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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Ausbildung dem Manne, der sie als Mädchen geheirathet, zum hohen Ruhm.
Aus dieser Aeußerung sieht man, daß man sich von den Resultaten des
Mädchenunterrichts keine zu großen Vorstellungen machen darf. Aber mit
einem so beschränkten literarischen Ruhm waren Dichterinnen und Schrift¬
stellerinnen gewiß nur selten zufrieden. Die Modedamen hören es gern, sagt
Lucian, wenn man ihnen Complimente über ihre Bildung macht, und ihre
Gedichte für wenig schwächer als die der Sappho erklärt. Machten sie selbst
keine Gedichte, so kritisirten sie fremde. Diese kritischen Damen hielt Juvenal
für noch schlimmer als diejenigen, welche den Wein zu sehr liebten. Kaum
hatten sie sich bei Tische niedergelassen, so begannen sie schon die aesthetische
Unterhaltung über Virgil und Homer und wogen die Vorzüge beider
gegeneinander ab: so unaufhaltsam rauschte der Strom ihrer Rede,
daß niemand zu Worte kam, es war als ob eherne Becken und Schellen
geschlagen würden. Als vollends unerträglich schildert Juvenal die eigent¬
lich gelehrten Frauen. Sie wußten Citate aus verschollenen Büchern anzu¬
führen, die ihre Männer nicht kannten, hatten stets das grammatische Lehrbuch
aufgeschlagen, corrigirten die Ausdrücke ihrer Freundinnen und ließen ihren
Männern keinen Sprachfehler durchschlüpfen. Eine Frau, sagt er, muß nicht
die ganze Encyklopädie im Kopfe haben, und einiges in Büchern auch nicht
verstehen; und Martial zählt unter seine Lcbenswünsche auch eine nicht zu
gelehrte Frau. Doch dürfte die Sucht durch Gelehrsamkeit zu glänzen, schwer¬
lich jemals unter den Frauen sehr verbreitet gewesen sein, eher die Manier
griechisch statt lateinisch zu reden, wenigstens zierliche griechische Phrasen in
die Konversation einzumischen. Die Zeitgenossen fanden, daß man sich dies
gefallen lassen könne, so lange die Frauen jung und hübsch wären, daß sich
aber im Munde von "8jährigen diese Affectation doppelt schlecht machte. Selbst
der Philosophie blieben die Römerinnen der damaligen Zeit nicht ganz fremd.
Wol mochte zuweilen eine tiefere Natur in den Lehren der Weisen Trost im
Unglück suchen. Wenn Seneca Glauben verdient, hat sich Livia bei dem Tode
ihres Sohnes Drusus von dem Philosophen Arilus ausrichten lassen. Julia
Donna, Severs Gemahlin, umgab sich mit einem Kreise von Weltweisen;
das Leben von Apollonius von Tyana ist auf ihre Veranlassung geschrieben
und ihr gewidmet; doch in der Regel war die Beschäftigung der Frauen mit
der Philosophie eine rein äußerliche Tändelei, mit der man glänzen oder die
Mode mitmachen wollte. Unter dem besoldeten Hofstaat vornehmer Damen
befanden sich außer andern Gelehrten auch griechische Philosophen von ehr¬
würdigen Aeußern, mit langen grauen Bärten, zu deren Obliegenheiten es
gehörte, die Sänfte der gnädigen Frau beim Ausgehen sammt dem übrigen
Gesinde zu begleiten, vermuthlich damit sie ihre Belehrungen keinen
Augenblick entbehrte. Aus demselben Grunde nahmen die Damen ihre


Gu'nzboten II. 1658. 12

Ausbildung dem Manne, der sie als Mädchen geheirathet, zum hohen Ruhm.
Aus dieser Aeußerung sieht man, daß man sich von den Resultaten des
Mädchenunterrichts keine zu großen Vorstellungen machen darf. Aber mit
einem so beschränkten literarischen Ruhm waren Dichterinnen und Schrift¬
stellerinnen gewiß nur selten zufrieden. Die Modedamen hören es gern, sagt
Lucian, wenn man ihnen Complimente über ihre Bildung macht, und ihre
Gedichte für wenig schwächer als die der Sappho erklärt. Machten sie selbst
keine Gedichte, so kritisirten sie fremde. Diese kritischen Damen hielt Juvenal
für noch schlimmer als diejenigen, welche den Wein zu sehr liebten. Kaum
hatten sie sich bei Tische niedergelassen, so begannen sie schon die aesthetische
Unterhaltung über Virgil und Homer und wogen die Vorzüge beider
gegeneinander ab: so unaufhaltsam rauschte der Strom ihrer Rede,
daß niemand zu Worte kam, es war als ob eherne Becken und Schellen
geschlagen würden. Als vollends unerträglich schildert Juvenal die eigent¬
lich gelehrten Frauen. Sie wußten Citate aus verschollenen Büchern anzu¬
führen, die ihre Männer nicht kannten, hatten stets das grammatische Lehrbuch
aufgeschlagen, corrigirten die Ausdrücke ihrer Freundinnen und ließen ihren
Männern keinen Sprachfehler durchschlüpfen. Eine Frau, sagt er, muß nicht
die ganze Encyklopädie im Kopfe haben, und einiges in Büchern auch nicht
verstehen; und Martial zählt unter seine Lcbenswünsche auch eine nicht zu
gelehrte Frau. Doch dürfte die Sucht durch Gelehrsamkeit zu glänzen, schwer¬
lich jemals unter den Frauen sehr verbreitet gewesen sein, eher die Manier
griechisch statt lateinisch zu reden, wenigstens zierliche griechische Phrasen in
die Konversation einzumischen. Die Zeitgenossen fanden, daß man sich dies
gefallen lassen könne, so lange die Frauen jung und hübsch wären, daß sich
aber im Munde von «8jährigen diese Affectation doppelt schlecht machte. Selbst
der Philosophie blieben die Römerinnen der damaligen Zeit nicht ganz fremd.
Wol mochte zuweilen eine tiefere Natur in den Lehren der Weisen Trost im
Unglück suchen. Wenn Seneca Glauben verdient, hat sich Livia bei dem Tode
ihres Sohnes Drusus von dem Philosophen Arilus ausrichten lassen. Julia
Donna, Severs Gemahlin, umgab sich mit einem Kreise von Weltweisen;
das Leben von Apollonius von Tyana ist auf ihre Veranlassung geschrieben
und ihr gewidmet; doch in der Regel war die Beschäftigung der Frauen mit
der Philosophie eine rein äußerliche Tändelei, mit der man glänzen oder die
Mode mitmachen wollte. Unter dem besoldeten Hofstaat vornehmer Damen
befanden sich außer andern Gelehrten auch griechische Philosophen von ehr¬
würdigen Aeußern, mit langen grauen Bärten, zu deren Obliegenheiten es
gehörte, die Sänfte der gnädigen Frau beim Ausgehen sammt dem übrigen
Gesinde zu begleiten, vermuthlich damit sie ihre Belehrungen keinen
Augenblick entbehrte. Aus demselben Grunde nahmen die Damen ihre


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[0097] Ausbildung dem Manne, der sie als Mädchen geheirathet, zum hohen Ruhm. Aus dieser Aeußerung sieht man, daß man sich von den Resultaten des Mädchenunterrichts keine zu großen Vorstellungen machen darf. Aber mit einem so beschränkten literarischen Ruhm waren Dichterinnen und Schrift¬ stellerinnen gewiß nur selten zufrieden. Die Modedamen hören es gern, sagt Lucian, wenn man ihnen Complimente über ihre Bildung macht, und ihre Gedichte für wenig schwächer als die der Sappho erklärt. Machten sie selbst keine Gedichte, so kritisirten sie fremde. Diese kritischen Damen hielt Juvenal für noch schlimmer als diejenigen, welche den Wein zu sehr liebten. Kaum hatten sie sich bei Tische niedergelassen, so begannen sie schon die aesthetische Unterhaltung über Virgil und Homer und wogen die Vorzüge beider gegeneinander ab: so unaufhaltsam rauschte der Strom ihrer Rede, daß niemand zu Worte kam, es war als ob eherne Becken und Schellen geschlagen würden. Als vollends unerträglich schildert Juvenal die eigent¬ lich gelehrten Frauen. Sie wußten Citate aus verschollenen Büchern anzu¬ führen, die ihre Männer nicht kannten, hatten stets das grammatische Lehrbuch aufgeschlagen, corrigirten die Ausdrücke ihrer Freundinnen und ließen ihren Männern keinen Sprachfehler durchschlüpfen. Eine Frau, sagt er, muß nicht die ganze Encyklopädie im Kopfe haben, und einiges in Büchern auch nicht verstehen; und Martial zählt unter seine Lcbenswünsche auch eine nicht zu gelehrte Frau. Doch dürfte die Sucht durch Gelehrsamkeit zu glänzen, schwer¬ lich jemals unter den Frauen sehr verbreitet gewesen sein, eher die Manier griechisch statt lateinisch zu reden, wenigstens zierliche griechische Phrasen in die Konversation einzumischen. Die Zeitgenossen fanden, daß man sich dies gefallen lassen könne, so lange die Frauen jung und hübsch wären, daß sich aber im Munde von «8jährigen diese Affectation doppelt schlecht machte. Selbst der Philosophie blieben die Römerinnen der damaligen Zeit nicht ganz fremd. Wol mochte zuweilen eine tiefere Natur in den Lehren der Weisen Trost im Unglück suchen. Wenn Seneca Glauben verdient, hat sich Livia bei dem Tode ihres Sohnes Drusus von dem Philosophen Arilus ausrichten lassen. Julia Donna, Severs Gemahlin, umgab sich mit einem Kreise von Weltweisen; das Leben von Apollonius von Tyana ist auf ihre Veranlassung geschrieben und ihr gewidmet; doch in der Regel war die Beschäftigung der Frauen mit der Philosophie eine rein äußerliche Tändelei, mit der man glänzen oder die Mode mitmachen wollte. Unter dem besoldeten Hofstaat vornehmer Damen befanden sich außer andern Gelehrten auch griechische Philosophen von ehr¬ würdigen Aeußern, mit langen grauen Bärten, zu deren Obliegenheiten es gehörte, die Sänfte der gnädigen Frau beim Ausgehen sammt dem übrigen Gesinde zu begleiten, vermuthlich damit sie ihre Belehrungen keinen Augenblick entbehrte. Aus demselben Grunde nahmen die Damen ihre Gu'nzboten II. 1658. 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/97>, abgerufen am 30.12.2024.