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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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cipationsversuche. Es ist bekannt, daß das Schicksal der römischen Welt nicht
selten von Frauen bestimmt worden ist, daß mehr als eine Kaiserin im
Namen ihres Gemahls regiert hat. Selbst August, einer der größten Staats¬
männer aller Zeiten, ließ sich häusig von seiner klugen Gemahlin leiten; und
man behauptete in Rom. daß er nie mit Livia ein wichtiges Gespräch führe,
ohne sich schriftlich darauf vorzubereiten. Im Anfange der Regierung Tibers
wurden die Namen der zu den Audienzen Livias zugelassenen Personen durch
die -reda diurmr bekannt gemacht. Auch die ihr zunächst stehenden hohen
Damen durften eine Stellung über dem Gesetz beanspruchen. Eine derselben,
Nrgulania, als Zeugin vor Gericht gefordert, schlug es ab zu erscheinen, und
ein Prätor mußte sie in ihrem eignen Hause vernehmen, während sogar die
vestalischen Jungfrauen vor Gericht Zeugniß abzulegen verpflichtet waren. In
den Provinzen sah man vornehme Frauen Revuen der Truppen abnehmen.
Die Frauen der Statthalter mischten sich unter die Soldaten, ließen sich von
Centurionen begleiten, nahmen an den Geschäften Theil, und die Provin-
zialen mußten zwei Hofhaltungen ihre Aufwartung machen. In Rom fehlte
es nicht an eifrigen Politikerinnen; sie wußten über die auswärtigen An¬
gelegenheiten aufs beste Bescheid, hatten aus den entferntesten Ländern immer
die ersten Nachrichten, oder erfanden sie; führten in Kreisen hoher Militär¬
personen dreist das Wort, und erzählten jedem Bekannten auf der Straße
von den neuesten Erdbeben. Überschwemmungen. Kometen und was sich sonst
in der ganzen Welt zugetragen hatte. Häusig jedoch beschränkte sich dieser
Drang nach Allwissenheit auf das engere Gebiet der Stadtneuigkeiten und
skandalösen.

Aber all dieses Spielen und Tändeln, dieses Haschen nach Aeußerlich-
keiten, das rastlose Jnger nach Genuß, der Taumel von Aufregung z" Ab¬
spannung konnte der Seele auf die Dauer weder Glück noch Frieden geben.
Es traten Augenblicke ein, wo das Gefühl der innern Leere übermächtig
ward, eine namenlose Bangigkeit die Seele beschlich, die Sehnsucht nach
Trost und Beruhigung sich zur Leidenschaft steigerte. Dann suchten die ge¬
ängsteten Gemüther einen Halt in den zahlreichen Surrogaten, mit denen
jene Zeit die längst in Verfall gerathene einheimische Religion zu ersetzen be¬
müht war. Je mehr der römische wie der griechische Göttcrglaube zu einer
Schattenexistanz verflüchtigt, ihre Dogmen und Anschauungen den Gebildeten
fremd, unverständlich, lächerlich geworden waren: desto eifriger ward jede
neue Religionsform willkommen geheißen, wenn sie überhaupt nur einen po¬
sitiven Inhalt zu haben schien. So ward mit allen Religionen der Reihe
nach experimentirt, und weit entfernt in einer das alleinige Heil zu suchen,
strebte man vielmehr sich durch Häufung von heterogenen Culten die Selig¬
keit zu sichern. Die größte Verbreitung fanden die Religionen des Orients.


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cipationsversuche. Es ist bekannt, daß das Schicksal der römischen Welt nicht
selten von Frauen bestimmt worden ist, daß mehr als eine Kaiserin im
Namen ihres Gemahls regiert hat. Selbst August, einer der größten Staats¬
männer aller Zeiten, ließ sich häusig von seiner klugen Gemahlin leiten; und
man behauptete in Rom. daß er nie mit Livia ein wichtiges Gespräch führe,
ohne sich schriftlich darauf vorzubereiten. Im Anfange der Regierung Tibers
wurden die Namen der zu den Audienzen Livias zugelassenen Personen durch
die -reda diurmr bekannt gemacht. Auch die ihr zunächst stehenden hohen
Damen durften eine Stellung über dem Gesetz beanspruchen. Eine derselben,
Nrgulania, als Zeugin vor Gericht gefordert, schlug es ab zu erscheinen, und
ein Prätor mußte sie in ihrem eignen Hause vernehmen, während sogar die
vestalischen Jungfrauen vor Gericht Zeugniß abzulegen verpflichtet waren. In
den Provinzen sah man vornehme Frauen Revuen der Truppen abnehmen.
Die Frauen der Statthalter mischten sich unter die Soldaten, ließen sich von
Centurionen begleiten, nahmen an den Geschäften Theil, und die Provin-
zialen mußten zwei Hofhaltungen ihre Aufwartung machen. In Rom fehlte
es nicht an eifrigen Politikerinnen; sie wußten über die auswärtigen An¬
gelegenheiten aufs beste Bescheid, hatten aus den entferntesten Ländern immer
die ersten Nachrichten, oder erfanden sie; führten in Kreisen hoher Militär¬
personen dreist das Wort, und erzählten jedem Bekannten auf der Straße
von den neuesten Erdbeben. Überschwemmungen. Kometen und was sich sonst
in der ganzen Welt zugetragen hatte. Häusig jedoch beschränkte sich dieser
Drang nach Allwissenheit auf das engere Gebiet der Stadtneuigkeiten und
skandalösen.

Aber all dieses Spielen und Tändeln, dieses Haschen nach Aeußerlich-
keiten, das rastlose Jnger nach Genuß, der Taumel von Aufregung z» Ab¬
spannung konnte der Seele auf die Dauer weder Glück noch Frieden geben.
Es traten Augenblicke ein, wo das Gefühl der innern Leere übermächtig
ward, eine namenlose Bangigkeit die Seele beschlich, die Sehnsucht nach
Trost und Beruhigung sich zur Leidenschaft steigerte. Dann suchten die ge¬
ängsteten Gemüther einen Halt in den zahlreichen Surrogaten, mit denen
jene Zeit die längst in Verfall gerathene einheimische Religion zu ersetzen be¬
müht war. Je mehr der römische wie der griechische Göttcrglaube zu einer
Schattenexistanz verflüchtigt, ihre Dogmen und Anschauungen den Gebildeten
fremd, unverständlich, lächerlich geworden waren: desto eifriger ward jede
neue Religionsform willkommen geheißen, wenn sie überhaupt nur einen po¬
sitiven Inhalt zu haben schien. So ward mit allen Religionen der Reihe
nach experimentirt, und weit entfernt in einer das alleinige Heil zu suchen,
strebte man vielmehr sich durch Häufung von heterogenen Culten die Selig¬
keit zu sichern. Die größte Verbreitung fanden die Religionen des Orients.


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[0099] cipationsversuche. Es ist bekannt, daß das Schicksal der römischen Welt nicht selten von Frauen bestimmt worden ist, daß mehr als eine Kaiserin im Namen ihres Gemahls regiert hat. Selbst August, einer der größten Staats¬ männer aller Zeiten, ließ sich häusig von seiner klugen Gemahlin leiten; und man behauptete in Rom. daß er nie mit Livia ein wichtiges Gespräch führe, ohne sich schriftlich darauf vorzubereiten. Im Anfange der Regierung Tibers wurden die Namen der zu den Audienzen Livias zugelassenen Personen durch die -reda diurmr bekannt gemacht. Auch die ihr zunächst stehenden hohen Damen durften eine Stellung über dem Gesetz beanspruchen. Eine derselben, Nrgulania, als Zeugin vor Gericht gefordert, schlug es ab zu erscheinen, und ein Prätor mußte sie in ihrem eignen Hause vernehmen, während sogar die vestalischen Jungfrauen vor Gericht Zeugniß abzulegen verpflichtet waren. In den Provinzen sah man vornehme Frauen Revuen der Truppen abnehmen. Die Frauen der Statthalter mischten sich unter die Soldaten, ließen sich von Centurionen begleiten, nahmen an den Geschäften Theil, und die Provin- zialen mußten zwei Hofhaltungen ihre Aufwartung machen. In Rom fehlte es nicht an eifrigen Politikerinnen; sie wußten über die auswärtigen An¬ gelegenheiten aufs beste Bescheid, hatten aus den entferntesten Ländern immer die ersten Nachrichten, oder erfanden sie; führten in Kreisen hoher Militär¬ personen dreist das Wort, und erzählten jedem Bekannten auf der Straße von den neuesten Erdbeben. Überschwemmungen. Kometen und was sich sonst in der ganzen Welt zugetragen hatte. Häusig jedoch beschränkte sich dieser Drang nach Allwissenheit auf das engere Gebiet der Stadtneuigkeiten und skandalösen. Aber all dieses Spielen und Tändeln, dieses Haschen nach Aeußerlich- keiten, das rastlose Jnger nach Genuß, der Taumel von Aufregung z» Ab¬ spannung konnte der Seele auf die Dauer weder Glück noch Frieden geben. Es traten Augenblicke ein, wo das Gefühl der innern Leere übermächtig ward, eine namenlose Bangigkeit die Seele beschlich, die Sehnsucht nach Trost und Beruhigung sich zur Leidenschaft steigerte. Dann suchten die ge¬ ängsteten Gemüther einen Halt in den zahlreichen Surrogaten, mit denen jene Zeit die längst in Verfall gerathene einheimische Religion zu ersetzen be¬ müht war. Je mehr der römische wie der griechische Göttcrglaube zu einer Schattenexistanz verflüchtigt, ihre Dogmen und Anschauungen den Gebildeten fremd, unverständlich, lächerlich geworden waren: desto eifriger ward jede neue Religionsform willkommen geheißen, wenn sie überhaupt nur einen po¬ sitiven Inhalt zu haben schien. So ward mit allen Religionen der Reihe nach experimentirt, und weit entfernt in einer das alleinige Heil zu suchen, strebte man vielmehr sich durch Häufung von heterogenen Culten die Selig¬ keit zu sichern. Die größte Verbreitung fanden die Religionen des Orients. 12 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/99>, abgerufen am 30.12.2024.