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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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vorzüglichen Duetten, wodurch er die schalen Zwischengesänge verdrängte, und
deren viele auch außerhalb der'Oper entstanden, sind sein größtes Verdienst.
Auch als Schriftsteller erließ er ein, von Chrysander zu hoch geschätztes Schrift¬
chen, in welchem die Begründung der Musik als Kunst und Wissenschaft dar-
gethan wird. Es läßt sich denken, daß Steffani sowol als Künstler, als
auch durch manches in seinem Betragen auf Händel vortheilhaft gewirkt hat.
Dieser kehrte bald nach England zurück; seine londoner Erlebnisse mannig¬
facher Art, der Erfolg seiner neuen Opern (mit dem Ertrag der ersten Abende
nahm Herr Swiney, der Director, Gelegenheit davon zu laufen) sein Leben
beim Grafen Burlington, sein wechselndes Verhältniß zum Hof, fügen sich
zu einem reich bewegten Lebensbild. Ein Ausspruch Popes, dem er bei
Burlington begegnete, ist interessant, Händel war ihm besonders als Deutscher
von Genie "ein Phänomen, welches er erklärt wünschte." Sein unmusikalisches
Ohr ließ ihn beim Anhören der feinsten englischen Klavierstücke sagen: es
nehme sie mit derselben Gleichgiltigkeit auf, wie die Melodien der Straßen¬
balladen.

Als König Georg nach Hannover ging, begleitete ihn Händel, und hier¬
her fällt die Composition der Brockesschen Passion, an der Keiser schon zum
Kirchencomponisten geworden war; Mattheson und Telemann bearbeiteten sie
gleichfalls. Der Text, den Winterseld im Auszug mittheilt, sucht an Geschmack¬
losigkeit und schwülstig phrasenhaftem Pathos seines Gleichen. Das Urtheil,
welches Chrysander bei Gelegenheit dieser Passion über Bach ausspricht, er¬
scheint beengt durch seine außerordentlichen Händelstudien, und die naturver¬
wandte Vorliebe für diesen Meister. Er sagt zwar ganz richtig, "es ist ein
müßiger Wunsch, wenn man dem einen das noch zugesellen möchte, was den
Hauptwerth des andern ausmacht;" aber es scheint auch fast ein müßiger Aus¬
spruch, daß Bach von den drei Elementen des Händelschen Kunstchnrakters
nur eins!, "die deutsche Frömmigkeit, den kirchlichen Sinn und Tiefsinn mit
einem Anflug subjectiver Mystik" in seinen Werken offenbart haben soll, aller¬
dings "in einer Innigkeit und Stärke, daß seine Schöpfungen über das Zeit¬
alter der Geschmacklosigkeit, in dem der Meister doch befangen blieb, und über
den Mangel gestaltenblldender Kraft ebenfalls zu unvergänglicher Dauer hinaus¬
gekommen sind." In der Passion hätte Bach, sagt Chrysander, einem pieti¬
stischen Prediger seiner Zeit um so viel naher gestanden, wie Händel den
historischen Passionsgestalten; Bibelwort, und Choral vertraten bei Bach die¬
jenige Gestalt, die bei Händel frei und ursprünglich wie eine neue Schöpfung
emporwuchs. "Hierin sehen wir den Fortgang von Händels Passion zu Bach,
namentlich zu dem Werke nach Matthäus, und später von Bachs Passionen
zu Händels Oratorien." Diese Rangordnung, welche einige der größten und
unmittelbarsten Werke Bachs zwischen ein noch ganz unentwickeltes Werk Hält-


vorzüglichen Duetten, wodurch er die schalen Zwischengesänge verdrängte, und
deren viele auch außerhalb der'Oper entstanden, sind sein größtes Verdienst.
Auch als Schriftsteller erließ er ein, von Chrysander zu hoch geschätztes Schrift¬
chen, in welchem die Begründung der Musik als Kunst und Wissenschaft dar-
gethan wird. Es läßt sich denken, daß Steffani sowol als Künstler, als
auch durch manches in seinem Betragen auf Händel vortheilhaft gewirkt hat.
Dieser kehrte bald nach England zurück; seine londoner Erlebnisse mannig¬
facher Art, der Erfolg seiner neuen Opern (mit dem Ertrag der ersten Abende
nahm Herr Swiney, der Director, Gelegenheit davon zu laufen) sein Leben
beim Grafen Burlington, sein wechselndes Verhältniß zum Hof, fügen sich
zu einem reich bewegten Lebensbild. Ein Ausspruch Popes, dem er bei
Burlington begegnete, ist interessant, Händel war ihm besonders als Deutscher
von Genie „ein Phänomen, welches er erklärt wünschte." Sein unmusikalisches
Ohr ließ ihn beim Anhören der feinsten englischen Klavierstücke sagen: es
nehme sie mit derselben Gleichgiltigkeit auf, wie die Melodien der Straßen¬
balladen.

Als König Georg nach Hannover ging, begleitete ihn Händel, und hier¬
her fällt die Composition der Brockesschen Passion, an der Keiser schon zum
Kirchencomponisten geworden war; Mattheson und Telemann bearbeiteten sie
gleichfalls. Der Text, den Winterseld im Auszug mittheilt, sucht an Geschmack¬
losigkeit und schwülstig phrasenhaftem Pathos seines Gleichen. Das Urtheil,
welches Chrysander bei Gelegenheit dieser Passion über Bach ausspricht, er¬
scheint beengt durch seine außerordentlichen Händelstudien, und die naturver¬
wandte Vorliebe für diesen Meister. Er sagt zwar ganz richtig, „es ist ein
müßiger Wunsch, wenn man dem einen das noch zugesellen möchte, was den
Hauptwerth des andern ausmacht;" aber es scheint auch fast ein müßiger Aus¬
spruch, daß Bach von den drei Elementen des Händelschen Kunstchnrakters
nur eins!, „die deutsche Frömmigkeit, den kirchlichen Sinn und Tiefsinn mit
einem Anflug subjectiver Mystik" in seinen Werken offenbart haben soll, aller¬
dings „in einer Innigkeit und Stärke, daß seine Schöpfungen über das Zeit¬
alter der Geschmacklosigkeit, in dem der Meister doch befangen blieb, und über
den Mangel gestaltenblldender Kraft ebenfalls zu unvergänglicher Dauer hinaus¬
gekommen sind." In der Passion hätte Bach, sagt Chrysander, einem pieti¬
stischen Prediger seiner Zeit um so viel naher gestanden, wie Händel den
historischen Passionsgestalten; Bibelwort, und Choral vertraten bei Bach die¬
jenige Gestalt, die bei Händel frei und ursprünglich wie eine neue Schöpfung
emporwuchs. „Hierin sehen wir den Fortgang von Händels Passion zu Bach,
namentlich zu dem Werke nach Matthäus, und später von Bachs Passionen
zu Händels Oratorien." Diese Rangordnung, welche einige der größten und
unmittelbarsten Werke Bachs zwischen ein noch ganz unentwickeltes Werk Hält-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/116>, abgerufen am 06.02.2025.