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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band.

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gewiesen waren. Als Pius IX. die Amnestie gab. veröffentlichte Azeglio den
Entwurf eines Programms für die öffentliche Meinung Italiens und im Ja¬
nuar darauf, nach den blutigen Auftritten in Mailand: die Kämpfe der Lom.
bardei. Als der Krieg erklärt war, nahm er den Degen in die Hand und
empfing bei Vicenza eine schwere Wunde. Wiederhergestellt kämpfte er in Tos-
cana vergeblich gegen die Revolution und ward, nach Turin zurückgekehrt, in
die Kammer gewählt. Im Mai 1849 berief der König Victor Emanuel ihn
als Ministerpräsidenten, und man dürfte wol sagen, daß sein Name allein ein
Programm war. Es war die erste Wendung zum Bessern. Genua ward durch
einen glücklichen Handstreich Lamarmoras unterworfen, der Friede mit Oestreich
unterzeichnet und mit der neugewählten Kammer der Weg ernster aber ruhigerer
Debatte betreten, die tumultuarischen Scenen erneuerten sich nicht mehr, sein
Ruf als Patriot und seine unangezweifelte Ehrenhaftigkeit gaben ihm das all¬
gemeine Vertraue". Der ideenreiche Schnftsteller, der feinsinnige Kunstlieb¬
haber zeigte sich als praktischer Staatsmann, er wußte zu warten und zur
rechten Zeit zu handeln, "zieht das Korn nicht an den Aehren," sagte er ein¬
mal, "ihr würdet es ausreißen und man müßie es nochmals säen." Wenig
bellen und oft beißen, erklärte er ein andermal als seinen Grundsatz. Als
er von seinem Posten zurücktrat, durfte er sich sagen, seinem Lande unschätz¬
bare Dienste geleistet zu haben.

An seine Stelle trat Graf Camillo Cavour. der kurz zuvor wegen einer
Differenz aus dem Cabinet geschieden war. Der europäische Ruf des Man¬
nes wird einige nähere Mittheilungen über ihn rechtfertigen. Aus alter Fa¬
milie entsprossen, war er wie Azeglio kein Freund vom Müßiggehen; sein scharfer
, Verstand warf sich aus die exacten Wissenschaften und Volkswirtschaft. Da
hierfür in Piemont unter dem alten Staatsw'eher kein Raum war, ging er
ins Ausland, um seine Studien zu verfolgen. Ein Artikel von ihm über Jr-
land zog die Aufmerksamkeit zuerst auf sich; erbereiste England und hielt sich
mehre Jahre in Paris auf. Bei seiner Rückkehr nach Sardinien half er die
Associazione Agraria mit begründen, welche unter diesem Namen nationale
Tendenzen nährte. Ende 1847 nach den ersten Reformen gründete er die Zei¬
tung Risorgimento und unterzeichnete die Adresse an den König, welche um
Gewährung einer Verfassung bat; als das Statut erschien, trat er als Ab¬
geordneter in die Kammer ein. und ward wegen seines Widerstandes gegen das
damalige demokratische Ministerium sehr unbeliebt. In der neuen Kammer
unterstützte er das Ministerium Azeglio auf das lebhafteste und ward von dem¬
selben bei einer Vacanz dem König lebhaft als Handelsminister empfohlen.
Victor Emanuel hatte nichts gegen ihn. aber sagte mit seinem gesunden Takt
auf diesen Vorschlag dem Minister des Innern: Aber sehen Sie nicht, daß
dieser Mann schließlich Sie alle ausstechen wird? -- Die Folge gab ihm Recht


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gewiesen waren. Als Pius IX. die Amnestie gab. veröffentlichte Azeglio den
Entwurf eines Programms für die öffentliche Meinung Italiens und im Ja¬
nuar darauf, nach den blutigen Auftritten in Mailand: die Kämpfe der Lom.
bardei. Als der Krieg erklärt war, nahm er den Degen in die Hand und
empfing bei Vicenza eine schwere Wunde. Wiederhergestellt kämpfte er in Tos-
cana vergeblich gegen die Revolution und ward, nach Turin zurückgekehrt, in
die Kammer gewählt. Im Mai 1849 berief der König Victor Emanuel ihn
als Ministerpräsidenten, und man dürfte wol sagen, daß sein Name allein ein
Programm war. Es war die erste Wendung zum Bessern. Genua ward durch
einen glücklichen Handstreich Lamarmoras unterworfen, der Friede mit Oestreich
unterzeichnet und mit der neugewählten Kammer der Weg ernster aber ruhigerer
Debatte betreten, die tumultuarischen Scenen erneuerten sich nicht mehr, sein
Ruf als Patriot und seine unangezweifelte Ehrenhaftigkeit gaben ihm das all¬
gemeine Vertraue». Der ideenreiche Schnftsteller, der feinsinnige Kunstlieb¬
haber zeigte sich als praktischer Staatsmann, er wußte zu warten und zur
rechten Zeit zu handeln, „zieht das Korn nicht an den Aehren," sagte er ein¬
mal, „ihr würdet es ausreißen und man müßie es nochmals säen." Wenig
bellen und oft beißen, erklärte er ein andermal als seinen Grundsatz. Als
er von seinem Posten zurücktrat, durfte er sich sagen, seinem Lande unschätz¬
bare Dienste geleistet zu haben.

An seine Stelle trat Graf Camillo Cavour. der kurz zuvor wegen einer
Differenz aus dem Cabinet geschieden war. Der europäische Ruf des Man¬
nes wird einige nähere Mittheilungen über ihn rechtfertigen. Aus alter Fa¬
milie entsprossen, war er wie Azeglio kein Freund vom Müßiggehen; sein scharfer
, Verstand warf sich aus die exacten Wissenschaften und Volkswirtschaft. Da
hierfür in Piemont unter dem alten Staatsw'eher kein Raum war, ging er
ins Ausland, um seine Studien zu verfolgen. Ein Artikel von ihm über Jr-
land zog die Aufmerksamkeit zuerst auf sich; erbereiste England und hielt sich
mehre Jahre in Paris auf. Bei seiner Rückkehr nach Sardinien half er die
Associazione Agraria mit begründen, welche unter diesem Namen nationale
Tendenzen nährte. Ende 1847 nach den ersten Reformen gründete er die Zei¬
tung Risorgimento und unterzeichnete die Adresse an den König, welche um
Gewährung einer Verfassung bat; als das Statut erschien, trat er als Ab¬
geordneter in die Kammer ein. und ward wegen seines Widerstandes gegen das
damalige demokratische Ministerium sehr unbeliebt. In der neuen Kammer
unterstützte er das Ministerium Azeglio auf das lebhafteste und ward von dem¬
selben bei einer Vacanz dem König lebhaft als Handelsminister empfohlen.
Victor Emanuel hatte nichts gegen ihn. aber sagte mit seinem gesunden Takt
auf diesen Vorschlag dem Minister des Innern: Aber sehen Sie nicht, daß
dieser Mann schließlich Sie alle ausstechen wird? — Die Folge gab ihm Recht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_266356/105>, abgerufen am 02.07.2024.