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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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entführen ließ. Die fremdartige Natur und Thierwelt Aegyptens, die
eigenthümlichen Umgebungen, Sitten und Gebräuche der Eingebornen, das
Leben auf.dem Wasser hatten für den Geschmack der Römer etwas ganz
besonders Anziehendes. Zu beiden Seiten des drei Meilen langen NManals,
der Alexandrien mit Canopus verband, und in Canopus selbst waren zahl¬
reiche elegante Gasthäuser, und Tag und Nacht, sagt Strabo, war der Kanal
mit Barken bedeckt, die Gesellschaften von Männern und Frauen führten.
Man unterhielt sich aus diesen Fahrten mit Musik und Tänzen (die ein¬
geborenen Tänzerinnen waren schon damals ihrer beispiellosen Obcoenitä.
wegen berüchtigt), man landete in den Dickichten der ägyptischen Bohnen¬
gebüsche, die das Ufer einfaßten, und speiste oder ruhte unter dem Schatten
dieses lieblichen Gesträuchs. Ein in Pompeji gefundenes Bild, das'eine
solche Gondelscene vorstellt, hat nur im Mbmetto lisvrvato des mus<;o Lor-
bcmico Platz finden tonnen.

Wenn die Frauen in der raffinirten Genußsucht, die eine herrschende
Richtung der sinkenden Römerzeit war, die Männer noch überboten, so blie¬
ben sie anderseits auch von den geistigen Interessen nicht unberührt, die
jene Zeit bewegten. In einem frühern Aufsatz ist dargestellt, mit welcher
Intensität und in welcher Ausdehnung literarische Tendenzen sich in den
beiden ersten Jahrhunderten geltend machten, und wie verbreitet namentlich
der poetische Dilettantismus war. Bei dem steten und lebhaften Verkehr
beider Geschlechter konnten die Frauen einem so allgemeinen literarischen
Treiben unmöglich fremd bleiben. Mindestens theilten sie die Neigungen
und Interessen ihrer Männer oder Freunde und waren auf deren Erfolge
stolz; der jüngere Plinius rühmt von seiner Frau, daß sie aus Liebe zu ihm
Interesse für die Literatur gefaßt habe. Seine Bücher las sie wiederholt,
und lernte sie sogar auswendig. Hielt er eine Vorlesung, so hörte sie hinter
einem Vorhänge zu, und lauschte begierig auf die Beifallsbezeugungen der Zu¬
hörer. Führte er eine Vertheidigung vor Gericht, so wartete sie den Erfolg
mit höchster Spannung ab, und Boten, in Zwischenräumen vom Gerichtshof
bis zu ihrer Wohnung aufgestellt, meldeten von Minute zu Minute die
Stimmung des Publicums, das Beifallsgemurmel, die Bravos u. s. w.
Seine Gedichte sang sie zur Cither nach selbstgcsetzten Melodien, worin, wie
Plinius sagt, kein Musiklehrer sie unterrichtet hatte, sondern die beste Lehrerin,
die Liebe. Hatten die Frauen zur Führung der Feder selbst Lust und Talent,
so konnte es ihnen um Gelegenheit zur Ausbildung nicht fehlen. Mindestens
wurden dann ihre Versuche nahen Bekannten vorgelegt. Plinius erzählt, daß
ihm ein befreundeter Schriftsteller Briefe von seiner Frau vorgelesen, man
hätte Plautus und Terenz in Prosa zu hören geglaubt. Er zweifelte sogar,
daß die Dame sie selbst geschrieben, sei es aber der Fall, so gereiche ihre


entführen ließ. Die fremdartige Natur und Thierwelt Aegyptens, die
eigenthümlichen Umgebungen, Sitten und Gebräuche der Eingebornen, das
Leben auf.dem Wasser hatten für den Geschmack der Römer etwas ganz
besonders Anziehendes. Zu beiden Seiten des drei Meilen langen NManals,
der Alexandrien mit Canopus verband, und in Canopus selbst waren zahl¬
reiche elegante Gasthäuser, und Tag und Nacht, sagt Strabo, war der Kanal
mit Barken bedeckt, die Gesellschaften von Männern und Frauen führten.
Man unterhielt sich aus diesen Fahrten mit Musik und Tänzen (die ein¬
geborenen Tänzerinnen waren schon damals ihrer beispiellosen Obcoenitä.
wegen berüchtigt), man landete in den Dickichten der ägyptischen Bohnen¬
gebüsche, die das Ufer einfaßten, und speiste oder ruhte unter dem Schatten
dieses lieblichen Gesträuchs. Ein in Pompeji gefundenes Bild, das'eine
solche Gondelscene vorstellt, hat nur im Mbmetto lisvrvato des mus<;o Lor-
bcmico Platz finden tonnen.

Wenn die Frauen in der raffinirten Genußsucht, die eine herrschende
Richtung der sinkenden Römerzeit war, die Männer noch überboten, so blie¬
ben sie anderseits auch von den geistigen Interessen nicht unberührt, die
jene Zeit bewegten. In einem frühern Aufsatz ist dargestellt, mit welcher
Intensität und in welcher Ausdehnung literarische Tendenzen sich in den
beiden ersten Jahrhunderten geltend machten, und wie verbreitet namentlich
der poetische Dilettantismus war. Bei dem steten und lebhaften Verkehr
beider Geschlechter konnten die Frauen einem so allgemeinen literarischen
Treiben unmöglich fremd bleiben. Mindestens theilten sie die Neigungen
und Interessen ihrer Männer oder Freunde und waren auf deren Erfolge
stolz; der jüngere Plinius rühmt von seiner Frau, daß sie aus Liebe zu ihm
Interesse für die Literatur gefaßt habe. Seine Bücher las sie wiederholt,
und lernte sie sogar auswendig. Hielt er eine Vorlesung, so hörte sie hinter
einem Vorhänge zu, und lauschte begierig auf die Beifallsbezeugungen der Zu¬
hörer. Führte er eine Vertheidigung vor Gericht, so wartete sie den Erfolg
mit höchster Spannung ab, und Boten, in Zwischenräumen vom Gerichtshof
bis zu ihrer Wohnung aufgestellt, meldeten von Minute zu Minute die
Stimmung des Publicums, das Beifallsgemurmel, die Bravos u. s. w.
Seine Gedichte sang sie zur Cither nach selbstgcsetzten Melodien, worin, wie
Plinius sagt, kein Musiklehrer sie unterrichtet hatte, sondern die beste Lehrerin,
die Liebe. Hatten die Frauen zur Führung der Feder selbst Lust und Talent,
so konnte es ihnen um Gelegenheit zur Ausbildung nicht fehlen. Mindestens
wurden dann ihre Versuche nahen Bekannten vorgelegt. Plinius erzählt, daß
ihm ein befreundeter Schriftsteller Briefe von seiner Frau vorgelesen, man
hätte Plautus und Terenz in Prosa zu hören geglaubt. Er zweifelte sogar,
daß die Dame sie selbst geschrieben, sei es aber der Fall, so gereiche ihre


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[0096] entführen ließ. Die fremdartige Natur und Thierwelt Aegyptens, die eigenthümlichen Umgebungen, Sitten und Gebräuche der Eingebornen, das Leben auf.dem Wasser hatten für den Geschmack der Römer etwas ganz besonders Anziehendes. Zu beiden Seiten des drei Meilen langen NManals, der Alexandrien mit Canopus verband, und in Canopus selbst waren zahl¬ reiche elegante Gasthäuser, und Tag und Nacht, sagt Strabo, war der Kanal mit Barken bedeckt, die Gesellschaften von Männern und Frauen führten. Man unterhielt sich aus diesen Fahrten mit Musik und Tänzen (die ein¬ geborenen Tänzerinnen waren schon damals ihrer beispiellosen Obcoenitä. wegen berüchtigt), man landete in den Dickichten der ägyptischen Bohnen¬ gebüsche, die das Ufer einfaßten, und speiste oder ruhte unter dem Schatten dieses lieblichen Gesträuchs. Ein in Pompeji gefundenes Bild, das'eine solche Gondelscene vorstellt, hat nur im Mbmetto lisvrvato des mus<;o Lor- bcmico Platz finden tonnen. Wenn die Frauen in der raffinirten Genußsucht, die eine herrschende Richtung der sinkenden Römerzeit war, die Männer noch überboten, so blie¬ ben sie anderseits auch von den geistigen Interessen nicht unberührt, die jene Zeit bewegten. In einem frühern Aufsatz ist dargestellt, mit welcher Intensität und in welcher Ausdehnung literarische Tendenzen sich in den beiden ersten Jahrhunderten geltend machten, und wie verbreitet namentlich der poetische Dilettantismus war. Bei dem steten und lebhaften Verkehr beider Geschlechter konnten die Frauen einem so allgemeinen literarischen Treiben unmöglich fremd bleiben. Mindestens theilten sie die Neigungen und Interessen ihrer Männer oder Freunde und waren auf deren Erfolge stolz; der jüngere Plinius rühmt von seiner Frau, daß sie aus Liebe zu ihm Interesse für die Literatur gefaßt habe. Seine Bücher las sie wiederholt, und lernte sie sogar auswendig. Hielt er eine Vorlesung, so hörte sie hinter einem Vorhänge zu, und lauschte begierig auf die Beifallsbezeugungen der Zu¬ hörer. Führte er eine Vertheidigung vor Gericht, so wartete sie den Erfolg mit höchster Spannung ab, und Boten, in Zwischenräumen vom Gerichtshof bis zu ihrer Wohnung aufgestellt, meldeten von Minute zu Minute die Stimmung des Publicums, das Beifallsgemurmel, die Bravos u. s. w. Seine Gedichte sang sie zur Cither nach selbstgcsetzten Melodien, worin, wie Plinius sagt, kein Musiklehrer sie unterrichtet hatte, sondern die beste Lehrerin, die Liebe. Hatten die Frauen zur Führung der Feder selbst Lust und Talent, so konnte es ihnen um Gelegenheit zur Ausbildung nicht fehlen. Mindestens wurden dann ihre Versuche nahen Bekannten vorgelegt. Plinius erzählt, daß ihm ein befreundeter Schriftsteller Briefe von seiner Frau vorgelesen, man hätte Plautus und Terenz in Prosa zu hören geglaubt. Er zweifelte sogar, daß die Dame sie selbst geschrieben, sei es aber der Fall, so gereiche ihre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/96>, abgerufen am 30.12.2024.