit und lebendiger Schönheit besitzen. Die eine<lb/>
hat nach dem Katalog einen sonst unbekannten August Richter in Dresden<lb/>
zum Schöpfer, die andere rührt von Grünewald in München (wenn mir<lb/>
nicht irren, einem Würtenberger) her. Von Richters Composition gibt viel¬<lb/>
leicht die Bezeichnung, sie bilde das nordische Gegenstück zu Leopold Roberts<lb/>
Schnittern, den besten Begriff. Richters Erntczug entwickelt natürlich die<lb/>
Züge bacchischer Freude in geringerem Grade. Die einzelnen Gestalten fesseln<lb/>
nicht durch die plastische Formenschönheit. Ueber die ganze Gruppe, voran<lb/>
die Schnitter, auf dem hohen von Ochsen gezogenen Fruchtwagen der Haus¬<lb/>
vater mit seiner Familie, Hintennach-das jubelnde Gesinde, lagert sich aber</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 15"</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0123] eine kalte Sauberkeit der Durchführung, für welche holländische Hausfrauen, nicht aber die alten holländischen Maler das Vorbild geliefert haben mögen, und was das Aergste ist, eine falsche Koketterie der Charakteristik, die alle' naive Wahrheit zerstört. Wir werfen Riedel, Pollack, Amerling und andern das Gleißnensche in ihren Charakterfiguren vor. Riedels Fischersamilie. Amerlings schlafende Kinder sind vom Kopf bis zur Zehe erlogen, und werden darin höchstens von Pollacks berühmten Hirtenknaben in der Campagna. bei Porzcllanmalcrn ebenso beliebt, wie ohne Rubens Ave Maria lebende Bilder gar nicht gestellt werden können, übertroffen. Schade, daß dieser Hirtenknabe uns in der Münchner Ausstellung nicht vorgeführt wird. Zur Beurtheilung der Kunstzustände der dreißiger Jahre bietet er einen wichtigen Anhaltepunkt. Nur die große Vernachlässigung der malerischen Form in jenen Tagen erklärt es, daß man sich von jenem ober¬ flächlichen Schein blenden ließ, seelenlose Glätte und triviale Farbeneffecte für Anmuth und Fnrbenpvcsie nahm. Es wäre gar nicht wunderbar, wenn in Kunstbcrichten aus jener Zeit von einem wiedergeborenen Murillo gesprochen, ja Pollack und Riedel vielleicht der Vorzug vor dem spanischen Meister ein¬ geräumt worden wäre. Heutzutage übt man eine lobenswerthe Vorsicht in der Crthcilung solcher Complimente. Man sollte aber auch Billigkeit üben, und wenn man gegen jene Maler den Vorwurf erhebt, daß sie das Sybantcn- thum fördern, die auch sonst weit verbreitete Unart nicht unerwähnt lassen, durch eine glatte Eleganz den Mangel an individueller Charakteristik und nai¬ ver Wahrheit ersetzen zu wollen. Schöns Alpcnmädchen, Meyerheims Mutter und Kinder, Waldmüllers Bauern, sind gleichfalls nur zierlich geputzte Puppen, die allem andern eher entsprechen, als dem Titel, den sie führen: Lebens- und Volksbild. Und diesen Mustern eifern gar viele Künstler nach, dieser Richtung wird noch in gebildeten Kreisen, als wäre sie die Vollendung des Malnischen, gehuldigt! Gar wohlthuend wirkt auf diese gemalten Gassenhauer die Anschauung einiger harmloser Genrezeichnungcn. die aber das Verdienst individuellen Aus¬ drucks, voller Charakterwahrhcit und lebendiger Schönheit besitzen. Die eine hat nach dem Katalog einen sonst unbekannten August Richter in Dresden zum Schöpfer, die andere rührt von Grünewald in München (wenn mir nicht irren, einem Würtenberger) her. Von Richters Composition gibt viel¬ leicht die Bezeichnung, sie bilde das nordische Gegenstück zu Leopold Roberts Schnittern, den besten Begriff. Richters Erntczug entwickelt natürlich die Züge bacchischer Freude in geringerem Grade. Die einzelnen Gestalten fesseln nicht durch die plastische Formenschönheit. Ueber die ganze Gruppe, voran die Schnitter, auf dem hohen von Ochsen gezogenen Fruchtwagen der Haus¬ vater mit seiner Familie, Hintennach-das jubelnde Gesinde, lagert sich aber 15"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/123
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/123>, abgerufen am 26.07.2024.